Aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen des Coronavirus Sars-CoV-2 erzeugen Oldenburger Forscher Bilder, die erstmals mit großer Detailschärfe einen räumlichen Eindruck des Infektionsgeschehens vermitteln. Dabei setzen sie auf maschinelles Lernen.
Wie ein Coronavirus aussieht, weiß inzwischen jedes Kind: So ähnlich wie ein Igelball, dessen Stacheln außen breiter werden. Allerdings sind viele Darstellungen, die derzeit kursieren, künstlerische Illustrationen. Um das Virus direkt abzubilden, braucht man ein Elektronenmikroskop. „Damit aufgenommene Bilder des Virus SARS-CoV-2 sind allerdings recht unscharf und wirken sozusagen platt“, sagt Prof. Dr. Jörg Lücke, Experte für Maschinelles Lernen an der medizinischen Fakultät der Universität Oldenburg. Die mikroskopischen Bilder zeigen meist kreisförmige Gebilde, an deren Rand kleine Flecken zu sehen sind. Diese Form erinnert an eine Krone – lateinisch: Corona – und verhalf der Gruppe der Coronaviren zu ihrem Namen.
Lücke arbeitet derzeit in einem Forschungsprojekt an Methoden, um Bilder des Erregers zu verbessern. Ihm und seinen Doktoranden Jakob Drefs und Sebastian Salwig geht es vor allem darum, das Rauschen auf Bildern von Elektronenmikroskopen zu reduzieren – also störende statistische Signale zu unterdrücken, die die Bildqualität auch bei hoher Auflösung verschlechtern und die Aufnahmen körnig wirken lassen. Die drei Forscher entwickeln spezielle Algorithmen, die auf verschiedenen Verfahren des Maschinellen Lernens beruhen, einer Schlüsseltechnologie der Künstlichen Intelligenz (KI).
Bilder mit hoher Detailschärfe
Nun hat das Team erste Erfolge dabei erzielt, das Coronavirus genauer zu durchleuchten: „Wir können aus verrauschten elektronenmikroskopischen Nahaufnahmen von SARS-CoV-2 klare, entrauschte Bilder berechnen“, betont Jörg Lücke. „Außerdem ist uns gelungen, auf Grundlage einer einzelnen elektronenmikroskopischen Aufnahme ein räumlich wirkendes Bild mit hoher Detailschärfe zu erzeugen.“ Das Team hat vorläufige Resultate auf einem so genannten Preprint-Server veröffentlicht, die Ergebnisse sind also noch nicht von anderen Wissenschaftlern unabhängig begutachtet worden. Derzeit führen die Forscher weitere Tests durch und wollen ihre Arbeiten in Kürze bei einer internationalen Konferenz einreichen.
Eine der Aufnahmen zeigt beispielsweise, wie Coronaviren eine Zelle infizieren. Auf dem nachkolorierten Bild sind die Erreger als kugelförmige Objekte mit unregelmäßig geformten Ausbuchtungen zu erkennen. Bei diesen Gebilden handelt es sich um die Spike-Proteine. „Sie sind nicht stachelig, sondern rundlich geformt, ähnlich wie kleine Bäume, die sich in verschiedene Richtungen neigen“, erläutert Lücke. Wie detailgenau die neuen Aufnahmen sind, zeige sich etwa daran, dass diese winzigen Strukturen auf einem Bild erkennbar sind, das eine Infektionsszene als Ganzes abbildet.
Die Bilder bestätigen dabei die Ergebnisse anderer Arbeitsgruppen, die die dreidimensionale, molekulare Form der Spike-Proteine anhand sogenannter Tomogramme entschlüsselt haben. Es existieren auch bereits 3D-Rekonstruktionen einzelner Corona-Viren. Sie wurden jedoch, anders als die Bilder der Oldenburger Forscher, aus einer Vielzahl elektronenmikroskopischer Aufnahmen berechnet. Eine räumlich wirkende Darstellung einer gesamten Infektionsszenen mittels einer Elektronenmikroskop-Aufnahme ist dem Team zufolge bislang noch mit keiner anderen Methode erreicht worden.
Neuer Blick auf den Gegner
Die Untersuchungen der Oldenburger Forscher sind Teil des interdisziplinären Projekts „SPAplus“, das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) im Programm „Mathematik für Innovationen“ gefördert wird. Die Leitung liegt beim Zentrum für Technomathematik an der Universität Bremen. Im vergangenen Jahr erhielt das Oldenburger Team eine Sonderförderung des BMBF, um mit ihren Methoden verbesserte Bilder von Infektionen mit Coronaviren herzustellen.
Die nun neu entstandenen Bilder könnten letztlich nicht nur einen wissenschaftlichen Nutzen haben: Der Forscher hofft, dass sie auch dazu beitragen, die Gefahr durch den Erreger besser zu vermitteln. „Eine räumliches, für jeden verständliches Foto eines Angriffs von Corona-Viren auf eine Zelle zeigt unmittelbarer als ein künstliches Modell, mit welchem Gegner wir es zu tun haben“, sagt er.