Muss ich einer Person nah sein, um ihr vertrauen zu können? Bezogen auf die Arbeitswelt hat Innovationsforscherin Jannika Mattes das untersucht und die Ergebnisse im European Management Journal veröffentlicht. Im Interview spricht sie über Kaffeepausen als Ideenschmiede, Herausforderungen für Chefs und Freundschaften über Distanz.
FRAGE: Welche Bedeutung der direkte soziale Austausch für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit hat, haben Sie anhand von Teams in multinationalen Unternehmen untersucht. Wie wichtig ist denn der Kontakt von Angesicht zu Angesicht?
MATTES: Es gibt verschiedene Formen von Nähe, eine ist die geographische Nähe – der Kontakt „face to face“. Und diese Nähe ist bedeutsam vor allem am Anfang einer Zusammenarbeit: Wenn Leute in einem Team eng zusammenarbeiten, ist ein initiales Treffen sehr wichtig. Danach kann es auch getrennt ganz gut laufen. So haben mein schwedischer Kollege und ich es beim Schreiben unseres Fachartikels zum Thema auch erlebt: Wir haben uns in der Anfangsphase intensiv zusammengesetzt und zwischendurch noch zwei oder drei Mal, dazwischen haben wir uns per Telefon und Skype abgestimmt. Das heißt, wenn ich eine Vertrauensbasis habe, kann ich darauf aufbauen, dann brauche ich auch nicht mehr die räumliche Nähe, dann reichen mir andere Formen – etwa eine gemeinsame Sprache oder ein gemeinsames Verständnis von bestimmten Konzepten aufgrund des fachlichen Hintergrunds.
FRAGE: Das heißt, wenn die Basis da ist, hält Vertrauen auch über Distanz.
MATTES: Genau. Das gilt jedenfalls für fachliche Zusammenarbeit. Auf eine private Fernbeziehung lässt sich das sicherlich nicht eins zu eins übertragen. Da stehen schließlich noch andere Bedürfnisse im Raum als nur das Gespräch, das auch am Telefon möglich ist. Die körperliche Nähe, das Teilen des gemeinsamen Alltags fällt weg – und das ist im fachlichen Kontext ja viel weniger entscheidend. Allerdings auch nicht zu vernachlässigen: Unsere Befragten haben in den analysierten Interviews immer wieder betont, dass es sich durchaus lohnt, wenn Unternehmen in soziale Events investieren, bei denen alle zusammenkommen. Dass die indischen Ingenieure mal nach Deutschland kommen und mit ihren hiesigen Kollegen in den Biergarten gehen – um überhaupt die Vertrauensebene außerhalb des professionellen Kontexts aufzubauen, die dann nachher so lange tragen kann.
FRAGE: Für Unternehmen sind solche Events also eine Investition, die sich auszahlt?
MATTES: Wie sich das lohnt, ist schwierig zu berechnen. Aber man kann sich schon sicher sein: Wenn beispielsweise der Internetkonzern Google seinen Mitarbeitern kostenlos Essen und Trinken zur Verfügung stellt, einen Kickerraum hat, gemütliche Kaffeeecken einrichtet, gemeinsame Sportaktivitäten der Mitarbeiter fördert, dann macht der Konzern das nicht, weil er so ein hipper Arbeitgeber ist, sondern aus ökonomischem Kalkül – denn auch in sozialen Situationen entstehen gute Ideen. Die Idee zu unserem Aufsatz ist am Kaffeetisch entstanden: Es gibt in Schweden die Institution der „fika“, der Kaffeepause. Klassischerweise wird um 10 und um 15 Uhr Kaffee getrunken, auch im Büro, dort tauscht man sich aus, woran sitzt man gerade, redet auch über die Kinder, aber entwickelt eben auch neue Projekte. Das habe ich während eines Forschungsaufenthalts dort geschätzt – und merke, dass diese informelle Ebene mit meinen schwedischen Kollegen nicht mehr so einfach entsteht, seit ich nicht mehr dort bin. Diese informelle Dynamik gibt gerade Innovationsprojekten, wie wir sie angeschaut haben, oftmals entscheidende Impulse.
FRAGE: Sie untersuchen Vertrauen – etwas, womit sich im Grunde jeder auszukennen glaubt, das aber nicht so leicht beobacht- und messbar sein dürfte. Wie haben Sie das gemacht?
MATTES: Das ist wirklich schwierig, es gibt verschiedene Ansätze. Manchmal versuchen Wissenschaftler, Vertrauen quantitativ zu messen, beispielsweise: wie hoch ist im Kollegenkreis das Vertrauen zu dem einen im Vergleich zu dem anderen? Das lässt sich einfach nicht richtig quantifizieren, weil eben auch unterschiedliche Elemente eine Rolle spielen. Je nach Thema und Anliegen „passt“ es ja auch mit verschiedenen Leuten. Unsere Forschung war qualitativ, das heißt, ich habe Interviews mit den Leuten geführt, da kommen auch Zwischentöne heraus. Der Anspruch war weniger, die genaue Stärke des Vertrauens zu ermitteln, sondern vielmehr die Frage zu beantworten, ob Menschen gut zusammenarbeiten und einander wirklich vertrauen. Unsere Annäherungsfaktoren waren unter anderem offene Kommunikation, gegenseitige Sympathie sowie Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit in der Interaktion.
FRAGE: Wie knüpft Ihre Untersuchung an die Forschung zum Thema Vertrauen an?
MATTES: Die bisherige Vertrauensforschung blendet Raumaspekte weitgehend aus. Das heißt, die Bedeutung räumlicher Nähe wird nicht systematisch erforscht. Vertrauen ist komplex, die Entstehung wird ausdifferenziert, aber es geht weniger um die Rolle räumlicher Faktoren. In der wirtschaftsgeographischen Forschung gibt es Konsens, dass räumliche Nähe die Bildung von Vertrauen fördert – aber warum und wie, wird nicht wirklich betrachtet. Es wird als gegeben hingenommen, dass bei persönlichem Kontakt Vertrauen entsteht.
FRAGE: Dass Nähe in vielen Fällen Vertrauen befördert, heißt umgekehrt aber wohl nicht, dass sie allein Vertrauen schaffen kann?
MATTES: Dazu haben sich die Befragten auch geäußert: Wenn ich mit jemandem in einem Raum sitze, heißt das noch lange nicht, dass ich mit ihm spreche oder auskomme. Diese Chemie, die ist eben auch unheimlich wichtig. Die Hoffnung darauf verknüpfen Unternehmen auch mit Events wie Weihnachtsfeiern – dass Mitarbeiter dort auch eine andere Ebene finden. Es ist ganz klar, nur weil Sie zwei Leute in einen Raum setzen, vertrauen die sich noch lange nicht.
FRAGE: Wie schwierig ist es nach Ihren Erkenntnissen für Chefs, Vertrauen zu gewinnen?
MATTES: Da geht es auch um Nähe und Distanz. In der Studie gab es einen Abteilungsleiter, Mitte 30, promoviert, dessen Mitarbeiter sind alle älter als 50. Der sagt, er musste sich die Nähe erst einmal richtig verdienen und gucken, was zählt bei seinen Mitarbeitern. Bei denen zählt eben nicht zuallererst der Doktortitel, sondern da zählt, am Motor mit herumzuschrauben. Und das macht er. Damit verdient er sich Respekt und kann sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt sagen, heute muss ich mich aber um die Verwaltung kümmern. Es geht sicherlich auch um das Vorzeigen von Kompetenzen, also von kognitiver Nähe: Ich kann das auch, bin nicht besser als ihr, sondern mit Euch auf einer Wellenlänge – so entsteht das Vertrauen in dem Fall.
FRAGE: Also die Herausforderung als Vorgesetzter, eine gewisse Distanz zu überwinden, um Vertrauen zu gewinnen?
MATTES: Sicherlich ist es auch ein gewisser Balanceakt, der einerseits darin besteht, dass ich der angesehene Chef sein möchte, der außen steht und das Sagen hat, und dass ich andererseits auch zu dieser Gruppe dazugehören möchte. Da wählt sicherlich jeder einen anderen Weg. Aber wenn Vertrauen zentral ist und ich möchte, dass die Dinge auf kurzem Wege auf meinem Tisch landen, ist eben dieses soziale Miteinander auch entscheidend. Wenn jede Hierarchieebene getrennt Mittagessen geht, führt das weniger zur Integration als ein gemeinsamer Mittagstisch. So etwas ist wichtig für die Tuchfühlung. Vertrauen ist halt schwer greifbar. Ich kann ja auch nicht bewusst entscheiden: So, jetzt baue ich Vertrauen zu jemandem auf, zack. Sicherlich hilft es, wenn man sich unterhält, fachlich oder auch privat, aber man kann es eben nicht erzwingen. So funktioniert das nicht. Entweder es klickt halt oder nicht. Und für dieses Klicken ist die räumliche Nähe, dieses sich gegenüber Sitzen, mehrdimensional kommunizieren und sich einschätzen können, erst einmal entscheidend.
FRAGE: Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für die Führung von Unternehmen?
MATTES: Es lohnt sich, ein Projektteam früh zusammenzubringen. Wenn ich etwa von Mitarbeitern in Deutschland und Japan etwas Neues entwickeln lassen will, dann ist es Quatsch, dass nur die beiden Vorgesetzten sich treffen, und die Teams arbeiten unter deren jeweiliger Leitung getrennt. Dann werden die Mitarbeiter nicht leicht aufeinander zugehen können. Wenn die nur einmal eine Stunde zusammen irgendwo in einem Raum gesessen und ein Gesicht vor Augen haben, greifen die zum Telefon – das ist einfach so, der Weg ist dann gefühlt viel kürzer. Was wir häufig gehört haben: das Projekt ist zu Ende, und dann gibt es ein gemeinsames Meeting – das ist zwar auch schön zum Abrunden, ergibt aber für den Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit wenig Sinn.
FRAGE: Ein Kick-off-Meeting schafft mit erstem Zutrauen also kurze Dienstwege?
MATTES: Über den Chef an den anderen Chef heranzutreten und dann wieder eine Ebene runter, das ist furchtbar ineffizient und braucht viel Zeit. Aber wenn die Betreffenden direkt miteinander reden, ist die Chance für einen schnelleren Erfolg des Projekts größer. Nur der direkte Kontakt zum Auftakt des Projekts macht diesen Weg überhaupt möglich.
FRAGE: Sie deuteten vorhin an, dass sich Ihre Erkenntnisse nicht überallhin übertragen lassen. Wie sieht es denn zum Beispiel mit der Uni aus?
MATTES: In der Wissenschaft dürfte es in der Tat ähnlich sein, wie eingangs schon angeklungen ist. Und es lässt sich auch übertragen auf Auslandssemester: Wenn sich im Erasmus-Austausch Freundschaften bilden, gibt es eine Vertrauensbasis, vor allem, wenn man sich auch danach noch ab und zu sieht. Dabei – das dürfte eben auch für Freundschaften gelten – gibt es Leute, mit denen man das Vertrauensverhältnis so aufbaut, dass man sich auch mal jahrelang nicht hören kann und es dann sofort passt, wenn man sich wieder sieht. Dass man nicht lange überlegen muss, wo kann ich anknüpfen, sondern dass man losplaudert, als hätte man sich gestern zuletzt gesehen. Alles, was fehlt an Inhalt, wird nachgefüttert, aber die Ebene stimmt gleich. Und das ist schon analog zu unseren Forschungserkenntnissen, sicher auch in einem persönlichen Kontakt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine solche Beziehung oder Freundschaft entsteht, ohne sich jemals gegenüber gesessen zu haben.
Interview: Deike Stolz