• Wie lebten Menschen ihre Religion, welche religiösen Praktiken waren relevant? Dieser Frage gingen Gerichte etwa im 17. und 18. Jahrhundert nach, beispielsweise wenn es Konflikte zwischen Eltern um die religiöse Erziehung ihrer Kinder gab. Foto: Patrick Fore

Glaube, Liebe und Zwietracht

Heiraten, obwohl der Partner einer anderen Religion oder Konfession angehört? Solche Ehen galten in zurückliegenden Jahrhunderten als Störfaktor. Über den Druck von außen, eskalierende Konflikte zwischen Eltern um den Glauben der Kinder und das Zusammenleben heute spricht Historikerin Dagmar Freist im Interview.

Heiraten, obwohl der Partner einer anderen Religion oder Konfession angehört? Solche Ehen galten in zurückliegenden Jahrhunderten als Störfaktor. Über den Druck von außen, eskalierende Konflikte zwischen Eltern um den Glauben der Kinder und das Zusammenleben heute spricht Historikerin Dagmar Freist im Interview.

FRAGE: Frau Freist, Sie haben religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Zeit vom 16. bis frühen 19. Jahrhundert untersucht. Inwiefern waren solche Mischehen ein Störfaktor?

FREIST: Mit der Reformation zerfiel die Einheit des Christentums, auch wenn dies nicht der Intention von Martin Luther und anderen Reformatoren entsprach. Und Kirchen und Regierende taten alles, um konfessionell homogene Untertanenverbände zu schaffen – versuchten also, den Menschen deutlich zu machen: Ihr seid lutherisch, katholisch oder calvinistisch, der Landesherr vertritt diese oder jene Religion, und das sind die Glaubensinhalte. Diese sogenannte Konfessionalisierung hatte zur Folge, dass sich die Konfessionen mehr oder weniger aus dem Weg gingen. Dazu standen religiös-konfessionell gemischte Ehen, die es dennoch gab, völlig konträr, weil in der kleinsten sozialen Einheit – der Familie – sich die verschiedenen Konfessionen auf engstem Raume begegneten. Zu den alltäglichen Herausforderungen einer religiös-konfessionell gemischten Familie gehörten Entscheidungen über das für die Trauung maßgebliche Kirchenrecht, die Taufe und den „richtigen“ Schulbesuch der Kinder, den „richtigen“ Kirchgang oder das Einhalten unterschiedlicher Feiertage. So passten diese Ehen an unterschiedlichen Ecken nicht zu dem obrigkeitlichen Streben, klare konfessionelle Identitäten zu schaffen.

FRAGE: Wenn im Titel Ihrer jüngsten Publikation dazu neben Glaube und Liebe von Zwietracht die Rede ist, woran haben sich dann Konflikte entzündet? Wenn man heiraten wollte, gab es Druck von außen, oder entwickelte sich Zwietracht auch innerhalb der Beziehung?

FREIST: In diesen Mischehen zeigte sich die komplizierte Gemengelage dieser religiös-konfessionellen Koexistenz. Es begann im kleineren Maßstab bei Familienangehörigen, die mit der Eheschließung nicht einverstanden waren, aber auch beim Pfarrer des Ortes. Ein besonders gewichtiger Streit, der in den Kern der Familie hineinragte, war die Frage der Kindererziehung: Welche Konfession werden die Kinder haben?

FRAGE: Wie gingen die Menschen damit um?

FREIST: Viele Eheleute behandelten diese Konflikte sehr vorausschauend und trafen schriftliche Vereinbarungen über die religiöse Unterweisung der Kinder und das Bewahren ihrer religiösen Gewissensfreiheit. Allerdings hielt eine Ehe selten jahrzehntelang – das lag nicht an Scheidungsraten wie heute, sondern an der häufig frühen Sterblichkeit. So geschah es nicht selten, dass ein überlebender Elternteil zum Beispiel zwei Kinder hatte, die unterschiedlichen Konfessionen angehörten oder vielleicht der Religion des verstorbenen Partners. Was passierte dann? Kirchen und Angehörige versuchten, von außen Einfluss auf die zukünftige Erziehung der Kinder zu nehmen. Zu Lebzeiten der Partner entstand Zwietracht, wenn ein Ehepartner versuchte, die einmal getroffene Vereinbarung zu umgehen, also die religiöse Freiheit des anderen einzuschränken oder die Kinder entgegen der Absprachen in einer anderen Religion zu erziehen. Hauptkonfliktpunkt nach Aktenlage war jedenfalls die Kindererziehung.

Wenn Ehestreit bis zur Kindesentführung eskalierte

FRAGE: Welche Quellen haben Sie genutzt?

FREIST: Die Frage, wie sich so etwas wie ein religiöses Selbstverständnis – in Aneignung oder Veränderung theologischer Vorgaben – herausbildet und als solches wahrgenommen wird, beschäftigt mich schon lange. In Gerichtsakten habe ich dazu nach Material gesucht, weil sich dort abweichendes Verhalten und die Reaktionen darauf gut beobachten lassen. Im Generallandesarchiv in Karlsruhe bin ich auf einen Aktenstapel gestoßen, auf dem „Mischehen“ stand. Darin fand ich fast ausschließlich Konflikte um Kindererziehung bis hin zur Kindesentführung aus religiös-konfessionellen Gründen – da ist der Begriff Zwietracht schon fast verharmlosend. Diesen ersten Spuren bin ich dann weiter nachgegangen und habe erstaunlich viel Material zu diesem Thema gefunden.

FRAGE: Stritten Eltern schon damals auch um das Sorgerecht?

FREIST: Das war geregelt, es lag in der Regel beim Vater oder den männlichen Verwandten. Zwietracht entzündete sich meist an der Frage der religiösen Erziehung der Kinder: Hält ein Ehepartner die Vereinbarung nicht ein? Gab es vielleicht nur eine mündliche Absprache? Und der Konflikt brach aus, wenn irgendjemand in dieser Gemengelage – ob ein Ehepartner, Verwandte oder der Pfarrer – argumentierte, dieses Kind wird religiösem Gewissenszwang ausgesetzt: Dann kam es zur Anzeige.

FRAGE: Sprich: Man ließ gerichtlich klären, in welcher Konfession ein Kind erzogen werden sollte?

FREIST: Ja. Aber noch spannender: Die Kernfrage in diesen Gerichtsprozessen lautete, was ist eigentlich die religiöse Überzeugung des Kindes? Ab wann kann ein Kind eine religiöse Identität ausdrücken? Im 17. und 18. Jahrhundert gab es unter Geistlichen eine Debatte über das Alter, ab dem Menschen in der Lage seien, eine religiöse Identität zu erkennen und zu formulieren. Protestanten sagten ab 14, vielleicht auch erst mit 16 oder 18 Jahren, Katholiken betrachteten es als Erkenntnis Gottes, die auch schon in jüngeren Jahren möglich sei; später schalteten sich auch Calvinisten in die Diskussion ein. In einem Entführungsfall kann man sich vorstellen, wie schwierig es war zu beweisen, welche Religion das betreffende Kind eigentlich hatte…

Religiöse Subjektivierung versus "Papageiengeschwätz"

FRAGE: Wie haben die Gerichte das versucht herauszufinden?

FREIST: Sie haben versucht, in Befragungen von Kindern deren religiöse Identität herauszuhören. Diese Frageprotokolle und die Antworten sind überliefert. Dabei zielten die Fragen nicht nur auf die kognitive Ebene, indem  Lehrsätze abgefragt wurden. Sondern man hat mindestens ebenso stark nachzuvollziehen versucht, wie die Religion gelebt wurde: Welche religiösen Praktiken waren relevant, welche Lieder wurden gesungen? Welche Kirche besuchte die Familie, und war dieser Kirchgang auch verbunden mit einer positiven Haltung zu dieser Kirche? Denn in dieser Zeit gingen beispielsweise auch Protestanten in eine katholische Kirche, oder umgekehrt, wenn sie ohnehin die Gebühren zahlten und der Weg zu „ihrer“ nächstgelegenen Kirche zu weit war. Somit hatte nicht der Kirchgang allein Aussagekraft, sondern die Haltung dazu: Verlässt jemand etwa bei bestimmten liturgischen Handlungen den Kirchenraum? Die Frage von religiösen Praktiken ist in der Tat mindestens ebenso wichtig wie das kognitive Wissen. Auch in den Akten findet sich der Vorwurf, wenn Kinder einfach nur Glaubenssätze nachbeteten, sei das „Papageiengeschwätz“. Man versuchte also, und das ist eine hochmoderne Fragestellung, heranzukommen an die religiöse Überzeugung, die religiöse Subjektivierung – zunächst festgemacht am Alter und damit der Ausbildung des Verstands, aber vor allem auch festgemacht an der praktizierten Religion.

FRAGE: Ging es in diesen Konfliktfällen nur um religiöse Fragen?

FREIST: Oft haben solche vor Gericht ausgetragenen Konflikte eine Eigendynamik entwickelt. Zum Beispiel bin ich auf den Fall einer katholischen Frau gestoßen, die in zweiter Ehe einen Lutheraner heiratete, selbst zum lutherischen Glauben wechselte und nun auch ihr Kind aus erster Ehe lutherisch erziehen wollte. Ihr wurde dieses Recht vor einem Gericht in der Kurpfalz untersagt. Als der Landesherr das Kind in ein katholisches Waisenhaus zur katholischen Erziehung einweisen lässt, gehen die Eltern mit dem Fall an die Öffentlichkeit. Aus dem Konflikt um die konfessionelle Zugehörigkeit eines kleinen Mädchens wird Anfang des 18. Jahrhunderts ein reichspolitischer Fall, in dem es um die Verletzung der Gewissensfreiheit geht, die im Westfälischen Frieden 1648 garantiert wurde.

FRAGE: Derartige Fälle bekamen also durchaus auch eine politische Dimension.

FREIST: In der Tat war das, was sich bei Mischehen im Kleinen in der Familie darstellt, politisch hochbrisant und wurde auch politisch auf oberster Ebene ausgetragen, vor den Reichsgerichten verhandelt und zum Beispiel im Umfeld des Reichstags in Regensburg gezielt an die Öffentlichkeit gebracht. So gerieten die Landesherren mit auf die Anklagebank, wenn ihnen vorgeworfen wurde, sie unterstützten die Angehörigen der jeweils eigenen Religion und verletzten so das Recht auf Gewissensfreiheit  und damit den Westfälischen Friedensvertrag. Somit ist das Thema nicht nur alltagshistorisch, sondern auch reichspolitisch hochspannend.

Mischehen als Auslöser für Überfremdungsängste

FRAGE: Welche religiös-konfessionellen Mischungen waren denn denkbar – oder womöglich undenkbar? Spielten sich die untersuchten Fälle überwiegend zwischen Katholiken und Lutheranern ab?

FREIST: Es gab auch lutherisch-reformierte Mischehen – das war besonders brisant, weil die Konfessionen so nah beieinander lagen. Ich habe drei Territorien untersucht: das Fürstbistum Osnabrück, Kursachsen und die Kurpfalz. Interessanterweise waren in Kursachsen, dem lutherischen Territorium per se, die Überfremdungsängste im 17. und 18. Jahrhundert am stärksten, obwohl es dort nur eine unbedeutende Zahl anderer Glaubensangehöriger gab. Das hatte offenbar damit zu tun, dass der sächsische Kurfürst zum Katholizismus konvertierte, als er Ende des 17. Jahrhunderts zugleich König von Polen wurde. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine nervöse Mischung ständigen Beobachtens und Austarierens. Da galten Mischehen natürlich wiederum als Gefahrenherd. Die ursprünglich calvinistische Kurpfalz wurde seit Ende des 17. Jahrhunderts tatsächlich weitgehend rekatholisiert. Im Fürstbistum Osnabrück führte die Gesetzeslage zu einem steten Wechsel: Wenn ein protestantischer Herrscher gestorben war, kam ein Katholik an die Regierung, dann wieder ein Protestant. Und immer hat die vorher benachteiligte Konfession sofort die Situation genutzt.

FRAGE: Sehen Sie denn noch Parallelen heute, oder ist dieser „Störfaktor“ überwunden?

FREIST: Frauen und Männer hatten bis zum frühen 19. Jahrhundert relativen Handlungsspielraum – trotz dieser ganzen Konflikte und Einmischungsversuche. Und zwar deshalb, weil es diverse Optionen gab: Paare durften eigenständig in Eheverträgen festlegen, wie sie ihre Kinder erziehen wollten. Alternativ bestand die Regel „die Töchter wie die Mutter, die Söhne wie der Vater“ neben der patriarchalischen Vorstellung „alle Kinder wie der Vater“ – und teils gab es Gesetze des Landesherrn. Wegen dieser Vielzahl möglicher Regelungen blieb oft unklar, was ein konfessionell gemischtes Paar nun eigentlich vereinbart hatte. Auf diese unübersichtliche Lage folgte Anfang des 19. Jahrhunderts ein radikaler Schritt: Die religiöse Erziehung aller Kinder richtete sich laut Gesetz nur noch nach der Konfession des Vaters. Konflikte zwischen Staat und Kirchen waren damit programmiert, wenn der Vater einer jeweils anderen Konfession angehörte. Auch heutzutage bleibt es für Paare, denen ihre unterschiedliche Religion wichtig ist, ein Thema, wie sie ihr Zusammenleben in dieser Hinsicht gestalten. Dazu werden beispielsweise ökumenische Fortbildungen angeboten. Im Unterschied zur Frühen Neuzeit gibt es heute auch viel mehr Ehen zwischen christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubensangehörigen. Die Frage der religiösen Unterweisung der Kinder und der religiösen Praktiken im Alltag kann auch  in diesen modernen Mischehen zu einer Herausforderung werden.

Interview: Deike Stolz

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