Homeoffice statt Hörsaal – aufgrund der Corona-Krise finden Lehrveranstaltungen im Sommersemester digital statt. Olaf Zawacki-Richter, Experte für Wissenstransfer und das Lernen mit neuen Technologien, erläutert, worauf es dabei ankommt.
Herr Professor Zawacki-Richter, digitale Lehrmethoden erleben gerade einen ungeahnten Aufschwung…
Das ist richtig - derzeit muss man niemandem erklären, wie wichtig digitale Lehre ist. Lehrvideos oder Diskussionsforen, in denen sich Studierende untereinander und mit den Lehrenden austauschen können– diese und weitere Formate werden uns jetzt alle beschäftigen.
Die Universität Oldenburg ist – in normalen Zeiten – eine klassische Präsenzuniversität. Wie lassen sich digitale Methoden in das Präsenzstudium einbinden?
Es geht darum, das Beste aus zwei Welten zu kombinieren: In der Präsenzlehre funktioniert der direkte Austausch mit anderen unmittelbarer, das E-Learning bietet mehr Flexibilität und individuelleres Lernen. Meiner Ansicht nach ist vor allem das Lernen mit Videoformaten, das sogenannte flipped learning, besonders interessant. Lehrende können Vorlesungen online stellen – nicht als 90-minütiges Lehrvideo, sondern in kürzeren Einheiten, zu denen sie weiterführende Fragen und Aufgaben stellen. An der Uni Oldenburg gestaltet der Sozialwissenschaftler Sebastian Schnettler seine Statistik-Vorlesung auf diese Art und wurde dafür im vergangenen Jahr mit dem Preis der Lehre ausgezeichnet.
Was für Vorteile hat diese Methode?
Studierende können sich die Videos anschauen, wann immer sie möchten – auch mehrmals, wenn sie etwas nicht auf Anhieb verstehen. Gerade bei Einführungsvorlesungen mit recht stabilen Inhalten, etwa im Bereich der Mathematik, finde ich die Methode auch für Lehrende sehr sinnvoll, da sich die Inhalte von Semester zu Semester kaum verändern. Die Videoformate könnten also immer wieder verwendet werden.
Bräuchte man dann gar keine Präsenzveranstaltungen mehr?
Ganz im Gegenteil. Sie könnten aber stärker dazu genutzt werden, über die Inhalte zu diskutieren und Fragen zu klären. Das wäre auch für die Lehrenden anregender, als jedes Semester die gleiche Vorlesung zu halten. Ganze Seminare online abzuhalten finde ich in Präsenzstudiengängen dagegen nicht vorteilhaft. Gerade jüngere Studierende brauchen äußere Strukturen und Unterstützung, die Präsenzveranstaltungen stärker bieten.
In manchen Bereichen ist der Online-Anteil des Studiums auch unabhängig von der derzeitigen Situation sehr hoch...
Ja, beispielsweise in den berufsbegleitenden Studiengängen des Centers für lebenslanges Lernen, die überwiegend aus Online-Modulen bestehen. In einigen Programmen gibt es sogar nur noch eine Präsenzphase, in der man sich auf dem Campus trifft. Eine zweite Präsenzphase findet komplett online statt. Hier halten die Studierenden beispielsweise PowerPoint-Präsentationen und filmen sich dabei. Das bietet nicht nur den Vorteil, dass sie von zu Hause aus arbeiten können, sondern sie werden auch methodisch auf mögliche spätere Arbeitssituationen vorbereitet – gerade in internationalen Unternehmen werden solche Anwendungen inzwischen häufig benutzt.
In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich auch mit E-Learning im internationalen Vergleich. Wie gut sind Universitäten in anderen Ländern auf die Corona-Krise vorbereitet?
Das hängt sehr davon ab, wie stark digitale Lehre dort bis jetzt verankert ist. In Deutschland gibt es zwar immer mehr internetgestützte Studiengänge und die Angebote der Fernuniversität Hagen. Trotzdem liegen wir noch hinter den Vorreitern des Fernstudiums wie etwa Großbritannien, Australien oder auch Südafrika. In Australien bieten viele Universitäten ihre Studiengänge in zweifacher Form an – als Präsenzstudium und als Online-Studium. Dort ist es jetzt natürlich leichter, Studieninhalte ins Netz zu verlagern. Eine Herausforderung bleibt es trotzdem, weil viele Lehrende und Studierende mit diesen Methoden nicht vertraut sind und sich erst umorientieren müssen.
Welchen Einfluss wird die Corona-Krise Ihrer Ansicht nach auf digitales Lehren und Lernen haben?
Insgesamt denke ich, dass die Lehre auch in der Zeit nach der Corona-Krise digitaler werden wird. Denn Studien zeigen, dass der Bedarf nach E-Learning bei Lehrenden und Lernenden wächst, wenn sie erst einmal Erfahrungen damit gemacht haben. Ich hoffe auch, dass Open Educational Resources (OER) jetzt stärkere Beachtung finden, also Lehrmaterialien, die mit offener Lizenz veröffentlicht werden. So bin ich gerade in einem Forschungsprojekt damit beschäftigt, ein Qualitätssicherungsinstrument für OER zu entwickeln. Für Niedersachsen wird gerade ein Online-Portal für freie Bildungsmaterialien aufgebaut. Hier sollen unter anderem für die Hochschullehre Lernmaterialien verfügbar gemacht werden, die wir für unsere Lehre nutzen, bearbeiten und auch wieder teilen können.
Interview: Iria Sorge-Röder