Kritik Wintersemester 2005/06

Kritik Wintersemester 2005/06

Konzertkritik in der Nord-West-Zeitung vom 4. Februar 2006:

Das Geheimnis des luftigen Orchester-Klanges

Semester-Abschlusskonzert in der Universität - Werke von Haydn, Beethoven und Mendelssohn

VON HORST HOLLMANN

OLDENBURG - Wer Haydn spielen kann, kann alles spielen - wer alles spielen kann, kann aber Haydn noch lange nicht! Derart drastisch hat Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, das Problem umrissen, heute den revolutionären Sinfoniker und die Klassiker überhaupt aufzuführen. Sein Wort mag den Mut erhellen, mit dem sich das Uni-Orchester im Semester-Abschlusskonzert an Josef Haydn, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn-Bartholdy heranmachte.

Das vermeintlich Leichte verlangt Gleichmäßigkeit, Genauigkeit und Geist, und auch weniger geschulte Hörer erkennen oder ahnen ein Misslingen. Wenn der Beifall in der fast voll besetzten Aula herzlich ausfiel, so zeugte das von mehr beglückenden als verschreckenden Momenten unter Rida Murtadas schulmäßiger (nicht: schulmeisterlicher) Leitung.

Der deutsch-jordanische Dirigent hielt bei ruhigem Zeitmaß das Grundtempo des breiten Kopfsatzes in Beethovens Violinkonzert stringent durch. Er weichte die Strukturen auch an den "schönen Stellen" selten durch Dehnungen auf. Neben dem Solisten Vasile Darnea hatte er dabei die kultivierten Streicher auf seiner Seite. Der in Bremen lebende rumänische Geiger erzeugte mit wenig Vibrato den feingliedrigen Silberton, der als modern gilt. Der 30-Jährige wagte trotz sattelfester Technik nicht zu viel und brachte keine Mitstreiter in Verlegenheit. Ähnlich erreichte in der Hebriden-Ouvertüre das Orchester frühzeitig Mendelssohns geheimnisvollen luftigen Klang.

Den tiefsten Eindruck machte Haydns Sinfonie Nr. 99 Es-Dur. Die handwerkliche Sicherheit erlaubte das Eingehen auf die dämonischen Züge dieser Sinfonie. Vor allem im Adagio stellten die Musiker jenen Eindruck her, dass die Fröhlichkeit nur noch vordergründig, aber innerlich nicht echt ist: die Es-Dur-Sinfonie als ein Werk aufziehender Abschieds-Trauer. Überzeugend trieb Murtada dieser Musik alle Biederkeit aus, die sie nur hat, wenn sie unterschätzt wird. Und diesen Fehler hat das Uni-Orchester nicht begangen.

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