• In der Uni-Buchhandlung, die es noch nicht gab, als sein Vater in Oldenburg lebte: Der 26-jährige Lucien Minka studiert Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.

Student aus Kamerun: „Es ist wichtig, sich zu beteiligen”

Lucien Minka studiert an der Universität Oldenburg. Nebenher arbeitet er mit Kindern und Jugendlichen sozial benachteiligter Familien. Schon sein Vater fand den Weg aus Kamerun an die Universität Oldenburg – in den 1970er Jahren, unter kaum vorstellbaren Bedingungen.

Lucien Minka studiert an der Universität Oldenburg. Nebenher arbeitet er mit Kindern und Jugendlichen sozial benachteiligter Familien. Schon sein Vater fand  den Weg aus Kamerun an die Universität Oldenburg – in den 1970er Jahren, unter kaum vorstellbaren Bedingungen.

Der Anfang der Geschichte ist eine Grenzerfahrung. Er handelt davon, wie ein junger Mann aus Kamerun im Herbst 1973 nach Deutschland reist. Als blinder Passagier, ohne Pass, ohne Einreisevisum und ohne Deutschkenntnisse. In Bremen geht er von Bord, barfuß irrt er durch die Stadt. Irgendwann findet er Hilfe, aber das ist schon nicht mehr der Anfang der Geschichte.  

Die Geschichte ist wirklich passiert. Anatole Minka beschreibt sie rückblickend in seinem Buch „Ein Schwarzafrikaner aus Oldenburg“. Es ist der Beginn eines zehnjährigen Aufenthalts in Norddeutschland, der Weg von einem, der unbedingt lernen will. Und der sich als einer der ersten ausländischen Studierenden an der Universität Oldenburg einschreibt.
 
40 Jahre später sitzt sein in Kamerun geborener Sohn Lucien auf dem Mensavorplatz derselben Universität. Gleich beginnt sein Seminar, es geht auf die Semesterferien zu, Prüfungen stehen an. „Mein Vater hat mir in Kamerun viel über Deutschland erzählt. Er hat mir Kontakte mitgegeben, die mir in der Anfangszeit sehr geholfen haben. Und er hat mir beigebracht, wie wichtig Bildung und der Einsatz für sie sind.“ Deutsch gelernt hat der 26-Jährige schon in Kamerun. „Ich habe mich gezielt gekümmert und mein Abitur bereits in Kamerun gemacht. Es war klar, dass ich es nicht wie mein Vater ohne höheren Schulabschluss hierher schaffen würde.“

27 ausländische Studierende gab es 1975 an der Universität Oldenburg, es war das zweite Studienjahr, der Campus bestand aus gerade einmal zwei Gebäuden. Luciens Vater wählte Evangelische Theologie, Sozialkunde, Politik und Erziehungswissenschaften. 1982 schloss er sein Studium als Diplompädagoge und Gymnasiallehrer erfolgreich ab. Er wurde Beamter im höheren Dienst im Erziehungsministerium Kameruns, leitete Infrastrukturprojekte.

Im Jahr 2015 gibt es auf dem Oldenburger Unigelände nicht mehr nur zwei Gebäude, sondern zwei Campus, es sind nicht mehr 27, sondern mehr als 1.000 ausländische Studierende, die die Universität ausbildet. Lucien studiert Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften als Zwei-Fächer-Bachelor. „Ich möchte wissen, wie die Wirtschaft funktioniert, und die Sozialstrukturen in Deutschland verstehen.“

Viel ist passiert, seit Lucien vor vier Jahren nach Oldenburg gekommen ist. Er hat die Komfortzone des Studentenwohnheims verlassen, in der die Kommilitonen seines Landes gern unter sich bleiben. Er hat deutsche Freunde gefunden, er hat geheiratet, und er hat ein Thema gefunden, das ihm wichtig ist. „Viele sind nicht richtig integriert“, sagt Lucien, „und viele versuchen auch gar nicht erst, das System kennenzulernen, aber es ist so, dass jeder auf den anderen zugehen muss.“ Er beobachtet das für die gesamte Stadt. „Wenn die Leute sich nicht integrieren, wie sieht Oldenburg dann in zehn Jahren aus?“

Die Frage treibt ihn um. Neben seinem Studium engagiert sich Lucien im Jugendmigrationsdienst, außerdem arbeitet er als Streetworker bei der Jugend- und Familienhilfe (Jufa). Er spricht viel mit Kindern und Jugendlichen sozial benachteiligter Familien. Dabei komme ihm seine Hautfarbe zugute, sagt Lucien. „Ich bin selbst Ausländer, komme nicht vom Jugendamt, kann mit den Jugendlichen Klartext sprechen, sie darin unterstützen, sich mehr zuzutrauen, etwas aus sich zu machen, sich zu beteiligen.“

Regelmäßig telefoniert er mit seinem Vater, erzählt ihm, wie die Prüfungen verlaufen, was seine Arbeit macht. Einmal im Jahr ist er selbst in Kamerun. Es gibt Dinge, die es nur dort gibt, und Dinge, die es nur hier gibt. „In Kamerun trifft man sich nach der Schule, man redet und redet, vermischt alles, die Themen gehen nie aus“, sagt Lucien. Das sei in Deutschland anders, es sei vielleicht das Einzige, was ihm fehle manchmal, diese zweckfreie Spontaneität, diese ins Nichts laufende Lust am Parlieren. 

Das ging auch seinem Vater schon so. Der wunderte sich manchmal darüber, dass es Heime gibt, in denen nur alte Menschen wohnen, dass Kinder nicht wie in Kamerun frei herumlaufen dürfen und dass die Deutschen „bis an die Zähne versichert sind“. Manche, schreibt Anatole Minka, schauten nach, ob schwarze Farbe an ihren Händen haftet, nachdem er sie per Handschlag begrüßte. Zugleich betont er immer wieder, wie sehr sich deutsche Freunde und Bekannte für ihn einsetzten, wie zum Beispiel Professoren und andere Unimitarbeiter mit ihm zur Polizei gingen, um seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen.

Auch Lucien berichtet, dass er in schwierigen Situationen viel Unterstützung bekommen habe. „Ich bin dafür sehr dankbar.“ Er kann sich vorstellen, länger zu bleiben in Deutschland, irgendwann in der sozialen Integration hauptberuflich tätig zu sein. „Doch das ist später. Man kann das Leben nicht so mathematisch sehen.“ Der Satz hätte auch in dem Buch seines Vaters stehen können. Vielleicht gibt es bald eine Gelegenheit, ihm das neue, das andere Oldenburg zu zeigen, das Oldenburg von Lucien. „Mein Vater kommt wahrscheinlich im März zu Besuch.“ Es wäre schön, dann eine Veranstaltung mit und über ihn zu organisieren, sagt Lucien. „Aber jetzt sind erstmal Prüfungen.“

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(Stand: 27.02.2024)  | 
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