• Bananen als Eingabegeräte: In Lerneinheiten, die die Oldenburger Informatikdidaktik entwickelt hat, sollen Jugendliche Informatiksysteme selbst kreativ mitgestalten. Foto: Wissensfabrik / Boehringer Ingelheim.

  • Mehr als zwanzig Unterrichtsmodule zu Themen wie Virtual Reality, 3D-Druck oder Robotik sind bisher entstanden. Foto: Wissensfabrik

Informatikunterricht: Vom Anwenden zum Verstehen

Wie arbeiten Computer? Und wie funktioniert das Internet? Das zu vermitteln ist für fachfremde Lehrkräfte eine Herausforderung. Die Oldenburger Informatikdidaktik hat praxisnahe und frei verfügbare Unterrichtsmaterialien entwickelt.

Kaum ein Kind wächst heute ohne mobile Endgeräte auf. Doch wie Computer oder Internet funktionieren, verstehen auch manche Lehrkräfte nur in Ansätzen. Informatikdidaktikerin Ira Diethelm und ihr Team möchten das ändern und entwickeln frei verfügbare Unterrichtsmaterialien.

Ob in der Schule, bei den Hausaufgaben, zum Austausch mit Freundinnen mit Freunden oder zum Spielen: Digitale Medien gehören für die meisten Kinder und Jugendlichen zum Alltag. Doch über die Funktionsweise von Smartphones und Tablets oder den Aufbau des Internets wissen sie oft nur wenig. Ändern könnte sich das durch mehr Informatikunterricht an den Schulen. Während dieser lange ein Schattendasein fristete, führen inzwischen immer mehr Bundesländer Informatik als Pflichtfach ein.

Prof. Dr. Ira Diethelm begrüßt diese Entwicklung. Doch sie gibt auch zu bedenken, dass nur an wenigen Universitäten ein Lehramtsstudium in Informatik möglich ist. Die Folge: Viele Lehrkräfte unterrichteten fachfremd und müssten sich Unterrichtsinhalte und -methoden selbstständig aneignen.

Unterrichtshilfen zum freien Herunterladen

Besonders diese fachfremden Lehrkräfte hatte Diethelm vor Augen, als sie 2014 mit dem Projekt „IT2School – Gemeinsam IT entdecken“ begann. Finanziert und initiiert wurde das Projekt von der Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland e.V., einem Verein von heute etwa 130 Unternehmen, die sich für umfassenderen Unterricht in den MINT-Fächern einsetzen – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Mit dem Ziel, diesen Unterricht anschaulicher und praxisnäher zu gestalten, hatte die Wissensfabrik zuvor schon andere Unterrichtsmaterialien auf den Weg gebracht.

IT2School wurde nicht nur das erste Projekt der Wissensfabrik zum Informatikunterricht, sondern auch das erste, dessen Ergebnisse als Open Educational Resources (OER) online für alle frei verfügbar sind. Lehrkräfte können sie als Word- oder PDF-Dokumente herunterladen und bei Bedarf selbst anpassen und weiterverbreiten. „So wollen wir möglichst viele Lehrkräfte erreichen und ihnen das Arbeiten mit den Materialien leicht machen“, erläutert Diethelm.

Vom Internetmodell bis zur künstlichen Intelligenz

24 Unterrichtsmodule sind bisher entstanden, neue kommen laufend hinzu. Sie behandeln so unterschiedliche Themen wie das Programmieren, 3D-Druck oder Robotik und die neuesten auch künstliche Intelligenz. Jedes Modul enthält Materialien für mehrere Unterrichtsstunden: didaktische Konzepte und Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung für die Lehrkräfte, Arbeitsblätter für die Schüler*innen.

Für manche Module brauchen die Schulklassen zusätzliche Materialien, etwa den Minicomputer „Calliope“, mit dem sich das Programmieren leicht erlernen lässt. Doch Diethelm achtete beim Entwurf auch darauf, den Einstieg so einfach wie möglich zu machen, indem die Kosten des Materials niedrig sind. Unter anderem ist im Projekt ein Spiel aus Pappe zur Funktionsweise des Internets enthalten oder ein Unterrichtsmodul, in dem die Kinder und Jugendlichen durch Blinzeln oder Armbewegungen miteinander kommunizieren. „Geheimsprachen können für die Schüler*innen ein guter Startpunkt sein, um zu verstehen, wie Verschlüsselung in der Informatik funktioniert“, sagt Diethelm. „Außerdem lassen sich die Unterrichtseinheiten für die Lehrkräfte ohne großen Aufwand vorbereiten.“

Um die Module zu entwickeln, griffen Diethelm und ihr Team auf Erkenntnisse der Lehr-Lern-Forschung und eigene Forschungsergebnisse zurück: So hatten sie etwa untersucht, wie Informatiklehrkräfte ihren Unterricht planen oder welche Vorstellungen Schüler*innen vom Internet haben.

An mehr als 500 Schulen bundesweit werden die Materialien bisher genutzt. Ob Informatik ein Pflichtfach ist oder nicht und welche Inhalte die Lehrpläne vorsehen, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland – Niedersachsen etwa hat Informatik im aktuellen Schuljahr gerade landesweit als Pflichtfach für den zehnten Jahrgang eingeführt. Deshalb orientierten sich Diethelm und ihr Team nicht an einem bestimmten Lehrplan. Stattdessen konzentrierten sie sich auf drei Grundprinzipien der Informatik, die in den meisten Lehrplänen vorkommen: Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung. Darunter versteht man die Verfahren, mit denen Information in unterschiedlichen Systemen dargestellt und gespeichert, verarbeitet und transportiert wird.

Unterricht für den Abendbrottisch

Zur Attraktivität und Verbreitung der Materialen tauschte Diethelm sich intensiv mit Lehrkräften und dem Team der Wissensfabrik aus. „Wir haben uns gefragt: Was könnte die Schüler*innen so inspirieren, dass sie abends in ihren Familien davon erzählen?“, sagt Diethelm. So setzt IT2School auf handfeste Ergebnisse, die die Kinder und Jugendlichen anderen zum Beispiel beim Schulfest präsentieren können. Das Projektteam konzipierte etwa eine Lerneinheit, in der Schüler*innen mithilfe eines 3D-Druckers Blumen oder Stiftehalter herstellen oder auf Obst Klavier spielen. „Unser Ziel ist, dass die Jugendlichen Informatiksysteme selbst kreativ mitgestalten und etwas produzieren, auf das sie stolz sind“, erklärt Diethelm.

Dass Schüler*innen die Funktionsweise von Computern und Internet verstehen und Grundkenntnisse im Programmieren lernen, bezeichnet sie als Kulturtechnik, vergleichbar mit Lesen, Schreiben oder Rechnen. Und ebenso wie der Deutschunterricht nicht mit dem Lesenlernen aufhöre, muss es aus ihrer Sicht im Informatikunterricht um mehr gehen als die bloße Anwendung von Computerprogrammen oder Verhaltensregeln im Netz.

Grundlagenwissen aus der Informatik brauche man nicht nur, um die Funktionsweise von Suchmaschinen oder Datenschutzhinweise verstehen, sondern auch, um sich über politische Fragen wie die Einführung von Uploadfiltern, Einschränkungen der Netzneutralität oder die Vorratsdatenspeicherung oder dem Einfluss von KI-Systemen etwa bei einer automatischen Notengebung ein Bild zu machen. Nur was man versteht, kann man auch beurteilen, ist Diethelm überzeugt. Deshalb sei der Informatikunterricht vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen so wichtig. „Man stelle sich vor, wir müssten die Klimadebatte führen, ohne dass die Menschen Geografie- oder Chemieunterricht in der Schule hätten.“

Corona habe hier zu einem Umdenken geführt, beobachtet Diethelm – nicht nur in Bezug auf die technische Ausstattung von Schulen, sondern auch auf den Stellenwert des Informatikunterrichts. So erinnert sie sich an eine Fortbildung für Lehrkräfte, die sie zu Beginn der Pandemie gab. Der Zeitpunkt – Gründonnerstag um 19 Uhr – war alles andere als ideal. Trotzdem nahmen mehr als tausend Personen an der Online-Veranstaltung teil. „Digitalisierung und Informatik als Unterrichtsfach waren schon vor der Pandemie wichtige Themen. Aber es ist ein großer Entwicklungsschub dadurch entstanden, dass sich alle gleichzeitig intensiv damit auseinandersetzen mussten“, resümiert sie.

 

Dieser Artikel erschien zuerst 2022 im Blog „Forschungsnotizen” des Transferprojekts „Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! (IHJO)”. Hier handelt es sich um eine aktualisierte Fassung.

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