Das Bundesministerium für Bildung und Forschung treibt die Reform von Studium, Lehre und Weiterbildung voran. Die Oldenburger Expertinnen Anke Hanft und Annika Maschwitz begleiten das milliardenschwere Projekt wissenschaftlich. Ein Interview.
FRAGE: In der deutschen Hochschullandschaft scheint einiges im Argen zu liegen, wenn das Bundesministerium für Bildung und Forschung für eine Reform mehr als zwei Milliarden Euro in die Hand nimmt...
HANFT: In der Tat ist einiges zu verbessern. Die beiden Programme, an denen insgesamt fast 200 Hochschulen beteiligt sind, verfolgen dabei zwei verschiedene Ziele. Der Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ will unter anderem berufstätigen Menschen den Einstieg in das Studium erleichtern, die ein Studium bislang nicht mit ihrem Arbeitsalltag vereinbaren können. Die Hochschulen sollen künftig flexiblere Lehrkonzepte entwickeln, die sich besser in ihren Alltag integrieren lassen. Das zweite Programm „Qualitätspakt Lehre“ soll die Lehre im Bachelor- und Masterstudium verbessern. Diese wurden in Deutschland in sehr kurzer Zeit eingeführt, was dazu führte, dass sie an Hochschulen nicht immer optimal umgesetzt worden sind.
FRAGE: Worin bestehen die Probleme?
HANFT: Der Bologna-Prozess, der zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in Deutschland führte, soll die Mobilität von Studierenden, Absolventen und Beschäftigten im europäischen Hochschulraum befördern. Um dies zu ermöglichen, ist vor allem ein flexibles Studiensystem erforderlich. Ein modular aufgebautes Studiensystem, wie die Reform es vorsieht, ermöglicht, dass Studierende leicht zwischen Hochschulen in Deutschland und sogar anderen Ländern wechseln können. Zudem ermöglicht die Modularisierung eine individuelle Gestaltung des Studiums. In vielen Ländern, wie auch in Deutschland, wurden die Chancen der Modularisierung für eine Reformierung des Studiums jedoch nicht richtig genutzt und lediglich alte Inhalte und Veranstaltungsformen in neue Strukturen gepackt.
MASCHWITZ: Das System könnte flexibel sein, ist es aber durch die Bank nicht. Im Moment ist beispielsweise die Anerkennung einer an einer anderen Hochschule erworbenen Studienleistung immer noch schwierig und häufig abhängig von der Einschätzung eines Professors oder demjenigen der prüft.
FRAGE: Was ist bei der Modularisierung des Studiums falsch gelaufen?
MASCHWITZ: Die Modularisierung gibt es nur auf dem Papier. Im Grunde findet man das, was es schon vorher gab, jetzt zu Blöcken zusammengefasst. Das Problem: Ein Modul sollte eine geschlossene Einheit bilden, bei der die erworbenen Kompetenzen mit der Prüfungsleistung abgefragt werden. Aktuell ist es eher so, dass Veranstaltungen herkömmlicher Art, wie etwa Vorlesungen, Seminare, Übungen, inhaltlich kaum verzahnt und lediglich organisatorisch zusammengefasst sind. Viele Prüfer fragen nur das Wissen aus ihrer Veranstaltung ab und berücksichtigen die anderen Inhalte des Moduls nicht. Die Studierenden bereiten sich dann eher auf diese eine Prüfung vor und vernachlässigen möglicherweise andere Inhalte des Moduls. Um das zu ändern, müssten die Lehrenden enger kooperieren. Der „Qualitätspakt Lehre“ sowie der Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ können hier einen Beitrag leisten, um die Umsetzung der Modularisierung in Studium, Lehre und Weiterbildung zu verbessern.
HANFT: Die Mittel des „Qualitätspakts Lehre“ bieten zudem die Chance für weitere Reformen. So müssen Hochschulen immer heterogener werdenden Studierenden gerecht werden. In einem Bildungssystem, in dem mehr als die Hälfte eines Altersjahrgangs ein Studium aufnimmt, ist das Kompetenzniveau der Studienanfänger sehr unterschiedlich. Darauf reagieren viele Hochschulen mit Reformen in der Studieneingangsphase.
FRAGE: Wie kann die Begleitforschung zu Veränderungen beitragen?
HANFT: Vor allem, indem gute Lösungen und erfolgreiche Reformen aus Hochschulen an andere weitergetragen werden. Inzwischen hat sich in „Aufstieg durch Bildung“ ein Netzwerk von Hochschulen gebildet, das gewonnenes Wissen von einzelnen Hochschulen an andere weitergibt. Im „Qualitätspakt Lehre“ gilt die Universität Duisburg-Essen als gutes Beispiel, wie es Hochschulen mit einem hohen Anteil von Studierenden mit einem Migrationshintergrund gelingen kann, diese scheinbare Schwäche zu einer Stärke zu machen. Die Universität hat ein Diversity Management eingeführt, das die Studierenden während des ganzen Studiums mit verschiedenen Beratungs- und Unterstützungsangeboten begleitet. Viele andere Hochschulen investieren zudem in Brückenkurse, um Studierende zu unterstützen, die Defizite in bestimmten Bereichen haben. Die Erfahrungen dieser Hochschulen werden über die Begleitforschung sichtbar gemacht, und man kann schauen, was sich bewährt. Nicht jede Hochschule muss das Rad neu erfinden. Bewährte Brückenkurse könnten zum Beispiel online anderen Hochschulen zur Verfügung gestellt werden.
FRAGE: In den Projekten geht es also auch darum, eine Kooperation der Hochschulen zu erreichen, damit gute Ideen Schule machen können. Worin besteht Ihre Aufgabe in der Begleitforschung?
HANFT: Wir sehen unseren Auftrag auch darin, Transparenz über das gewonnene Wissen herzustellen und es Hochschulen zugänglich zu machen. Im Kontakt mit Hochschulen ergibt sich häufig ein Beratungsprozess. Über einen begleiteten Bottom-up-Prozess kann das in einzelnen Hochschulen modellhaft Geschaffene dauerhaft etabliert werden. Um zu verhindern, dass mit dem Ende der Projektlaufzeit viele gute Ideen verloren gehen, möchten wir im Einklang mit dem BMBF nachhaltige Veränderungen unterstützen. Durch unsere Begleitung wollen wir mit dazu beitragen, dass Veränderungen umgesetzt werden und ein echter Reformprozess in Gang kommt.
FRAGE: An der Universität Oldenburg haben Sie bereits gezeigt, wie modulare Studienstrukturen aussehen können?
MASCHWITZ: Das stimmt. Im Center für lebenslanges Lernen, C3L, werden Masterstudiengänge entwickelt, die sich an Berufstätige richten. Ein Beispiel ist der Studiengang „BWL für Leistungssportlerinnen und Leistungssportler“, den auch der Fußball-Nationalspieler Jonas Hector belegt hat. Vor einigen Jahren haben wir festgestellt, dass Spitzensportler je nach Sportart eine Abiturquote von bis zu 70 Prozent haben. Ein Studium aber ist neben dem Spitzensport kaum möglich. Unser Studiengang geht sehr flexibel auf die Anforderungen der Sportler ein. Damit können sie diesen Studiengang neben dem Sport absolvieren. Es geschieht immer wieder, dass Sportler in der Vorbereitungszeit für große Wettkämpfe keine Zeit haben, um Leistungsnachweise innerhalb des normalen Modulzeitraums abzuliefern. Normalerweise müssten die Studierenden dann das Modul wiederholen. Wir haben das Studium deshalb so flexibel gestaltet, dass die Studierenden nur die Anzahl von Modulen belegen müssen, die sie von ihrer Zeit her schaffen.
FRAGE: Was trägt noch zur Flexibilität bei?
MASCHWITZ: Wir wissen zum Beispiel, dass man bei Leistungssportlern samstags keine Präsenzphase ansetzen kann, weil dann Turniere stattfinden. Wir berücksichtigen die Anforderungen der Studierenden und ihre zeitlichen Kapazitäten bei der Gestaltung der weiterbildenden Studiengänge.
HANFT: Letztlich müssen wir die Gestaltung des Studiums stärker an den Anforderungen der Studierenden ausrichten und dürfen nicht alle über einen Kamm scheren. Das bedeutet keineswegs, dass das Studium einfacher wird, es wird aber flexibler studierbar.
MASCHWITZ: Im C3L wurde zum Beispiel das Lernmanagementsystem C3LLO entwickelt, in dem die Studierenden sich unabhängig vom Dozenten durch die Inhalte arbeiten können. Es gibt Präsenzphasen und Projektarbeiten, die von Mentoren begleitet werden. Andere Inhalte werden über Online-Phasen vermittelt.
HANFT: Die konsequente Modularisierung in unseren Studiengängen für Berufstätige ist nicht nur für die Studierenden ein Vorteil, sondern auch für die Dozenten. In dem alten System lag die Verantwortung für Studium und Lehre komplett bei den Lehrenden. Jetzt wird ihre Kompetenz so in das Gesamtsystem eingebaut, dass die Studierenden sehr viel selbständiger und interaktiver, auch miteinander und online arbeiten und dabei begleitet werden. Dieser Wechsel vom Lehren zum Lernen ist eine richtig große Strukturreform. Sie bedeutet aber auch einen Kulturwandel, der in den Köpfen der Lehrenden ankommen muss. Sinnvoll gestaltete Module entstehen, indem sich Lehrende zusammensetzen und die Inhalte besprechen. Da die Entwicklung und Durchführung von Modulen als arbeitsteiliger Prozess angelegt ist, können Lehrende auch entlastet werden. Einen solchen Vorteil braucht es, um die Kollegen und Kolleginnen von einer Strukturreform zu überzeugen.
MASCHWITZ: Ich sehe hier auch eine wichtige Schnittstelle zwischen den Bund-Länder-Programmen „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ und „Qualitätspakt Lehre“. Die Module, die in den Studiengängen für Berufstätige entwickelt werden, können good practices für die Bachelor- und Masterstudiengänge sein. Denn hier wird genau das erreicht, was für eine Modularisierung wichtig ist: die Module bilden eine didaktische Einheit.
Interview: Tim Schröder