Wissenschaftler wollen es stets ganz genau wissen, bis zum Kern einer Sache vordringen - nicht so am neuen XPS-Spektrometer im Institut für Chemie: Dort zählt nur die Oberfläche.
Die ersten Wochen des XPS-Spektrometers wird Prof. Dr. Gunther Wittstock so schnell nicht vergessen. Nicht nur, dass es in Strömen regnet, als der Spezialtransport mit dem lang ersehnten Großgerät endlich am Institut für Chemie vorfährt: Kaum ist alles in dem eigens dafür umgebauten Labor installiert und funktionstüchtig, bohrt ein Mitarbeiter einer externen Firma versehentlich eine Wasserleitung an – und das nagelneue Gerät im Wert von 1,2 Millionen Euro steht unter dem Leck. Ein paar eilig herbeigeholte und in die Höhe gereckte Fußmatten, zu einer Art Wasserleitung gerollt, verhindern Schlimmeres.
Diese Abenteuer hat das XPS-Spektrometer jedoch unbeschadet überstanden. „Ein paar graue Haare hat es schon bei mir hinterlassen, aber nun läuft ja alles wieder“, sagt Gunther Wittstock. Inzwischen ist das Gerät, das er im Zuge seiner Bleibeverhandlungen eingeworben hat, seit sechs Monaten in Betrieb. Es bietet bereits heute etwa 30 Wissenschaftlern aus Chemie und Physik ganz neue Analyse-Möglichkeiten – vor allem in der Materialforschung.
XPS steht für Röntgen-Photoelektronen-Spektroskopie. Das Verfahren analysiert genauestens die Oberfläche von Festkörpern – ein Vorteil, der besonders in der Elektrochemie zum Tragen kommt, da diese sich mit extrem dünnen Schichten befasst. Dass das Gerät sich nur auf die Oberfläche beschränkt, ist wichtig, weil sonst die Signale aus dem Inneren des Materials die eigentlich wichtigen Informationen über die Oberfläche überdecken würden. Die Dicke der untersuchten Schicht beträgt dabei nur etwa fünf Nanometer, das ist ein Zehntausendstel des Durchmessers eines Haares.
Fünf Arbeitsgruppen am Campus Wechloy nutzen das XPS-Spektrometer für unterschiedliche Fragestellungen. So geht es beispielsweise darum, Schichtstrukturen in Batterien und Solarzellen zu optimieren, um diese leistungsfähiger zu machen. Das Gerät hilft, die kleinen, aber für die Funktion oft entscheidenden chemischen Veränderungen an den Oberflächen zu erkennen. Es spielt zudem eine zentrale Rolle für die DFG-Forschergruppe „Nanoporöses Gold“, in der Wissenschaftler aus Bremen, Oldenburg, Hamburg und Berlin gemeinsam an neuen Katalysatoren forschen. Ein Katalysator hilft, chemische Produkte möglichst energieökonomisch herzustellen. Mit dem neuen Spektrometer kann festgestellt werden, wie die an der Oberfläche sitzenden aktiven Zentren des Katalysators wirken. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse möchte man künftig bessere Katalysatoren maßschneidern.
Weitere Projekte beschäftigen sich mit dem Aufbau von Sensormaterialien, die gezielt Nanopartikel bestimmter Größe und Beschaffenheit an eine Oberfläche binden und dadurch anreichern können. Erst dadurch lassen sie sich eingehender untersuchen. Auch für diese Materialien ist die Chemie zwischen den Partikeln und der äußersten Schicht des Sensors entscheidend.
Das Spektrometer haben Bund und Land zu gleichen Teilen finanziert. Es hat eine prognostizierte Lebensdauer von 25 Jahren und soll künftig im Rahmen von Kooperationsprojekten auch gemeinsam mit Wissenschaftlern anderer Forschungseinrichtungen genutzt werden.