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Prof. Dr. Sabine Doering
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  • Sabine Doering: Zeigen, dass die Germanistik eine internationale Wissenschaft ist.

"Hölderlin heute aktueller denn je"

Die Literaturwissenschaftlerin und Präsidentin der Hölderlin-Gesellschaft Sabine Doering hat das renommierte Fellowship des Notre Dame Institute for Advanced Study (NDIAS) erhalten. Im Interview spricht sie über ihre Forschungsziele und erklärt, was sie am Dichter Friedrich Hölderlin fasziniert.

Die Literaturwissenschaftlerin und Präsidentin der Hölderlin-Gesellschaft Sabine Doering hat das renommierte Fellowship des Notre Dame Institute for Advanced Study (NDIAS) erhalten. Im Interview spricht sie über ihre Forschungsziele und erklärt, was sie am Dichter Friedrich Hölderlin fasziniert. 

FRAGE: Frau Doering, eine Frage an die Präsidentin der Hölderlin-Gesellschaft: Hat uns Hölderlin heute noch etwas zu sagen?

DOERING: Unbedingt! Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) gehört heute zu den meistübersetzten deutschen Dichtern. Viele seiner großen Gedichte blieben seinen Zeitgenossen fremd; zu modern, zu kühn wirkten damals seine Formen und Themen. Erst im 20. Jahrhundert entwickelte man mehr und mehr Verständnis und Bewunderung für den Rang und die Einzigartigkeit seiner Dichtung. Hölderlin ging konsequent der Frage nach, wo das moderne Ich Orientierung in einer Welt finden kann, in der sich die gewohnten Strukturen rastlos verändern.

FRAGE: Hat er dabei Antworten gefunden?

DOERING: Er suchte nach großen, verbindlichen Antworten und hielt die Spannung aus, nicht immer über eine passende Lösung zu verfügen. Hölderlin entwarf atemberaubende geschichtsphilosophische Szenarien, die die Antike mit der Gegenwart verbinden und die griechische Götterwelt in Beziehung zum Christentum setzen. Das ist heute wieder besonders interessant, wo wir in einer ganz anderen Konstellation die Konflikte erleben, die aus dem Zusammenprall verschiedener Weltanschauungen entstehen. Außerdem war Hölderlin wie kaum ein anderer davon überzeugt, dass unsere moderne, nüchterne Welt dringend die Kunst und die Dichtung braucht. Er fasste das in die berühmte Frage „wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ Das ist natürlich noch immer brennend aktuell, nicht nur für die Kulturpolitik. Und ganz wichtig: In Hölderlins Lyrik finden wir einige der gelungensten, kunstvollsten und einfach schönsten Gedichte, die wir in der deutschen Sprache haben.

FRAGE: Sie haben das renommierte Fellowship des Notre Dame Institute for Advanced Study (NDIAS) der University of Notre Dame (Indiana, USA) erhalten und sich gegen 1.000 Mitbewerber durchgesetzt. Was bedeutet das für Sie?

DOERING: Das ist eine große Auszeichnung und eine Anerkennung meiner Forschungen, über die ich mich zunächst einfach sehr freue. Gleichzeitig ist es auch eine starke Verpflichtung und ein Ansporn zu konzentrierter Arbeit, denn mit einer solchen Auswahl ist ja auch hohe Verantwortung verbunden. Ich sehe darin auch eine deutliche Bestätigung, dass die Germanistik wirklich eine internationale Wissenschaft ist. Ich arbeite seit langem eng mit Kollegen aus verschiedenen Ländern und gerade auch aus den USA zusammen. So freue ich mich besonders darauf, an der University of Notre Dame, die für ihre starke Forschungspolitik bekannt ist, in engen Austausch mit hoch engagierten und renommierten Kolleginnen und Kollegen verschiedener Disziplinen zu treten. Und ein wenig stolz bin natürlich auch darauf, dass unsere Carl von Ossietzky Universität an einer der führenden US-Universitäten einen guten Namen hat.

FRAGE: An der University of Notre Dame werden Sie zum Thema „Konzepte des Segens in Hölderlins dichterischem Werk“ arbeiten. 

DOERING: Dieses Thema liegt mir seit langem sehr am Herzen. Hölderlin hatte eine exzellente theologische Ausbildung erhalten, aber er wollte nie Pfarrer werden und ist es ja auch nicht geworden. Aber so sehr er sich von vielen christlichen Dogmen entfernte und so unkonventionell er in vielem dachte, sein Weltbild war niemals ganz diesseitig. Für ihn gibt es immer eine Sphäre außerhalb unserer empirischen Welt, die sich dem menschlichen Einfluss entzieht. Oft hat er darüber nachgedacht, wie gefährlich es sein kann, dem Göttlichen zu nahe zu kommen. Auf der anderen Seite ist der Segen für Hölderlin ein Zeichen einer gelungenen Verbindung zwischen den Menschen und dem, was außer- oder oberhalb unserer Welt ist. Diese Vorstellungen möchte ich näher untersuchen und sie im theologie- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang verstehen.

FRAGE: Wie wichtig sind Ihnen dabei methodische Fragen?

DOERING: Sehr wichtig. Wie kann in der modernen Lebenswelt von den Konzepten und Erfahrungen des christlichen Segens gesprochen werden? Welche Möglichkeiten des Bezugs auf Segenshandlungen und Segenserfahrungen sind heute, auch im Angesicht der Begegnung und Konfrontation verschiedener Glaubenssysteme möglich? Wann wird die Rede vom Segen zur Metapher, wann zu einer inhaltsleeren Floskel? Welche Funktion kann gerade die moderne Dichtung in der Vermittlung unterschiedlicher Segenserfahrungen erfüllen, und wie können Interpretationen, die von Lesern mit unterschiedlichem Hintergrund akzeptiert werden sollen, darauf reagieren? Das sind Fragen, die viel mit Hölderlin zu tun haben und zugleich weit über ihn hinaus führen. Übrigens ist das Thema „Hölderlin und die Religion“ höchst aktuell. Im Juni dieses Jahres veranstalten wir, also die Hölderlin-Gesellschaft, eine große internationale Tagung genau zu diesem Thema in Konstanz.  

FRAGE: Vier Monate dürfen Sie im Rahmen des Stipendiums in den USA forschen. Welche Ergebnisse und Erkenntnisse erhoffen Sie sich von Ihrem Aufenthalt?

DOERING: Die Arbeitsbedingungen dort sind ideal, allein schon wegen der ebenso großzügigen wie intensiven Unterstützung in allen praktischen Fragen und der reichhaltigen Universitätsbibliothek, die in den Geisteswissenschaften und vor allem in der Theologie und allen angrenzenden Gebieten herausragend ausgestattet ist. Aber noch wichtiger wird der regelmäßige Austausch mit den anderen Fellows und den Kollegen vor Ort sein. Zum Konzept des NDIAS gehört der regelmäßige transdisziplinäre Austausch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dort arbeiten. Ich bin sicher, dass mir das neue Perspektiven eröffnen wird, und dass wir gemeinsam in einer inspirierenden Umgebung jeweils zu Ergebnissen kommen, wie man sie allein nur schwer finden könnte. Mich reizt dabei sehr der Ansatz des NDIAS: Unterstützt werden Projekte, die sich großen und grundsätzlichen, gerade auch normativ belangvollen Fragen öffnen. Dazu gehört eben auch die Frage, wie sich in der Dichtung von religiösen Erfahrungen sprechen laßt, wie sich Religion und Kunst zueinander verhalten. Deshalb weiß ich schon jetzt: Die anregende  Atmosphäre dort wird meine Arbeit voranbringen.

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(Stand: 10.12.2024)  | 
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