Lehren, komponieren, Veranstaltungen organisieren – 25 Jahre lang hat die Komponistin Violeta Dinescu das Musikleben an der Universität und weit darüber hinaus bereichert. Nun tritt sie in den Ruhestand. Eine Begegnung im Frühjahr 2019.
Ein Vormittag im Semester. Violeta Dinescu geht durch die Gänge des Instituts für Musik. Wem sie begegnet, ob Studierenden oder Lehrenden, widmet sie ein Lächeln, eine Umarmung, einen herzlichen Gruß. Seit mehr als 20 Jahren lehrt die Komponistin an der Universität, hat etliche Generationen von jungen Menschen in ihrem musikalischen Wirken inspiriert.
Bevor Dinescu nach Norddeutschland kam, hatte sie an Hochschulen in Heidelberg, Frankfurt und Bayreuth unterrichtet – vor allem Musiktheorie und Harmonielehre. Schon als Studentin in Bukarest habe sie junge Menschen auf die Aufnahmeprüfung am Konservatorium Ciprian Porumbescu (heute Nationale Musikuniversität Bukarest) vorbereitet, erzählt die gebürtige Rumänin. „Unterricht ist meine Leidenschaft – und eine wohltuende Ergänzung zum Komponieren. Denn das ist eine einsame Tätigkeit, dabei bin ich ein kommunikativer Mensch“, sagt sie.
1982 war die damals 29-Jährige für eine Preisverleihung aus Rumänien nach Deutschland gekommen. Der Aufenthalt sollte nur drei Tage dauern. Doch sie blieb für immer, nicht zuletzt weil ihr die schwierigen politischen Verhältnisse in ihrer Heimat eine Rückkehr erschwerten. „Ich konnte damals kaum Deutsch sprechen“, erzählt Dinescu. Aber sie habe sich schon immer für deutsche Musikwissenschaft begeistert – und durch das Lesen von Fachliteratur einen ersten Zugang zur Sprache erhalten.
Als sie hierzulande Fuß fassen wollte, unterstützt vom Heidelberger Musikwissenschaftler Prof. Dr. Ludwig Finscher, musste sie für eine Sprachprüfung innerhalb kürzester Zeit Deutsch lernen. Eine Herausforderung, die sie dank der Lektüre von Mario Simmels Roman „Es muss nicht immer Kaviar sein“ und viel Fernsehen meisterte, wie sie sich lachend erinnert.
„Ich plane mathematisch - es klingt aber rumänisch"
Längst fühlt sich die Komponistin auch in der deutschen Sprache zu Hause. Ihr gefällt, dass sie hierzulande Wörter nach dem Baukastenprinzip zusammensetzen kann: „Das bereitet gut auf das Komponieren vor“, sagt sie augenzwinkernd. Doch gerade in der Musik trägt Dinescu ihre Heimat noch im Herzen: „Ich habe mir meine musikalische Quelle bewahrt“, sagt sie. So greife sie beim Komponieren immer wieder auf traditionelle rumänische Elemente zurück. „Ich plane mathematisch – es klingt aber rumänisch“.
Etliche Preise hat sie in den vergangenen Jahrzehnten für ihr musikalisches Schaffen gewonnen – es reicht von Instrumentalmusik, Chorliteratur, Musik für Kinder, Filmmusik bis zu Opern. 1996 initiierte Dinescu zudem das Archiv für osteuropäische Musik – eine umfangreiche Sammlung von Musik und Musikschriften aus dem gesamten Osten Europas. Und seit 2006 organisiert sie mit ihrem Kollegen, dem Musikwissenschaftler Roberto Reale, das Symposium ZwischenZeiten in „fruchtbarer Zusammenarbeit“, wie sie sagt – nicht zuletzt, um die Musikwelten West- und Südosteuropas zu verbinden.
Mathematik spielt in Dinescus Schaffen eine besondere Rolle. Die Welt der Zahlen sei für sie eine Welt der Wahrheiten, sagt die Komponistin. Die Logik, die sich bei genauem Hinsehen beispielsweise in den Werken Beethovens findet, fasziniert sie. Ihre eigene Musik konstruiert sie ebenfalls nach logischen Prinzipien. Wobei der Klang nicht minder wichtig sei, betont Dinescu: „Ich verwende nicht alle Töne, wie es im 20. Jahrhundert üblich war, sondern arbeite mit Tonzentren. Dabei möchte ich zu einem Klangraum kommen, der wahrhaftig ist.“
Die Studierenden sollen ihren eigenen Weg finden
Wenn die Komponistin über ihre musikalische Arbeit spricht, funkeln ihre Augen. Ihre Erzählungen sind mit Anekdoten gespickt – über Studierende, die bei ihr das Komponieren lernen, über Freunde, für die sie Stücke komponiert hat, oder über andere Künstler, von denen sie sich zu einem Werk hat inspirieren lassen. „Wahrhaftig“ ist ein Wort, das sie dabei oft verwendet. Denn vor allem dies möchte sie ihren Studierenden mitgeben: „Ein gute Kompositionslehre ist diejenige, die die jungen Menschen animiert, wahrhaftig das zu tun, was sie innerlich fühlen“, sagt Dinescu. „Ich möchte ihnen auf gar keinen Fall sagen, was sie tun sollen. Sie sollen ihren eigenen Weg finden.“
Allerdings – da ist sie ganz Hochschullehrerin – gehörten zum Komponieren auch wichtige handwerkliche Aspekte, betont sie. Zwar könne man heute mit Computern leicht elektronische Klänge erzeugen und komplexe Strukturen kreieren. „Dennoch muss man selbst erfahren: Wie spielt man ein Instrument?“ Denn nur wer die akustischen Eigenheiten etwa eines Klaviers oder eines Streichinstruments kenne, sei in der Lage, auch für diese zu komponieren, sagt sie. „Manche Stücke sehen zwar leicht aus. In Wirklichkeit ist es aber fast unmöglich, das Stück zu spielen, weil es dem Instrument nicht gerecht wird.“ Ob die Studierenden mit ihrer Hilfe tatsächlich einen eigenen Weg gefunden haben, sieht Dinescu am Ende eines Semesters. Dann nämlich stellen die Nachwuchsmusiker – oft mit Freude und Stolz – ihre Werke im Komponisten-Colloquium vor.
Die wöchentliche Colloquienreihe, die die Komponistin gemeinsam mit Roberto Reale organisiert, ist eine Erfolgsgeschichte: Seit 1996 stellen Komponisten, Musiker, Musikwissenschaftler, Philosophen oder Wissenschaftler ihre Arbeiten in Oldenburg öffentlich vor. Von Beginn an habe die Veranstaltung eine gute Resonanz gehabt. „Und es ist eine fantastische Möglichkeit, Menschen kennenzulernen“, sagt sie. Das Colloquium erlaube ihr, Referenten aus aller Welt nach Oldenburg zu holen. Inzwischen ist die Veranstaltung ein Selbstläufer: „Ursprünglich kamen meine Bekannten und Freunde, die wiederum andere Bekannte und Freunde informierten. Seit Jahren muss ich nicht mehr fragen: Möchtest Du kommen? Bis zum Sommersemester 2021, wenn ich in Pension gehe, sind die Termine verplant.“
Dieser Text ist zuerst im April 2019 in der Hochschulzeitung Uni-Info erschienen. Autorin: Constanze Böttcher