Je mehr Elektrizität aus erneuerbaren Quellen stammt, desto komplexer wird das Stromnetz. Die Transformation zu einem flexiblen und intelligenten System erforschen Energieinformatiker der Universität Oldenburg innerhalb eines DFG-Schwerpunktprogramms.
Engpässe, hohe Kosten und eine instabile Versorgung – diese Probleme verbinden viele Verbraucher mit dem Ausbau erneuerbarer Energien. Tatsächlich bringt die Energiewende für die Stromnetze große Herausforderungen mit sich. „In Zukunft wird es viele kleine, dezentrale Stromerzeuger geben. Zudem schwankt die Energieumwandlung erneuerbarer Quellen wie Wind und Sonne“, berichtet der Energieinformatiker Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff.
Zusammen mit Kollegen anderer deutscher Universitäten untersucht Lehnhoff verschiedene Aspekte der Transformation des Stromnetzes hin zu einem „Smart Grid“, das Verbraucher und Erzeuger intelligent miteinander verbindet. Die Informatiker der Universität Oldenburg sind an drei Projekten innerhalb eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ins Leben gerufenen Schwerpunktprogramms beteiligt. Sie werden mit jeweils knapp 300.000 Euro gefördert und sind kürzlich gestartet.
Dezentrale Steuerung
Eins der drei Projekte mit Oldenburger Beteiligung beschäftigt sich damit, wie sich die zahlreichen regenerativen Stromquellen – etwa Photovoltaik-Anlagen, Windturbinen oder Blockheizkraftwerke – am besten koordinieren lassen. Zur Steuerung setzen Lehnhoff und seine Kollegen von der Universität Hannover auf ein so genanntes Multiagentensystem. Das ist eine Software, die ähnlich funktioniert wie ein Ameisenstaat: Dabei agieren lokale Steuereinheiten unabhängig voneinander. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass die Spannung in einem Bereich des Netzes im erlaubten Rahmen bleibt, ohne dass eine zentrale Stelle das gesamte System überwacht. „Dadurch entstehen automatisch Redundanzen, die das System robuster und weniger fehleranfällig machen“, sagt Lehnhoff.
Im zweiten Teilprojekt untersuchen die Oldenburger Forscher zusammen mit Kollegen von der TU Dortmund die Risiken, die sich durch die Abhängigkeit des Stromnetzes von der Informations- und Kommunikationstechnik ergeben. Sie wollen ein Modell entwickeln, das sicherheitskritische Punkte aufspürt und bewertet. So will das Team herausfinden, ob sich Ausfälle kaskadenartig ausbreiten können, etwa vom elektrischen Netz über das Telekommunikationsnetz ins Wärme- und Gasnetz. „Im letzten Schritt soll eine Risikoanalyse entstehen, um die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kritischer Ereignisse zu identifizieren“, berichtet Lehnhoff.
Hochfahren nach dem Blackout
Das dritte Teilprojekt beschäftigt sich mit dem so genannten Schwarzstart – also dem Fall, dass das Netz nach einem großräumigen Stromausfall wieder neu gestartet werden muss. Hierbei arbeiten die Oldenburger Energieinformatiker mit der Universität Passau zusammen. „Ein Schwarzstart erfordert die sorgfältige Koordination zwischen den IT-Systemen und dem elektrischen Energiesystem“, erläutert Lehnhoff. Ein klassischer Schwarzstart in einem großen Kraftwerk beginnt mit einer Batterie, die die Steuerung für einen kleinen Dieselgenerator in Gang bringt, der wiederum eine Gasturbine startet. Häufig werden auch Wasserkraftwerke eingesetzt, deren Turbinen ohne Strom in Bewegung versetzt werden können.
In Zukunft wird die Aufgabe jedoch komplexer: Um das Stromnetz stabil wieder aufzubauen, müssen viele dezentrale Erzeuger und Verbraucher koordiniert werden. Das Problem: Um solche „Smart Grids“ nach einem Ausfall in Gang zu bringen, ist moderne Informations- und Kommunikationstechnologie nötig – die aber selbst hohe Anforderungen an die Netzstabilität stellt. „Im Falle eines großräumigen Systemausfalls müssen IT und elektrisches Netz parallel wiederaufgebaut und hochgefahren werden, wobei die beiden Systeme dynamisch miteinander wechselwirken“, berichtet Lehnhoff. Dieses „mehrkriterielle Optimierungsproblem“ will der Informatiker innerhalb des DFG-Projektes lösen.