Fakten zum Sonderforschungsbereich „Magnetrezeption“

Fakten zum Sonderforschungsbereich „Magnetrezeption“

Stand: 25. November 2022

Hintergrund

Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Sonderforschungsbereich (SFB) „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten: von der Biophysik zu Gehirn und Verhalten“ erforscht das Orientierungsvermögen von Wirbeltieren. Die DFG hat kürzlich entschieden, das Vorhaben für weitere vier Jahre zu finanzieren.

Die Forschung an Vögel, Fledermäusen und Fischen wird von Tierschutzorganisationen kritisiert.

Die Universität Oldenburg ist sich der ethischen Fragen im Zusammenhang mit Tierversuchen bewusst und beteiligt sich am gesellschaftlichen Dialog zu diesem Thema. Mit den Fakten, die wir auf dieser Seite zusammengestellt haben, möchten wir zu einer sachlichen und konstruktiven Diskussion beitragen.

Nach einer kurzen Vorbemerkung, Hinweisen zum Tierschutzgesetz und Hintergrundinformationen zum SFB nehmen wir konkret Stellung zu den Vorwürfen.

Vorbemerkung

Die Universität Oldenburg nimmt die Diskussion um Tierschutz und Tierversuche sehr ernst. Niemand an der Universität geht leichtfertig mit Tierversuchen um.

Die Universität hält die Zahl der in der Lehre und Forschung verwendeten Tiere so gering wie möglich. Seit vielen Jahren haben wir uns das sogenannte 3R-Prinzip zur Leitlinie gemacht: Die drei R stehen dafür, Tierversuche, wann immer möglich, durch tierfreie Methoden zu ersetzen (replace), möglichst wenige Tiere zu verwenden (reduce) und diese so schonend wie möglich zu behandeln (refine). Intensive Forschung sorgt dafür, dass wir immer mehr Alternativen zu Tierversuchen einführen können.

Auch wenn wir, wann immer dies möglich ist, bereits tierversuchsfreie Methoden verwenden, können wir nach derzeitigem Stand der Wissenschaft vorerst nicht gänzlich auf Tierversuche verzichten.

Tierschutzgesetz

Im deutschen Tierschutzgesetz ist festgelegt, dass Tierversuche nur durchgeführt werden dürfen, wenn keine Alternativmethoden genutzt werden können. Die zuständige Behörde genehmigt einen Tierversuchsantrag nur dann, wenn der/die Wissenschaftler*in einen Nachweis erbringen kann: Er/sie muss belegen, dass das Forschungsvorhaben nicht ohne Tierversuche auskommt und der zu erwartende Nutzen des Experiments das mögliche Leiden des Tieres ethisch rechtfertigt. Die Universität Oldenburg verfügt über alle erforderlichen behördlichen Genehmigungen.

 

Der Sonderforschungsbereich

Im Sonderforschungsbereich „Magnetrezeption“ arbeiten Forschende aus Neurobiologie, Quantenphysik, Biochemie, Computer-Modellierung und Verhaltensbiologie zusammen. Ziel ist, den Magnetsinn von Wirbeltieren und ihre Navigationsfähigkeiten umfassend zu verstehen – angefangen bei den Proteinen, die das Magnetsignal “erkennen”, über Signalwege innerhalb von Nervenzellen und die Weiterleitung des Reizes ins Gehirn bis hin zum Verhalten und zu den Zugrouten der Tiere. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, bedrohte, über lange Strecken wandernde Tierarten zu schützen.

An dem Großprojekt, dessen Gesamtlaufzeit auf zwölf Jahre angelegt ist, sind neben der Universität Oldenburg das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ (IfV) in Wilhelmshaven, die Freie Universität Berlin, die Universität Bochum und das Weizmann Institute of Science in Rehovot (Israel) beteiligt. Drei Forschende von der University of Oxford (Großbritannien) sind dem SFB als Mercator Fellows angeschlossen.

 

Vorwürfe und unsere Antworten

Der Vorwurf:

„Die Singvogelforschung in Oldenburg ist als reine Neugierforschung ohne jeglichen Nutzen zu werten.“

Unsere Antwort:

Der Forschung im SFB und in damit verbundenen Studien leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis, wie Zugvögel das Erdmagnetfeld wahrnehmen und zur Orientierung nutzen. Die Wissenschaftler*innen fanden beispielsweise eine völlig neue Nervenverbindung, die höchstwahrscheinlich den Anfang eines magnetischen Kartenverarbeitungsweges im Gehirn bildet. Diese Erkenntnis hilft zu verstehen, wie die magnetische Karte von Zugvögeln funktioniert. Außerdem konnten sie bahnbrechende Erkenntnisse über störende Effekte von Elektrosmog auf den Magnetischen Kompass der Vögel gewinnen.

Dieses Wissen hat eine große Bedeutung für den Vogelschutz: Es kann helfen, bedrohte und seltene Zugvogelarten zu schützen.

Beispiel 1:
Weltweit gab und gibt es Versuche, Zugvögel zu ihrem Schutz umzusiedeln, wenn ihre Brut-, Aufenthalts- oder Wintergebiete bedroht sind. Ursache der Bedrohung sind häufig menschliche Einflüsse. Solche Umsiedlungen sind in der Regel sehr schwierig, da die Zugvögel dank ihrer hervorragenden Orientierung schnell wieder in ihre gewohnten Gebiete zurückkehren. Vollständig zu verstehen, wie die Vögel navigieren und ihren Weg finden, kann Umsiedlungsprojekte wirkungsvoll unterstützen, die Navigationssysteme können „ausgetrickst“ werden. 

Beispiel 2:
Elektrosmog hat einen negativen Einfluss auf Zugvögel: Er stört die Tiere bei der Orientierung, weil ihr magnetischer Kompass nicht mehr funktioniert. Das hat unsere Forschung schon vor Jahren nachgewiesen. Es ist ein für den Vogelschutz wichtiges Ergebnis unserer Navigationsforschung.
Mehr unter: www.presse.uni-oldenburg.de/mit/2014/173.html

Beispiel 3:
Zugvögel lernen das Navigieren normalerweise in den ersten Lebensmonaten, später ist es nicht mehr möglich – so die gängige Annahme. Unsere Forschung hat gezeigt, dass auch verletzte und vom Menschen in geschlossenen Räumen aufgezogene Zugvögel das Navigieren lernen können – sie lernen es einfach später. Ein bedeutendes Ergebnis für das Auswildern von Vögeln.
Mehr unter: www.presse.uni-oldenburg.de/mit/2015/358.html

Beispiel 4:
Es gibt immer mehr Hinweise, dass der Magnetkompass von Zugvögeln – also die Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren – auf einer quantenchemischen Reaktion im Auge beruht. Verantwortlich dafür ist ein bestimmtes lichtempfindliches Eiweiß, das Oldenburger Forscherinnen und Forscher jüngst entdeckten. Die Vermutung: Dieser Mechanismus macht die Tiere empfindlich für Umweltreize, die um sechs Größenordnungen unterhalb der Schwelle liegen, die bislang als wahrnehmbar galt.
Mehr unter: www.presse.uni-oldenburg.de/mit/2021/109.html


Der Vorwurf:

„Die Uni steht bereits seit Jahren in der öffentlichen Kritik für ihre leidvollen Versuche an wildgefangenen Rotkehlchen und anderen Vögeln.“

Unsere Antwort:

Die Untersuchungen an Vögeln, die an der Universität Oldenburg durchgeführt werden, bestehen in erster Linie aus Verhaltensbeobachtungen. Zu den wissenschaftlichen und ethischen Grundsätzen unserer Wissenschaftler*innen gehört, dass aus Forschungsgründen so wenige Vögel wie möglich getötet werden.

Versuchsserien, bei denen Tiere getötet werden, werden nur dann durchgeführt, wenn statistisch belegbare Ergebnisse mit kleinen Stichproben zu erwarten sind. Forschende verzichten bewusst auf wissenschaftlich vielversprechende Versuche, wenn die dafür erforderliche Tierzahl zu hoch ist.

Unsere Wissenschaftler*innen investieren viel Zeit und Mühe, um neue Wege zu gehen, die die Anzahl der Tierversuche und -tötungen reduzieren.

Beispiel 1:
Erforscht wird das Navigationsverhalten von komplexen Organismen. Es ist nicht leicht, dabei auf Versuche mit den Tieren zu verzichten. Unsere Forscherinnen und Forscher haben auf diesem Gebiet aber bereits große Fortschritte gemacht. So konnte erstmals ein Eiweiß, das in den Augen von Vögeln vorkommt, mit Hilfe von Bakterienkulturen in großen Mengen im Labor produziert werden. Seine ausgeprägte Empfindlichkeit für Magnetfelder ist inzwischen nachgewiesen und in dem renommierten Fachmagazin Nature publiziert (www.presse.uni-oldenburg.de/mit/2021/109.html). Künftig sollen weitere Untersuchungen magnetisch empfindlicher Eiweiße folgen, die gezielt in Zellkulturen hergestellt werden. Das Team will sowohl experimentell als auch mithilfe von Computersimulationen verstehen, welche Teile der Moleküle für die magnetische Wahrnehmung wichtig sind.

Beispiel 2:
Im SFB werden Modellrechnungen vorgenommen mit dem Ziel, Computer wie ein Mikroskop zu nutzen, um Moleküle besser zu verstehen. Berechnet werden Lage und Bewegung aller Atome innerhalb eines Proteins anhand fundamentaler Gleichungen der Natur, etwa der Newtonschen Bewegungsgleichungen, der Gesetze der Thermodynamik und der Quantenphysik. Dies führt zu völlig neuen Erkenntnissen – etwa, wie Elektronen von Aminosäure zu Aminosäure springen oder wie sich veränderte Umweltbedingungen auswirken. Derzeit werden u.a. Proteine von Zebrafinken, Hühnern, Mönchsgrasmücken und Fischen modelliert, um herauszufinden, wie sich die magnetischen Eigenschaften der Proteine unterscheiden. Dies erlaubt Rückschlüsse darauf, wie sich die Tiere orientieren.

Beispiel 3:
Die Zahl der für die Forschung getöteten Fledermäuse wird reduziert, indem bereits durch Windkraftanlagen getötete Tiere verwendet werden; das ist möglich, da der Kopf der Tiere bei den Unfällen meist unversehrt bleibt. Die toten Tiere können für Untersuchungen der Augenhornhäute verwendet werden.

Beispiel 4:
Bei Experimenten zur Fischkonditionierung setzen die Forschenden auf maschinelles Lernen. Die Methode kommt zum Einsatz, um subtile Verhaltensänderungen als Reaktion auf einen Stimulus zu erkennen, so dass komplexe Konditionierungsversuche mit Futterentzug oder anderen Interventionen nicht mehr notwendig sind.

 

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