• Sanitäter am Einsatzwagen.

    Innerhalb von zehn, höchstens 15 Minuten nach einem Notruf müssen Rettungsdienste bei den Betroffenen sein. Doch nicht immer geht es um einen lebensbedrohlichen Notfall. Foto: Lukas Lehmann

Weniger Einsätze für Rettungsdienste?

Im Forschungsnetzwerk Notfall- und Intensivmedizin untersuchen Oldenburger Versorgungsforscher, ob und wie speziell geschulte Sanitäter Notaufnahmen und Rettungsdienste entlasten können.

Ob Herzinfarkt oder schwerer Verkehrsunfall – dem schnellen Einsatz von Notärzten und Sanitätern verdanken viele Menschen ihr Leben. Allerdings sind nicht alle Notfälle, zu denen Rettungsdienste gerufen werden, tatsächlich lebensbedrohlich. Und bei manchen Fällen könnte sogar eine Versorgung vor Ort reichen. Doch gerade diese Fälle haben in den vergangenen Jahren offenbar zugenommen, Rettungsdienste und Notfallaufnahmen sind überlastet.

Vor diesem Hintergrund wurde das zweijährige Pilotprojekt der „Gemeindenotfallsanitäter“ ins Leben gerufen, finanziert durch die AOK Niedersachsen und den Verband der Ersatzkassen (VdEK) Niedersachsen. Die Idee: Durch eine spezielle Weiterbildung mit praktischen Hospitationen sollen die Gemeindenotfallsanitäter in der Lage sein in den Fällen vor Ort Hilfe zu leisten, die beim Alarmieren der Rettungsdienststelle kein Notfall zu sein scheinen.

Ein interdisziplinäres Team des Departments für Versorgungsforschung der Universität begleitet das Vorhaben wissenschaftlich: Das Forscherteam will herausfinden, ob und wie Gemeindenotfallsanitäter tatsächlich dazu beitragen, die hohe Belastung von Notaufnahmen und Rettungsdiensten zu verringern.

Dankbar für Hilfeleistung

Bereits seit Anfang des Jahres analysiert das „Oldenburger Forschungsnetzwerk Notfall- und Intensivmedizin“ die Einsätze der Gemeindenotfallsanitäter mit Hilfe von Fragebögen. Dabei geht es etwa darum, wie dringlich die Versorgung war oder ob zusätzliche Rettungsmittel benötigt wurden. Die ersten Ergebnisse deuten auf einen positiven Effekt der neuen Sanitäter. „Die meisten Patientinnen und Patienten sind dankbar für die Hilfeleistung“, berichtet Dr. Insa Seeger, Koordinatorin des Forschungsnetzwerks.

„Offenbar können die von den Sanitätern versorgten Patienten oft in ihrer häuslichen Umgebung bleiben und müssen nicht ins Krankenhaus“, ergänzt die Expertin. Das zeige auch die Auswertung von rund 1.700 Einsatzprotokollen des ersten Halbjahres: Bei rund 60 Prozent der Patientinnen und Patienten war der Transport in ein Krankenhaus medizinisch nicht erforderlich. Nach Anamnese und dem Erfassen der Vitalparameter reichten häufig Beratung und Maßnahmen wie Hilfe bei der Selbstmedikation aus, um die Erstversorgung sicherzustellen.

Ein erstes, wichtiges Ergebnis für alle Beteiligten, das Mut macht, findet Seeger. „Gemeinsam mit meinem Team stellen wir unsere Auswertungen und Ergebnisse regelmäßig den Projektpartnern vor. So können diese schnell auf neue Erkenntnisse und Entwicklungen reagieren“, betont Seeger. Beteiligt am Projekt mit den Gemeindenotfallsanitätern sind die Berufsfeuerwehr Oldenburg, das Deutsche Rote Kreuz Cloppenburg, die Malteser Hilfsdienste Oldenburg und Vechta, der Rettungsdienst Ammerland sowie die Großleitstelle Oldenburger Land und die Leitstelle Vechta.

Versorgung im Fokus

Dank einer Förderung durch den Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) - das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen – können die Wissenschaftler ihre Begleitforschung nun ausbauen. 1,1 Millionen Euro erhalten die Partner der Universitäten Oldenburg, Aachen, Maastricht und Magdeburg um ihr Vorhaben „Inanspruchnahme, Leistungen und Effekte des Gemeindenotfallsanitäters (ILEG)“ ab 2020 um zu untersuchen, wie sich das Gemeindenotfallsanitäter-Projekt in der Praxis bewährt.

Künftig wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neben den Gemeindenotfallsanitäter-Protokollen auch Leitstellen-, Rettungsdienst- und Notaufnahmeregisterdaten auswerten. Zusätzlich sind Patienten- und Hausarztbefragungen vorgesehen. „Damit wollen wir darstellen, wie sich durch den Einsatz von Gemeindenotfallsanitätern die Inanspruchnahme von Rettungsdiensten und Notaufnahmen real verändert hat“, erklärt Seeger.

Auch die konkrete Versorgung der Patientinnen und Patienten stehe im Fokus – von der ersten Meldung in der Leitstelle bis hin zur möglicherweise stattfindenden Behandlung in einer weiterversorgen-den Einrichtung. Außerdem wollen die Experten untersuchen, in welchen Fällen die Gemeindenotfallsanitäter zum Einsatz kommen und welche Leistungen sie konkret erbringen.

Aufschluss über Bedarf an Gemeindenotfallsanitätern

Dafür befragen die Versorgungsforscher ab Januar 2020 rund tausend Patientinnen und Patienten in vier Kommunen Nordwest-Niedersachsens (Stadt Oldenburg, Landkreis Ammerland, Landkreis Vechta, Landkreis Ammerland). Um zu klären, wie die Behandlung für die Patientinnen und Patienten nach dem Einsatz der Sanitäter konkret weiterging, werten die Forscher Daten aus, die etwa in der Notaufnahme oder bei der Entlassung aus dem Krankenhaus erfasst werden.

Gerade das Nachverfolgen der weiteren Behandlung ermöglicht es den Forschern, zu bewerten, ob die Einschätzungen von Leitstellendisponenten und Gemeindenotfallsanitätern richtig waren. Und ob das gezielte Alarmieren der Sanitäter die Einsätze der Rettungsdienste tatsächlich reduziert und so die Notfallversorgung entlastet. Die Ergebnisse, so hoffen die Forscher, könnten nicht nur Aufschluss geben über den Bedarf an Gemeindenotfallsanitätern, sondern auch zu speziellem Schulungsbedarf oder ob und wie die Leitlinien für Leitstellendisponenten angepasst werden müssen.

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