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Interview: Die Kluft verringern

Interview: Meereslebewesen halten sich nicht an Grenzen

Arbeitsgruppe Planktologie

Vita

Prof. Dr. Helmut Hillebrand, einer der international meistzitierten Biodiversitätsexperten, ist Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB). Seit 2008 leitet er am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) die Arbeitsgruppe Planktologie. 2018 erhielt er für sein Engagement bei der Gründung des HIFMB die Plakette des Präsidenten der Universität. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen die Biodiversität und Nahrungsnetzstruktur aquatischer Systeme.

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Prof. Dr. Helmut Hillebrand

Institut für Chemie und Biologie des Meeres

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  • Das Foto zeigt eine Unterwasseraufnahme von Fischen, Schwämmen und Korallen in einem Korallenriff.

    Korallenriffe bedecken nur etwa ein Prozent des Meeresbodens, beherbergen aber rund 25 Prozent des Lebens im Meer. Sie gehören damit zu den artenreichsten Ökosystemen auf der Erde. Wie viele Ökosysteme weltweit sind auch Korallenriffe bedroht. In den vergangenen 150 Jahren ist die Zahl der lebenden Korallen in Riffen um die Hälfte zurückgegangen. Fast ein Drittel aller riffbildenden Korallen ist bedroht. Foto: Peter Schupp/ Universität Oldenburg

„Wir müssen Natur mit und nicht gegen Menschen denken“

Biodiversität, die Vielfalt von Ökosystemen, Lebewesen und ihren Wechselwirkungen, ist trotz aller Bemühungen bedroht wie nie zuvor. Helmut Hillebrand im Interview über 30 Jahre Rio-Konvention und die fundamentale Rolle von biologischer Vielfalt:

Biodiversität – die Vielfalt von Ökosystemen, Lebewesen und ihren Wechselwirkungen – ist trotz aller Bemühungen bedroht wie nie zuvor. Im Interview spricht Helmut Hillebrand über 30 Jahre Rio-Konvention und die zentrale Rolle, die Biodiversität auf unserem Planeten spielt.

Herr Professor Hillebrand, am Sonntag ist der Internationale Tag der Biologischen Vielfalt. Warum ist Biodiversität überhaupt wichtig für uns Menschen?

Fast alle Prozesse auf der Erde, von denen wir als Menschen abhängig sind – der Sauerstoff, den wir atmen, die Nahrung, die wir zu uns nehmen – sind biologische Errungenschaften und hängen direkt mit der Biodiversität zusammen. Ohne Biodiversität kein menschliches Leben. Und: Biodiversität ist das entscheidende Merkmal unseres Planeten. Ich glaube, daraus ergibt sich auch eine ethische Verpflichtung zum Schutz der Biodiversität.

Bereits 1992 wurde das erste Übereinkommen über die biologische Vielfalt ratifiziert, die Convention on Biodiversity, kurz CBD. Diese so genannte Rio-Konvention war der erste globale rechtliche Rahmen zum Schutz von Biodiversität.

Dass es zur Rio-Konvention gekommen ist, war etwas Außergewöhnliches und wurde damals sehr gefeiert. Die Ratifizierung hat einen wichtigen Prozess angestoßen.

Dennoch stellte das internationale Wissenschaftsgremium IPBES 2019 in einem Bericht fest: “Durch menschliche Handlungen sind heute mehr Arten als je zuvor weltweit vom Aussterben bedroht.“ Hat sich seit dem ersten Übereinkommen nichts verbessert?

Ja, leider. Und es kommt sogar noch schlimmer. Die Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, hatten 2010 die sogenannten Aichi-Ziele formuliert. Ziel war, bis 2020 den Verlust an Biodiversität einzugrenzen. Doch der Bericht dazu, der im Herbst 2020 erschienen ist, musste feststellen: Wir haben kein einziges dieser Ziele erreicht. Eines der Ziele war beispielsweise, die globale Aussterberate von Arten zu reduzieren. Und das haben wir nicht geschafft – obwohl wir sehr viel investiert haben in Naturschutz.

Woran liegt das?

Das Problem ist dreierlei. Als erstes wurden die zusätzlichen Investitionen in Naturschutzgebiete aufgefressen durch stärkeren Druck auf die Umwelt. Wir haben die Belastungen auf die Biodiversität, die durch den Flächenverbrauch, durch Verschmutzung oder durch Übernutzung entstehen, nicht reduziert. Das zweite ist: Biodiversität ist ein konstanter Wandel. Es gibt kein einfaches Zurück zu einem wie auch immer gearteten schönen Gestern, denn die Art der Interaktion zwischen Organismen ist vielfältig und komplex. Und das dritte ist, dass viele Maßnahmen, die im Prinzip sinnvoll sind – beispielsweise ein Gebiet unter Naturschutz zu stellen – nicht ausreichend umgesetzt und überwacht werden können. Oft fehlen dafür die entsprechenden Mittel und das Personal. Das ist ein großes Problem bei Meeresschutzgebieten zum Beispiel.

Das Motto des diesjährigen Internationalen Tags der Biodiversität ist „Building a shared future for all life“ – also eine gemeinsame Zukunft für alles Leben zu gestalten. Und die Vision für 2050 besteht laut CBD darin, „in Harmonie mit der Natur zu leben“.  Wie kann das gelingen?

Das ist natürlich ein relevantes Ziel. Aber das große Problem ist, dass es nicht messbar ist. Was heißt denn „in Harmonie mit der Natur leben“? Und woran erkennen wir, wenn wir es tun? Und welche Schritte, die messbar sind, wären die richtigen? Es ist immer auch ein Hinterfragen notwendig. Zum Beispiel gibt es das 30-30-Ziel. Das bedeutet, dass 30 Prozent der Fläche weltweit bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden sollen. Die Frage ist: Wer sucht diese Flächen aus? Und was bedeutet das etwa für die Möglichkeiten von sich entwickelnden Ländern? Und ein Gebiet unter Schutz zu stellen, heißt ja nicht, dass dies auch akzeptiert, überwacht und sanktioniert wird. Wir brauchen also auf dem Weg Ziele, die messbar sind, die mit Managementmaßnahmen umgesetzt werden können und auf die sich auch viele einigen können. Das ist die große Schwierigkeit. Das können wir nur global lösen – ähnlich wie die Klimafrage. Das bedeutet natürlich auch, dass es viel Diskussion über Interessensausgleich geben muss. Und dafür braucht es einen solchen Rahmen wie die CBD und den IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), der den Stand der Wissenschaft zusammenfasst.

Gibt es denn positive Beispiele dafür, dass ein solcher Schutz auch gelingen kann?

Es ist beispielsweise ein großer Gewinn, dass ein Großteil der Wattenmeerküste Deutschlands unter Schutz steht und damit verbunden ein sehr hoher Aufwand betrieben wird, das Gebiet zu beobachten und den Zustand zu bewerten. Aber man sieht auch die Grenzen. Denn bestimmte Aktivitäten sind eben nicht untersagt, also etwa Fischerei, Schifffahrt und so weiter. Und wir können das System vor bestimmten Einflüssen gar nicht schützen, etwa vor Erwärmung oder vor dem Eintrag über Flüsse. Nur einen Teilbereich unter Schutz zu stellen, reicht also nicht aus. Und: Es geht nicht darum, eine heile Welt zu definieren. Es gibt keine vom Menschen unbeeinflusste Natur. Wir können nur Einflüsse zurückdrehen und wir müssen Natur mit Menschen denken und nicht Natur gegen Menschen.

Das Thema Klimawandel, zum Beispiel, spielt eine große Rolle in öffentlichen Debatten, aber das Thema Biodiversität nicht so sehr. Warum?

Ich glaube, das liegt an zwei Dingen. Das erste ist: Wenn wir über Klima reden, reden wir über Dinge, die jede Person sofort versteht, zum Beispiel Temperatur. Wir haben eine Skala, und wir wissen: 20 Grad ist warm, fünf Grad ist kalt. Biodiversität ist eine sehr komplexe Eigenschaft von Lebensgemeinschaften. Man kann etwa zählen, wie viele unterschiedliche Arten es gibt, oder betrachten, wie vernetzt unterschiedliche Arten miteinander sind. Es gibt viele unterschiedliche Aspekte von Diversität, die nicht so einfach zu kommunizieren sind wie Temperatur. Das zweite ist: Der Wandel von Biodiversität ist viel komplexer als der messbare Klimawandel. Natürlich ist das Klimasystem ebenfalls komplex. Aber das, was wir erleben, ist ein Anstieg von Temperatur. Das, was wir bei Diversität sehen, ist, dass einige Arten aussterben. Andere Arten kommen dazu. Die Dominanz von Arten verändert sich. Und all diese Aspekte finden zeitgleich statt. Wir haben also ein sehr vielfältiges Geschehen, das man nicht einfach beispielsweise mit einer Kurve zeigen könnte.

Wie können wir die enorme Bedeutung der Biodiversität mehr in den Mittelpunkt rücken?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, Kenntnisse über Biodiversität zu vermitteln. Nicht nur in der Schule, sondern auch in der Erwachsenenbildung. Wir müssen darauf hinwirken, dass die Menschen verstehen, was Biodiversität eigentlich ist. Zu erkennen, wie sich Natur verändert, ist eben nicht wie eine Erwärmung auf der Haut zu spüren. Man muss hingehen, man muss sich das anschauen. Wir nehmen Natur aber als gegeben hin – dass etwas wächst und wir Nahrung haben. Dass aber zum Beispiel Obst nicht ohne Bestäuber wächst und dass in Gegenden, in denen die Bestäuber rar geworden sind, man von Hand bestäuben muss, zeigt einem an einem Beispiel, wie wichtig Biodiversität ist. Der entscheidende Punkt ist: Biologische Vielfalt spielt für uns eine zentrale Rolle, wir sind fundamental von der Natur abhängig. Dies müssen wir erkennen und wertschätzen.

Interview: Constanze Böttcher

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(Stand: 03.12.2024)  | 
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