• Foto einer Meeresbucht vor Kinge George Island, Antarktis. Im Vordergrund befinden sich Pnguine auf einem grauen Kiesstrand, im Hintergrund sind Berge, teils mit Schnee bedeckt. Auf dem Wasser befindet sich ein Schlauchboot mit Forschenden.

    Die atemberaubende Landschaft in der Antarktis lässt Lina Holthusen, Jens Meyerjürgens und Isabell Schlangen die Mühen, die sie für die Forschung auf sich nehmen, vergessen. Lina Holthusen

  • Gruppenbild Jens Meyerjürgens, Isabell Schlangen und Lina Holthusen. Das Team trägt rote Polaranzüge, im Hintergrund ist die kleine orthodoe Kirche auf King George Island sowie eine Meeresbucht zu sehen.

    Auf King George Island gibt es sogar eine kleine orthodoxe Kirche. Jens Meyerjürgens, Isabell Schlangen und Lina Holthusen verbringen vier Wochen auf der chilenischen Forschungsstation Profesor Julio Escudero, um Treibhausgase in der obersten Wasserschicht des antarktischen Ozeans zu untersuchen. Isabell Schlangen

  • Die Forschungsstation des chilenischen Antarktis-Instituts (INACH) bietet Platz für bis zu 60 Personen. Isabell Schlangen

  • Pinguine sind auf King George Island allgegenwärtig. Isabell Schlangen

Klimaforschung am anderen Ende der Welt

Gletscher, Pinguine und Wale: Die Antarktis hat eine besondere Anziehungskraft – auch für Doktorandin Lina Holthusen, die gerade dort forscht. Ein Gespräch über Herausforderungen, den nötigen Teamgeist und das beste Weihnachtsgeschenk.

Gletscher, Pinguine und Wale: Die Antarktis hat eine besondere Anziehungskraft – auch für Doktorandin Lina Holthusen, die derzeit zur Feldarbeit auf einer chilenischen Forschungsstation ist. Ein Gespräch über die Faszination, in entlegenen Regionen zu arbeiten, den nötigen Teamgeist und das beste Weihnachtsgeschenk.

Frau Holthusen, gemeinsam mit Jens Meyerjürgens vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) und Isabell Schlangen, Doktorandin an der Süddänischen Universität, halten Sie sich gerade für vier Wochen auf der chilenischen Forschungsstation Profesor Julio Escudero in der Antarktis auf. Die Station befindet sich auf King George Island, einer Insel, die zu den südlichen Shetlandinseln gehört und rund 120 km vor der Küste des antarktischen Festlands liegt. Ganz schön weit weg – wie war die Anreise?

Allein die Reise von Wilhelmshaven, dann Flug ab Hamburg über Paris und Santiago de Chile bis nach Punta Arenas im äußersten Süden Chiles hat 36 Stunden gedauert! Das war ziemlich stressig. Wir waren schon sehr kaputt, als wir in Santiago ankamen und außerdem nervös, weil wir zwei Kisten mit Ausrüstung dabeihatten und durch den Zoll mussten. Aber alles hat reibungslos geklappt. Ab Santiago konnten wir etwas entspannen, da wir gemeinsam mit unseren Partnern vom Chilenischen Antarktis-Institut weiterreisten.

Das klingt sehr anstrengend. Wie ging es weiter?

Im Gästehaus unserer Partner in Punta Arenas holten wir etwas Schlaf nach, mussten aber noch Einiges organisieren. Wegen des Wetters flogen wir erst vier Tage später, am 15. Dezember, in die Antarktis weiter. Dieser Flug dauerte nur zwei Stunden. Als wir das erste Eis sahen, waren die Freude und Aufregung groß. Die Landung auf einer Schotter-Landebahn war hingegen eher ruppig. Auf King George Island gibt es mehrere Forschungsstationen und sogar einen Bus. Mit diesem fuhren wir zur Station – zusammen mit einigen Tourist*innen, die auf ihre Kreuzfahrtschiffe warteten. Das Ausmaß des Tourismus in der Antarktis hat uns erschreckt. Man sieht jeden Tag mindestens ein Kreuzfahrtschiff.

Inzwischen sind Sie bereits ein paar Tage auf der Station. Haben Sie sich schon eingerichtet?

Als wir ankamen, haben wir erstmal zu zweit unsere Zimmer bezogen, die zwar klein, aber ausreichend sind. Es gibt jeweils ein Doppelstockbett, eine Kommode, einen Schrank und ein Fenster mit Blick nach draußen. Die Badezimmer teilen wir uns mit mehreren Personen. Insgesamt können sich bis zu 60 Personen – Forschende und Personal – in der Station aufhalten. In einem großen Aufenthaltsraum stehen Sofas und eine Tischtennisplatte. Und man hat man einen perfekten Blick über die Bucht. Dazu gibt es einen Raum zum Arbeiten und für Meetings sowie die Küche, in der wir dreimal am Tag bekocht werden und uns immer Kaffee und Tee machen können. Unser Labor ist im Keller und hat reichlich Platz.

Wie muss man sich die Umgebung vorstellen? Es gibt ja mehrere Forschungsstationen auf der Insel.

Unsere Station befindet sich in dem kleinen Dorf Villa las Estrellas. Es liegt an einer wunderschönen Bucht, die von Felsen und Gletschern umgeben ist und in der sehr viele Pinguine, Wale und Robben zu sehen sind! Das Dorf sieht jetzt im Sommer etwas trist aus: Der Schnee schmilzt und die kargen Berge kommen zum Vorschein. Und die Gebäude werden hier natürlich eher nach Wetterbeständigkeit und Funktionalität und weniger fürs Aussehen gebaut. Die umliegenden Stationen anderer Länder sind zu Fuß erreichbar.

Worum geht es in der Forschung?

Wir untersuchen bestimmte Treibhausgase, zum Beispiel Methan und Lachgas, in Wasserproben, die wir aus den oberen anderthalb Metern des Meeres nehmen. Methan ist rund 25mal klimaschädlicher als Kohlendioxid, Lachgas sogar 300mal. Uns interessiert, wie die Gase im antarktischen Ozean produziert werden und ob sie aus dem Wasser in die darüber liegende Luft entweichen. Oder ob der Ozean umgekehrt die Gase aus der Luft aufnimmt. Für diesen Gasaustausch zwischen Meer und Atmosphäre ist eine hauchdünne Schicht, die die Meeresoberfläche bedeckt, sehr wichtig. Wir untersuchen diese Grenzschicht mit speziellen Methoden. Unsere Feldarbeit findet zu Beginn des antarktischen Sommers statt, da jetzt im Wasser besonders viele winzige Algen wachsen – wir sprechen von einer Algenblüte. Die Algenblüte beeinflusst, welche Substanzen sich an der Wasseroberfläche ansammeln, was wiederum eine Rolle für den Gasaustausch spielt.  

Welches Ziel haben die Messungen?

Letztlich möchten wir neue Erkenntnisse über eine vom Klimawandel stark betroffene und bisher wenig erforschte Umwelt gewinnen. Mit unseren Daten hoffen wir, globale Klimamodelle zu unterstützen und besser zu verstehen, welche Veränderungen der Klimawandel in der Meeresregion bereits verursacht und künftig noch verursachen wird.

Wie sieht die Arbeit praktisch aus?

Sobald das Wetter es zulässt und eine Besatzung verfügbar ist, fahren wir mit einem Arbeitsboot raus in die Bucht. Wir nehmen Wasserproben, die wir im Labor aufbereiten und später in Oldenburg auf Spurengase und weitere Parameter untersuchen. Außerdem bestimmen wir die Temperatur, den Salzgehalt und die Strömung. Dafür nutzen wir Bojen und Driftkörper, die mit entsprechenden Sensoren ausgestattet sind und im Wasser treiben. Wir setzten sie vom Boot aus ins Wasser und sammeln sie nach ein paar Stunden oder am nächsten Tag ein.

Was ist besonders herausfordernd an dieser Arbeit?

Es gibt viele Besonderheiten. Da es nachts hell ist, können wir auch nachts arbeiten. Unsere ersten Proben haben wir beispielsweise zwischen 18 und 1 Uhr genommen. Danach waren wir lange im Labor und erst morgens um 8 Uhr im Bett. Zum Glück konnten wir anschließend ausschlafen. Ein Problem ist auch, dass das Boot je nach Seegang sehr schaukelt – da kann einem schon mal schlecht werden. Für die Handhabung der Geräte haben wir aber genug Hilfe von der Besatzung.

Ist es sehr kalt?

Hier ist gerade Sommer, die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt – auf meiner Arktisexpedition war es kälter. Wir müssen uns aber trotzdem sehr warm anziehen, weil wir viele Stunden unterwegs sind. Rettungswesten und warme, wasserdichte Kleidung sind Pflicht, aber auch Sonnencreme und Sonnenbrillen sind wichtig, da die UV-Strahlung teilweise extrem ist. Die dicke Kleidung und kalte Finger schränken einen etwas in der Bewegungsfreiheit ein. Aber man lernt, damit umzugehen. Wir wechseln zum Beispiel zwischen verschiedenen Handschuhen: dünne Baumwollhandschuhe und Gummihandschuhe für die Probenahme, dazwischen dicke Fäustlinge zum Aufwärmen.

Das klingt alles sehr aufwändig. Wie lief die Vorbereitung für die Expedition ?

In dem Aufenthalt stecken anderthalb Jahre Planung und Logistik. Vor einem halben Jahr haben wir einen Container mit Equipment verschifft. Schon da mussten wir an alles denken, was man für den Aufenthalt in der Antarktis braucht. Hier können wir ja nicht mal eben einkaufen oder besondere Ersatzteile besorgen. Auch ein genauer Plan für die Probenahme und für Messungen war da schon fertig. Da wir einige Geräte in der Zwischenzeit für andere Forschungsreisen benötigten, haben wir am Ende noch zwei Boxen im Flieger mitgenommen. Für persönliches Gepäck blieb im Flugzeug zur Station nur wenig Platz, wir haben nur das Allernötigste mitgenommen.

Was ist an der Forschung in dieser abgelegenen Region so faszinierend?

Uns faszinieren die atemberaubende Landschaft und die Herausforderungen, die die harschen Wetterbedingungen in diesen abgelegenen Regionen mit sich bringen. Wir sind mit viel Leidenschaft dabei. Gerade wegen der schwierigen Bedingungen sind polare Regionen weniger erforscht als andere und wir sind sehr dankbar, hier sein zu dürfen. Wir tragen in unserem kleinen Team viel Verantwortung und können viel selbst gestalten. Dabei merken wir, wie wichtig ein gutes Team ist und wie super wir zusammenarbeiten. Unsere Themen, aber auch unsere Stärken und Schwächen, ergänzen sich hervorragend. Das motiviert uns, auch wenn lange Nachtschichten anstehen. Uns allen bringt es zudem Spaß, uns international zu vernetzten, Kulturen kennenzulernen und zu sehen, dass auch am anderen Ende der Welt Klimaforschung betrieben und die Notwendigkeit für Veränderungen gesehen wird. Was wir hier erforschen, fühlt sich für uns wichtig an.

Welche Tipps haben Sie für das (Über-)Leben in der Antarktis?

Ein Kollege aus Chile sagt uns immer wieder „Relax and enjoy the ride“, weil wir aus seiner Sicht zu viel planen und uns zu viele Sorgen machen. Ein anderer Rat, den wir oft hören und auch von vorheriger Feldarbeit in der Arktis kennen, ist: „Rest and eat when you can“ – also „Ruh dich aus und iss, wenn du Zeit hast.“ Das Leben und Arbeiten hier ist schwer planbar. Manchmal zieht ein Sturm auf und wir können tagelang keine Proben nehmen. Manchmal müssen wir spontan raus zur Feldarbeit und danach die Nacht im Labor verbringen. Jede freie Minute sollte daher genutzt werden, um Energie zu tanken. Wichtig sind auch ein gutes Team und eine offene Kommunikation, weil es wenig Rückzugsmöglichkeiten gibt und wir viel unter Stress stehen.

Gibt es etwas, worauf Sie sich besonders freuen, wenn Sie wieder zu Hause sind?

Unsere Familien und Freunde wiederzusehen, das Lieblingsessen und keine permanente FOMO („fear of missing out“ – Anm. d. Red.) zu haben. Hier hat man nämlich immer das Gefühl, man müsse etwas unternehmen, noch etwas im Labor schaffen, die Landschaft genießen, sich mit Leuten vernetzen. Es gibt selten wirklich Ruhe.

Apropos Ruhe: Wie wird es an Weihnachten sein?

Das wissen wir noch nicht. Wenn das Wetter gut ist, fahren wir mit dem Boot raus und nehmen Proben. Da unsere Zeit sehr begrenzt ist, wäre das wahrscheinlich das beste Geschenk. Wir hoffen auch, dass es einen Moment gibt, an dem wir gemütlich zusammensitzen und ein wenig entspannen können.

Wir wünschen dem Team noch einen guten Aufenthalt – vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Constanze Böttcher

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