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Prof. Dr. Gisela Christel Schulze
Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik
Tel: 0441-798/2175
gisela.c.schulze@uni-oldenburg.de  

  • Rollstuhlfahrer: „Wir reden nicht nur über die Schule, sondern über alle gesellschaftlichen Bereiche.” Foto: photocase.com / Susann Städter

„Inklusion gelingt nur, wenn sich ihr alle stellen”

Eine Öffnung der Debatte um Inklusion fordert Gisela Christel Schulze. Im Interview spricht die Rehabilitationspädagogin über die Vor- und Nachteile inklusiven Unterrichts – und erklärt, warum Inklusion nicht nur für das Schulalter, sondern für alle Lebensphasen gelten muss.

Eine Öffnung der Debatte um Inklusion fordert Gisela Christel Schulze. Im Interview spricht die Rehabilitationspädagogin über die Vor- und Nachteile inklusiven Unterrichts – und erklärt, warum Inklusion nicht nur für das Schulalter, sondern für alle Lebensphasen gelten muss. 


FRAGE: Frau Schulze, was ist eigentlich Inklusion?

SCHULZE: Inklusion bedeutet: Eine Gesellschaft stellt sich den vielfältigen und individuellen Bedarfen ihrer Mitglieder. Jeder Mensch – so eine zentrale Forderung – muss in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert werden, er muss die Möglichkeit haben, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben. Die gegenwärtigen Debatten zur Inklusion beruhen auf der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die 2008 in Kraft getreten ist.

FRAGE: Worin besteht die Bedeutung dieser Konvention?

SCHULZE: Mit der Behindertenrechtskonvention ist nicht nur die erste verbindliche Rechtsquelle für Menschen mit Behinderung geschaffen worden. Für das internationale Behindertenrecht bedeutet sie auch einen Paradigmenwechsel: weg von einem defizitorientierten, hin zu einem menschenrechtlichen Modell von Behinderung.

FRAGE: Wenn derzeit über Inklusion gesprochen wird, meint man in der Regel den Einschluss behinderter Schüler in die Regelschule. Sind Lehrer denn darauf vorbereitet? 

„Inklusion kann kein Sparmodell sein.”

SCHULZE: Nein, weder an den Regelschulen noch an den Förderschulen. Klar ist: Inklusion in Bildungseinrichtungen benötigt Zeit – und neben der Beteiligung von Institutionen auch die Unterstützung der Eltern. Es ist ein vielschichtiger und sehr sensibler Prozess, der nicht im Hauruckverfahren funktioniert. Und wir reden ja nicht nur über die Schule, sondern über alle gesellschaftlichen Bereiche. Soll Inklusion gesamtgesellschaftlich gelingen, sind deutlich mehr finanzielle Mittel notwendig: Die Inklusion kann kein Sparmodell sein. 

FRAGE: Worin bestehen die Vorteile der Inklusion an Schulen?

SCHULZE: Wenn die Pädagogen gut vorbereitet sind, wenn sie Unterstützung erfahren durch Therapeuten oder eine individuelle Assistenz, wenn sich Eltern – ob von Kindern mit oder ohne Behinderung – beteiligen und wenn das jeweilige Kind in seiner individuellen Entwicklung gesehen wird: dann kann inklusiver Unterricht sehr bereichernd sein, und zwar für alle Lernenden. 

FRAGE: Wo sehen Sie Schwierigkeiten?

SCHULZE: Die inklusive Schule, wie sie gegenwärtig in Deutschland vorgesehen ist, ist nicht für alle Heranwachsenden gut. Besonders, wenn sie Probleme in der sozialen und emotionalen Entwicklung haben. Dann kann es zu einem paradoxen Effekt kommen: Dass die schulische Inklusion zu sozialer Exklusion führt. Die Inklusion an Schulen hat klare Grenzen, wenn Kinder in ihrer kognitiven und sozialen Entwicklung nicht entsprechend ihren Bedürfnissen gefördert werden können. 

FRAGE: Wie schauen Sie als Expertin auf die Debatte um die Inklusion?

SCHULZE: In ihr geht es vor allem um die Frühförderung und die Grundschule. Das ist sehr einseitig. Denn Inklusion im Bereich Bildung muss als Konzept für alle Lebensphasen gedacht werden.

FRAGE: Um welche Bereiche geht es noch?

„Inklusive Gesellschaft muss Angebote über die gesamte Lebensspanne entwickeln.”

SCHULZE: Nicht nur um Bildungseinrichtungen – und hier bitte von der Frühförderung bis zum Ausbildungs- bzw. Studienabschluss. Inklusion ist wichtig in der Gesundheit, bei der Arbeit, der beruflichen Wiedereingliederung, zum Beispiel nach einer Erkrankung oder nach einem Unfall. Eine inklusive Gesellschaft muss Angebote über die gesamte Lebensspanne entwickeln und bereithalten. Auch kranke und alte Menschen haben ein Anrecht auf gesellschaftliche Inklusion und Teilhabe. Doch sind sie – Stichwort Verknappung der Mittel im Gesundheitswesen – durch starke Exklusionsprozesse bedroht.

FRAGE: Woran liegt es, dass es in so vielen Lebensbereichen noch keine Gleichstellung gibt?

SCHULZE: Was den eben angesprochenen Ausschluss alter und kranker Menschen angeht, so hat das viele Gründe. Unterstützende Maßnahmen kosten schlicht Geld, und die Ämter – ob für Bildung, Soziales, Gesundheit oder Arbeit – schieben sich gegenseitig die finanzielle Verantwortung zu, von Kooperation kann hier keine Rede sein. Klar ist: Die Kosten für Inklusion müssen gesamtgesellschaftlich verteilt und von vielen Bereichen getragen werden.

FRAGE: Ihre Einschätzung: Wie lange wird es dauern, bis die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umgesetzt ist?

SCHULZE: Das ist schwierig zu sagen. Sicher ist: Es wird noch dauern. Denn die Umsetzung der Konvention ist ein schrittweiser Prozess. Alle Menschen einer Gesellschaft sind betroffen und müssen sich dem Thema stellen, wenn es gelingen soll. Aber ich bin zuversichtlich: So ist die Gleichstellung der Frauen auch noch nicht vollständig realisiert. Doch in den vergangenen Jahren haben wir deutliche Fortschritte erzielt.

FRAGE: Welchen Forschungsthemen rund um die Inklusion widmen Sie sich?

„Jungen Menschen mit Behinderung die Möglichkeit für ein universitäres Studium aufzeigen.”

SCHULZE: Es sind im Grunde zwei Themen, mit denen sich mein Arbeitsteam „Rehabilitation/Health Care“ beschäftigt: Erstens das Diversity- und Wissenschaftsmanagement in der Hochschule für Studierende mit Behinderung. Hier kooperieren wir unter anderem mit der Arbeitsgruppe„Hörsensible Universität Oldenburg“ oder dem von der Hochschulrektorenkonferenz initiierten Projekt “Eine Hochschule für alle“. Wir wollen jungen Menschen mit Behinderung die Möglichkeit für ein universitäres Studium aufzeigen – und Studenten mit Behinderung unterstützen, so dass sie nicht ihr Studium vorzeitig aufgrund besonderer Problemlagen abbrechen müssen. Davon profitieren letztlich alle Studierenden; auch die, die keine Behinderung haben.

FRAGE: Und das zweite Thema?

SCHULZE: Die Versorgungsforschung in der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten und ihren Angehörigen. Hier verfolgen wir unter anderem das Ziel, dass Patienten nach einem Schlaganfall am sozialen Leben wieder teilnehmen können. Unsere Partner sind Rehabilitationswissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Mediziner, Philosophen der Universität Oldenburg und das Evangelische Krankenhaus Oldenburg mit der „Stroke Unit“. Wir hoffen, mit den Ergebnissen unserer Forschungsprojekte Impulse geben zu können: für eine innovative intradisziplinäre Versorgungsforschung sowohl im Bereich Gesundheit als auch in der Bildung.

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