• Bisher erfahren Besucherinnen und Besucher noch wenig zu den Speeren und Schilden im Naturalienkabinett des Landesmuseums Natur und Mensch. Fotos: Hendrik Reinert REINERT FotoDesign

  • Jennifer Tadge ist Doktorandin am Institut für Geschichte der Universität und befasst mit der kolonialen Herkunft von Museumsobjekten. REINERT FotoDesign

  • „… in einer Hütte erbeutet“, notierte Johannes Langheld zu unfertigen Grasringen. Längst nicht alle Museumsobjekte sind so gekennzeichnet. Hendrik Reinert

  • In Museen in Tansania stieß Jennifer Tadge auf Objekte, die denen aus der Sammlung des Landesmuseums Natur und Mensch sehr ähnlich waren – beispielsweise ein Holzgefäß für Milch. Hendrik Reinert

  • Etwa die Hälfte der ethnologischen Sammlungsobjekte im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg stammt aus ehemaligen Kolonien. REINERT FotoDesign

  • Im sogenannten Naturalienkabinett des Landesmuseum fügten Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf bunten Zetteln Informationen über die koloniale Herkunft der Objekte hinzu. REINERT FotoDesign

Erbeutet – gekauft – geschenkt?

Etwa die Hälfte der ethnologischen Sammlungsobjekte im Landesmuseum Natur und Mensch kommt aus ehemaligen Kolonien. Jennifer Tadge, Doktorandin am Institut für Geschichte, befasst sich mit ihrer Herkunft.

Etwa die Hälfte der ethnologischen Sammlungsobjekte im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg kommt aus ehemaligen Kolonien. Worum handelt es sich dabei – um Beute, Geschenke oder Käufe? Oder sind diese Begriffe generell unpassend? In ihrer Doktorarbeit am Institut für Geschichte beschäftigt sich Jennifer Tadge mit diesen Fragen.

Sie hängen an einer Wand im sogenannten Naturalienkabinett des Landesmuseum Natur und Mensch: sechs Speere und fünf Schilde. Wie sind sie hier hingekommen, woher kommen sie, wem haben sie früher gehört? Dazu gibt es aktuell nur wenige Informationen. „Lederschilde der Massai, Ost-Afrika“ und „Speere der Massai, Ost-Afrika“, heißt es schlicht auf einer Schrifttafel. Aus Sicht von Jennifer Tadge ist das zu wenig. Sie ist Doktorandin am Institut für Geschichte der Universität und gleichzeitig beim Landesmuseum angestellt. In ihrer Forschung untersucht sie, wie Objekte aus ehemaligen Kolonien ins Museum kamen. Diese machen etwa die Hälfte der ethnologischen Sammlung des Landesmuseums aus, die meisten sind seit Ende des 19. Jahrhunderts im Museum.

Mehr als hundert Jahre lang befasste sich das Museum kaum mit der Herkunft dieser Gegenstände. Das ändert sich gerade: Gemeinsam mit fünf anderen Einrichtungen aus Niedersachsen startete das Landesmuseum im Jahr 2018 das Projekt PAESE (Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen). Die beteiligten Institutionen, darunter zum Beispiel das Landesmuseum Hannover oder das Städtische Museum Braunschweig, wollen Grundlagenforschung zu ihrem kolonialen Erbe betreiben. Dazu gehört auch, dass sie mit Forschenden aus den Herkunftsgesellschaften zusammenarbeiten und ihre Ergebnisse für die Öffentlichkeit sichtbar machen, beispielsweise in einer digitalen Objektdatenbank.

Sammeln beim Militär

Tadge, die in Leipzig Ethnologie, Museologie und Arabistik studiert hatte, absolvierte bereits ab 2014 ein Volontariat im Landesmuseum. Die Forschung im Rahmen des Projekts ist Teil ihrer Doktorarbeit: Tadge promoviert bei Prof. Dr. Dagmar Freist, Hochschullehrerin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität. Tadges Arbeit begann damit, dass sie sich einen Überblick über die Sammlung und die verschiedenen Objekte verschaffte. „Von den etwa 3.500 Objekten, die aus ehemaligen Kolonien kommen, stammt ein großer Teil – etwa 1000 – aus der Sammlung der Langheld-Brüder“, berichtet sie.

Wilhelm, Johannes und Friedrich Langheld waren als Militärangehörige Ende des 19. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika stationiert, die größtenteils auf dem Gebiet des heutigen Tansania lag. Neben ihren militärischen Aufgaben waren sie auch im Austausch mit Berliner Museen, für die sie Objekte sammelten. „Daher lässt sich annehmen, dass sich die Brüder viele Objekte in Gewaltkontexten, etwa bei Kämpfen mit der indigenen Bevölkerung, aneigneten“, sagt Tadge. Doch wie lässt sich im Einzelnen feststellen, ob das wirklich der Fall war?

Falsche Geschenke, unfaire Käufe

Manchmal ist das ganz einfach: „In einer Hütte erbeutet“ steht in der Handschrift von Johannes Langheld auf unfertigen Grasringen. Das bedeutet: Hier handelt es sich nicht um ein Geschenk und auch nicht um einen Kauf. Stattdessen liegt die Vermutung nahe, dass die Brüder die Ringe nach einem Kampf gegen die indigene Bevölkerung mitgenommen haben. Um diese Annahme zu bestätigen, befasst sich Tadge mit weiteren Quellen. Dazu gehören beispielsweise Berichte, die Wilhelm Langheld in seiner Funktion als Hauptmann schreiben musste und in denen er kriegerische Auseinandersetzungen erwähnt. Aus den verschiedenen Quellen ergibt sich für die Wissenschaftlerin langsam ein Bild von den unterschiedlichen Kontexten, in denen die Brüder in den Besitz der heutigen Museumsgegenstände kamen – von Diebstählen über Käufen bis zu Schenkungen.

Doch gerade an diesen Begriffen scheiden sich unter Forschenden die Geister. Denn was versteht man im Kontext des Kolonialismus unter einem Geschenk oder einem Kauf? „Einige Forschende vertreten die Auffassung, dass es in einem asymmetrischen Machtgefälle wie dem zwischen europäischen Kolonialherren und der indigenen Bevölkerung so etwas wie ein Geschenk oder einen fairen Kauf gar nicht geben kann“, sagt Tadge. Auch sie plädiert dafür, in diesen Fällen die historischen Hintergründe genau zu recherchieren und Begriffe zu hinterfragen. „Auf der anderen Seite halte ich es durchaus für denkbar, dass die indigene Bevölkerung bewusst mit den Europäern handelte, um eigene Vorstellungen und Ziele durchzusetzen“, merkt sie an. Wer so argumentiere, spreche der einheimischen Bevölkerung selbstständiges Handeln zu, anstatt sie bloß als Spielball der Kolonialmächte zu sehen.

Forschen zwischen Oldenburg und Tansania

Vielleicht diskutieren Expertinnen und Experten auch deshalb so kontrovers über diesen Punkt, weil sich unter anderem daran entscheidet, ob Museen Objekte aus ihren Sammlungen an Vertreterinnen und Vertreter der Herkunftsgesellschaften zurückgeben sollten. Zuletzt stand diese Frage bei der Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums im Dezember 2020 im Raum. Im wiederaufgebauten Berliner Schloss sollten unter anderem die sogenannten Benin-Bronzen gezeigt werden – Tafeln und Skulpturen aus Westafrika, die als Beutekunst nach Europa kamen. Seit den 1970er-Jahren versucht die nigerianische Regierung, einige der Objekte zurückzuerhalten. Inzwischen kommt Bewegung in die Debatte: 2022 sollen erste Objekte nach Nigeria zurückkehren.

Dass Vertreterinnen und Vertreter der Herkunftsländer Objekte zurückfordern, hat es am Landesmuseum noch nicht gegeben. Tadge tauscht sich aber mit Forschenden aus Tansania aus: Eine Mitarbeiterin des dortigen Nationalmuseums hat sich bereits die Oldenburger Sammlung angeschaut, umgekehrt hat Tadge in verschiedenen Museen in Tansania für ihre Forschung recherchiert. Immer wieder stieß sie dort auf Objekte, die denen in der Oldenburger Sammlung sehr ähnlich waren. „Teilweise konnte ich dabei herausfinden, von welchen Bevölkerungsgruppen sie kamen. So stellte sich manchmal heraus, ob sie eher der einfachen Bevölkerung oder Häuptlingen und Königen gehört hatten – oder ob es sich beispielsweise sogar um königliche Insignien handelte“, sagt sie.

„Gleichzeitig historisch und brandaktuell"

Nicht nur Forschungseinrichtungen in Afrika, auch politische Parteien oder interessierte Bürger_innen in Oldenburg fragen immer wieder an, wie das Landesmuseum mit seinem kolonialen Erbe umgeht. Einen ersten Vorstoß hat das Museum bereits unternommen, um seine Forschung sichtbar zu machen: Im sogenannten Naturalienkabinett haben die Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter Hinweise auf die koloniale Herkunft einiger Objekte ergänzt. Besucherinnen und Besucher konnten dazu ihre Meinung äußern – und die fiel in den meisten Fällen positiv aus, sagt Tadge. Viele hatten zuvor genauere Informationen darüber vermisst, auf welchem Wege die Objekte ins Museum gekommen waren.

Inwiefern sie und ihr Team nach Abschluss des Projekts in diesem Jahr weiter zu dem Thema forschen und ihre Ergebnisse präsentieren können, ist indessen unklar. Noch fehlen Gelder, um die Arbeit fortführen zu können. Tadge jedenfalls wünscht sich, auch in Zukunft zur kolonialen Herkunft von Museumsobjekten zu forschen – auch weil das Thema in der Öffentlichkeit immer präsenter wird. „Meine Arbeit ist gleichzeitig historisch und brandaktuell.“

Der Beitrag erschien zuerst im Blog "Forschungsnotizen" der Innovativen Hochschule Jade-Oldenburg!

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