• Porträtbild von Hanin Karawani mit Humboldt-Schal.

    Hanin Karawani Khoury untersucht nicht nur die Folgen altersbedingten Hörverlusts, sondern auch, welche Folgen Bilingualität auf das Hörverständnis in lauter Umgebung hat. Universität Oldenburg / Matthias Knust

Länger gut hören können

Hanin Karawani Khoury forscht normalerweise an der Universität Haifa in Israel. Zurzeit aber untersucht die Humboldt-Stipendiatin in Oldenburg den Zusammenhang von Hörverlust und kognitiven Fähigkeiten.

Hanin Karawani Khoury forscht normalerweise an der mehr als 4.000 Kilometer von Oldenburg entfernten Universität Haifa in Israel. Sie untersucht den Zusammenhang zwischen Hörverlust und dem Abbau kognitiver Fähigkeiten – und wie sich beides verlangsamen lässt. Als Humboldt-Stipendiatin arbeitet sie derzeit an der Uni und im Exzellenzcluster Hearing4all.

Wer eine Woche vor Semesterbeginn nicht nur den Studiengang, sondern auch die Universität wechseln möchte, muss zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. Das weiß Dr. Hanin Karawani Khoury aus eigener Erfahrung. Als sie sich nach einem erfolgreichen Jahr als Pharmaziestudentin an der Hebräischen Universität von Jerusalem (Israel) dazu entschied, an die Universität von Haifa zu wechseln, war die Immatrikulationsfrist längst abgelaufen. Deshalb wandte sich die junge Frau direkt an das Direktorium des Departments für Sprachwissenschaften und -störungen und war offenbar sehr überzeugend: Sie wechselte kurzfristig an die Universität in Nordisrael, an der sie heute, 20 Jahre später, erfolgreich als Leiterin des AudioNeuro-Labs an der Fakultät für Sozialwesen und Gesundheitswissenschaften forscht. „Wenn sich eine Tür öffnen soll, muss man sie aufstoßen“, sagt die 39-Jährige. „Das versuche ich auch immer, meinen Studierenden beizubringen.“

Karawani Khoury hat sich seitdem zahlreiche Türen geöffnet: Den Bachelor in ihrem Wunschstudiengang Sprachwissenschaften und -störungen erhielt sie 2008 mit Auszeichnung. Das ermöglichte es ihr, direkt in ihre Promotion über auditives Lernen zu starten. Gleichzeitig arbeitete die junge Frau als klinische Audiologin und Sprachpathologin im Rambam-Krankenhaus. Auf die Promotion folgten in Haifa zwei Jahre als Postdoktorandin an der University of Maryland in den USA. Seit 2018 ist die Hörforscherin wieder in Haifa. Mit fünf Promovierenden und acht Masterstudierenden untersucht sie dort vornehmlich das Hören in verschiedenen Lebensphasen. Das hat sie nun als Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Uni Oldenburg und das Exzellenzcluster Hearing4all geführt –„einen der besten Hörforschungsstandorte der Welt“, wie sie selbst sagt.

Die Wissenschaftlerin will hier Kontakte knüpfen und die Voraussetzungen für eine langfristige Zusammenarbeit schaffen. „Auch mich bewegt besonders die Frage, wie wir den Prozess des Hörverlusts bei älteren Menschen verlangsamen können“, erklärt sie die Gemeinsamkeiten mit den Ansätzen des Exzellenzclusters Hearing4all. Wie schwierig Probleme mit dem Hören für Betroffene sind, hat sie als Studentin selbst miterlebt. „Eine mir sehr nahestehende Nachbarin war schwerhörig, das hat sie sozial isoliert“, erklärt Karawani Khoury. Unter anderem diese Erfahrung bewegte sie dazu, den Studiengang zu  wechseln.

In ihrer Forschung verfolgt die Wissenschaftlerin zwei Ansätze. Zum einen untersucht sie, welche Auswirkungen das Tragen von Hörgeräten auf das Gehirn hat. Mit altersbedingtem Hörverlust gehen häufig auch Einschränkungen kognitiver Fähigkeiten einher, etwa beim Lernen, Orientieren oder Erinnern. Die Zusammenhänge sind noch nicht genau erforscht. „Zusammen mit dem Team aus Maryland konnte ich zeigen, dass die Versorgung mit Hörgeräten auch die kognitiven Funktionen verbessert“, erklärt sie. Der Verlust dieser Fähigkeiten bei Menschen mit Hörproblemen könnte also zumindest teilweise umkehrbar sein, wenn sie dank technischer Unterstützung und deren richtiger Anwendung wieder besser hören.

Mehrsprachigkeit kann das Verstehen beeinflussen

Zum anderen erforscht Karawani Khoury, die selbst mehrere Sprachen spricht, wie es sich auf das Hören und Verstehen auswirkt, wenn Menschen zweisprachig aufwachsen. Frühere Studien haben gezeigt, dass Bilingualität die Struktur und Funktionalität des Gehirns beeinflusst – in bestimmten Regionen ist mehr Aktivität messbar, unter anderem auch in solchen, die für kognitive Fähigkeiten verantwortlich sind. In ihrem Labor in Haifa hat Karawani Khoury Testpersonen untersucht, die Arabisch und Hebräisch sprechen. Das überraschende Ergebnis: Sie hatten größere Schwierigkeiten als die einsprachige Vergleichsgruppe, Wörter gut zu verstehen, die in störende Hintergrundgeräusche eingebettet waren – und zwar sowohl in ihrer Erst- als auch in ihrer Zweitsprache. „Auf der Ebene der Physiologie haben sie mit der höheren Anpassungsfähigkeit ihres Gehirns einen Vorteil. Warum sie Gespräche trotzdem bei lauter Umgebung schlechter verstehen, ist eine der offenen Fragen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Ähnlichkeit von Sprachen ist entscheidend

Um den Antworten näher zu kommen, will sie in Oldenburg untersuchen, ob dieses Phänomen auch bei Menschen zu beobachten ist, die neben Arabisch die deutsche Sprache sprechen. „Während das Hebräische dem Arabischen ähnelt, unterscheidet sich Deutsch deutlich. Wir wollen herausfinden, ob die Schwierigkeiten von der Ähnlichkeit der Sprachen verursacht werden oder grundsätzlich bestehen“, erklärt die Hörforscherin, die während ihres Aufenthalts in Oldenburg eng mit der Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Esther Ruigendijk zusammenarbeitet.

Hanin Karawani Khoury ist mit ihrem Mann, der ein Sabbatjahr genommen hat, und den inzwischen drei gemeinsamen Kindern nach Deutschland gekommen. Damit die Kinder eine internationale Schule besuchen können, lebt die Familie in Bremen, der Partnerstadt Haifas. Nach dem Sommer will die Familie nach Haifa zurückkehren. „Unsere Arbeit und unser Zuhause warten schließlich auf uns.“

        

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