Etwa zehn bis zwanzig Prozent der älteren Erwachsenen leiden unter Hörproblemen, die auf neurologische Verarbeitungsstörungen zurückzuführen sind. Die Arbeitsgruppe Neurogenetik hat sich des Problems angenommen - und entdeckt genetische Hintergründe.
Etwa zwei bis drei Prozent aller Kinder und zehn bis zwanzig Prozent der älteren Erwachsenen leiden unter Hörproblemen, die auf neurologische Verarbeitungsstörungen zurückzuführen sind. Obwohl ihr Innenohr voll funktionsfähig ist, interpretiert ihr Gehirn die akustischen Signale fehlerhaft. Eine solche Hörstörung wird nach neueren Erkenntnissen häufig in Zusammenhang mit Dyslexie (Lesen und Verstehen von Wörtern und Texten) und Autismus gebracht.
Die Arbeitsgruppe Neurogenetik an der Universität Oldenburg unter Leitung von Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang hat nun zusammen mit WissenschaftlerInnen der Universität Tel Aviv (Israel) neue Schlüsselmoleküle für die fehlerfreie Interpretation von akustischen Signalen identifiziert. Ihre Forschungsergebnisse haben die ExpertInnen kürzlich in der international renommierten Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science PLOS ONE 2012 vorgestellt.
Auditorische Verarbeitungsstörungen treten bei Jungen doppelt so häufig auf wie bei Mädchen. „Das verweist auf einen genetischen Hintergrund“, betont Nothwang. Um die genetischen Ursachen der Entwicklungsstörungen der Hörbahn zu identifizieren, versucht er mit seiner Arbeitsgruppe die Faktoren aufzuspüren, die maßgeblich an der Ausbildung der Hörbahn beteiligt sind.
„Erst seit wenigen Jahren kennt man die so genannten microRNAs – also kleine Nukleinsäuren – die bei der Genregulation eine wichtige Rolle spielen. Zu ihrer Produktion in der Zelle ist das Enzym Dicer erforderlich“, erklärt der Neurobiologe. Dieses Enzym haben die WissenschaftlerInnen aus Oldenburg und Tel Aviv mit einem speziellen Verfahren bei Mäusen lokal ausgeschaltet und damit unterbunden, dass zelluläre microRNAs in der Hörbahn hergestellt werden.
Das Ausschalten von Dicer im embryonalen Stadium hatte drastische Folgen: Ein Teil der Hörbahn entwickelte sich überhaupt nicht, ein weiterer Bereich war erheblich beeinträchtigt. „Diese Befunde ließen erstmals den Schluss zu, dass die Klasse von kleinen regulatorischen Nukleinsäuren als Schlüsselmoleküle für die korrekte Ausbildung der Hörbahn sorgen“, so Nothwang. Durch weitere genetische Analysen sei es außerdem gelungen, das kritische Zeitfenster für das Wirken von Dicer und damit von microRNAs auf die frühe embyronale Entwicklung einzugrenzen. Ihre Forschungsergebnisse haben die ExpertInnen kürzlich in der international renommierten Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science PLOS ONE 2012 vorgestellt.
Künftig wollen die WissenschaftlerInnen noch einen Schritt weitergehen und die entscheidenden microRNAs und ihre genauen Funktionen identifizieren. „Genetische Störungen wie beispielsweise Mutationen in den microRNAs führen sehr wahrscheinlich zu Fehlentwicklungen in der Hörbahn. Damit könnten sie zu auditorischen Verarbeitungsstörungen beitragen“, so der Neurobiologe. Auch für diese Untersuchungen werde die erfolgreiche Kooperation mit der israelischen Arbeitsgruppe fortgesetzt. Zudem erfährt das Projekt Unterstützung durch das Exzellenzcluster „Hearing4all“. Die Federführung des Konsortiums rund um das Thema Hören liegt bei der Universität Oldenburg.
Elena Rosengauer, Heiner Hartwich, Anna Maria Hartmann, Anya Rudnicki, Somisetty Venkata Satheesh, Karen B. Avraham, Hans Gerd Nothwang: „Egr2::cre mediated conditional ablation of dicer disrupts histogenesis of Mammalian central auditory nuclei.” PLoS ONE 2012