• Das Foto zeigt die beiden Studentinnen auf dem Uni-Campus, Annika Bondzio links, daneben Ann-Christin Elsmann.

    Annika Bondzio (l.) und Ann-Christin Elsmann können auch Studierenden anderer Fächer den Einsatz für geflüchtete Schülerinnen und Schüler nur empfehlen. Foto: Silke Rudolph

Sondereinsatz in Oldenburgs Klassenzimmern

An vielen Schulen in Deutschland werden seit Wochen auch aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche unterrichtet. Beim Eingehen auf ihre besonderen Bedürfnisse unterstützen in Oldenburg ehrenamtlich Studierende der Sonderpädagogik.

An vielen Schulen in Deutschland werden seit Wochen auch aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche unterrichtet. Beim Eingehen auf ihre besonderen Bedürfnisse unterstützen in Oldenburg ehrenamtlich Studierende der Sonderpädagogik.

Es ist für sie „eine Herzenssache“, sagt Ann-Christin Elsmann. Die 22-Jährige pflegt eine enge Beziehung zu ihrer Oma, die selber als Kriegskind aufwuchs und sehr betroffen ist vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Da lag es für Ann-Christin nahe, geflüchtete ukrainische Kinder zu unterstützen. „Viele fragen sich ja: Wie kann ich helfen – ich ganz persönlich?“, sagt sie – nach dem Aufruf des Instituts für Sonderpädagogik an seine Studierenden war ihr die Antwort klar.

Seither ist sie eine von zehn Sonderpädagogik-Studierenden, die an Oldenburger Schulen ehrenamtlich „Starthilfe“ für ukrainische Kinder und Jugendliche leisten. Ann-Christin beispielsweise ist an einer Oldenburger Grundschule im Einsatz, wo sie zweimal wöchentlich zwei ukrainische Zweitklässlerinnen aus dem Klassenzimmer herausholt, um für sie und mit ihnen eine individuelle Doppelstunde Deutsch zu gestalten.

Annika Bondzio hatte – nach bereits fünf absolvierten Semestern Geschichte – kaum mit den Lehrveranstaltungen in ihrem neuen Fach Sonderpädagogik begonnen, als sie sich ebenfalls als Freiwillige meldete. Sie verbringt seither zwei Vormittage pro Woche an der Oberschule Alexanderstraße, wo ungefähr 15 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine jahrgangsübergreifend eine eigene Klasse bilden.

Die Schule gab den Impuls für das Hilfsangebot des Instituts. Auf ihre Anfrage wenige Wochen nach Kriegsbeginn hätten sich „in kürzester Zeit“ die ersten Studierenden gefunden, so Prof. Dr. Clemens Hillenbrand, Hochschullehrer für Pädagogik und Didaktik bei Beeinträchtigungen des Lernens. Inzwischen haben er und sein Team das Angebot auf alle Oldenburger Schulen ausgeweitet, und der Wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Matthias Schulden koordiniert federführend den ehrenamtlichen Einsatz der Studierenden.

„Das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit nicht-deutscher Muttersprache und die Suche nach alternativen Kommunikationsmitteln – ob nun wegen fehlender Sprachkenntnisse oder aufgrund von Beeinträchtigungen – zählt zu den zentralen Aufgabengebieten in der Sonderpädagogik“, so Schulden.

Ann-Christin Elsmann ist darin bereits geübt, hat in der Vergangenheit zum Beispiel die Patenschaft für eine geflüchtete irakische Familie übernommen und diese im Kontakt mit Behörden unterstützt. Sie bemüht sich, den Deutschunterricht mit „ihren“ beiden Zweitklässlerinnen „spielerisch und interaktiv“ anzugehen, sagt sie. Sie hat einen Kasten mit Bild-Karten bekommen, anhand derer die Mädchen deutsche Begriffe wie Brot, Stift oder Rucksack kennen gelernt haben. Nach dem Vermitteln der Farbwörter schickte sie die beiden regelmäßig auf Entdeckungstour durch den Raum: „Wo ist blau? Wo ist grün?“

„Mein Fokus ist erst einmal, dass sie Wörter verstehen“, so die 22-Jährige. Aber es gehe auch um den Schrifterwerb: „Da die beiden noch kein Englisch können, kennen sie auch die lateinische Schrift noch nicht, haben daher auf vielen Ebenen viel zu lernen – Lesen, Schreiben und Sprechen. Es ist sehr schwierig, wenn man an so vielen Punkten zugleich ansetzen muss.“ Und sie ahnt: „Wenn die Grammatik kommt, ist das auch nochmal ein Klotz.“ Dennoch könne sie als Ehrenamtliche – zumal neben dem Verfassen ihrer Bachelorarbeit – natürlich nicht den Anspruch perfekten Unterrichts haben.

Das ist bei Annika Bondzio in der altersgemischten Lerngruppe an der Oberschule ähnlich. „Die Jüngsten sind neun, die Ältesten von ihnen 16 Jahre alt“, erzählt die 23-Jährige. Sie unterstütze meist als zusätzliche Ansprechperson neben der Lehrkraft und der glücklicherweise Russisch sprechenden Schulbegleitung. „Die Verständigung ist natürlich nicht leicht“, sagt Annika. „Ich käme gern mit den Schülerinnen und Schülern direkt ins Gespräch, übersetze teils per Smartphone und versuche nun per App Ukrainisch zu lernen.“

Ungeachtet der Sprachbarriere hat sie bereits erste Unterrichtsstunden in Geschichte selbst gestaltet, etwa das Lehenswesen und Ständesystem des Mittelalters vorgestellt. „Es gilt jedes Thema – mindestens sprachlich – möglichst zu vereinfachen“, sagt sie. Ungeachtet der Altersspanne und der Umstände erlebe sie ihre Zeit in der Klasse als „fast normalen Unterricht – vielleicht etwas lebhafter“.

Auch Annika kann dabei von vorherigen ehrenamtlichen Erfahrungen zählen, etwa als bereits jahrelange Leiterin einer Gruppe von Neun- bis 13-Jährigen beim Jugendrotkreuz. Sie ist nun dankbar für die „Extraübung“ im Schulkontext, „denn praktische Erfahrung zu erwerben, war angesichts der Pandemie für Studierende ja zuletzt meist gar nicht so leicht“.

Die Studierenden hätten insgesamt mit einer großen Heterogenität ihrer geflüchteten Schützlinge umzugehen, auch „in den persönlichen und familiären Situationen“, betont Koordinator Matthias Schulden. „Sie sind in die soziale, emotionale und psychische Begleitung einbezogen, sie erfassen, wie sich die jeweilige Situation auf das schulische Lernen auswirkt und suchen nach Lösungen: So erproben und entwickeln die Studierenden ihre persönlichen und professionellen Kompetenzen, ob als zukünftige Lehrkräfte oder in anderen Berufsfeldern“, sagt er.

Dennoch würde Ann-Christin auch Studierende anderer Fächer, die gern mit Kindern arbeiten, ermutigen, sich auf diesem Feld zu engagieren. „Ich kann es allen nur empfehlen, falls sie die Zeit und das Interesse besitzen, zu helfen, da diese Arbeit eine große Bereicherung sein kann – zumindest ist das bei mir der Fall“, sagt sie. Annika kann ihr da nur beipflichten. „Wenn etwas verstanden wurde: Das Funkeln in den Augen, die Freude am Lernen zu erleben – das ist das Schönste.“

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