Wenn ein Mensch mit Demenz nicht mehr für sich allein sorgen kann, entscheiden sich manche Angehörige dafür, eine Pflege- oder Betreuungskraft einzustellen, die rund um die Uhr im Haushalt ist. Das entstehende Dreiecksverhältnis birgt Potenzial für zahlreiche moralische Konflikte, die Forschende der Universitätsmedizin Oldenburg jetzt gemeinsam mit Forschenden der israelischen Bar Ilan University untersuchen.
Gemeinsam wollen sie diese moralischen Konflikte identifizieren und verstehen. Auf dieser Basis formulieren sie anschließend ethische Handlungsempfehlungen, die sich sowohl an Betroffene als auch an die Politik richten. Die VolkswagenStiftung fördert das zweijährige Projekt mit 300.000 Euro aus dem Programm „Niedersächsisches Vorab: Forschungskooperation Niedersachsen – Israel“.
Schätzungen gehen davon aus, dass rund 500.000 deutsche Haushalte die Hilfe von pflegenden Betreuungskräften in Anspruch nehmen, die mit im Haushalt leben. Sie kommen in der Regel aus Osteuropa, in vielen Fällen ist das Arbeitsverhältnis nicht angemeldet und besteht oftmals nur für wenige Wochen, bis die Betreuungskraft wieder in ihre Heimat geht. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Konstellationen sind in Deutschland nur sehr unklar formuliert. „In diesem fragilen Verhältnis zwischen Betreuungskraft, Person mit Demenz und Angehörigen sind alle gleichermaßen voneinander abhängig“, sagt Dr. Merle Weßel, Projektleiterin und Medizinethikerin am Department für Versorgungsforschung der Universität Oldenburg. Sprachprobleme, unterschiedliche Erwartungen, Schuldgefühle, unklare Arbeitsaufträge, kulturelle Unterschiede – all das kann schnell zu Problemen im Alltag führen. Diese Konflikte stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts.
Forschende befragten Familien in Deutschland und Israel
Die Forschenden sprechen dabei nicht nur mit Familien in Deutschland, sondern führen diese Befragungen auch in Israel durch. Von den Familien wollen sie erfahren, wie der Alltag mit der Betreuungskraft geregelt ist. Wer trifft Entscheidungen? Was sind Vorstellungen guter Versorgung bei Demenz? Wie werden Verabredungen ausgehandelt? Welche Konflikte gibt es?
Auf deutscher Seite gehören neben Weßel der Medizinethiker Prof. Mark Schweda und die Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Milena von Kutzleben vom Department für Versorgungsforschung der Universität Oldenburg zum Projektteam. Auf israelischer Seite ist die renommierte Psychologin und Altersforscherin Prof. Liat Ayalon beteiligt. Der Vergleich mit Israel ist deshalb besonders interessant, weil auch dort das Modell der häuslichen Versorgung von Menschen mit Demenz durch Betreuungskräfte aus dem Ausland etabliert ist. In Israel unterscheiden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen und die familiären Strukturen jedoch stark von denen in Deutschland.