Der Klimawandel wird immer stärker spürbar. Reformen beim Weltklimarat IPCC könnten den politischen Druck erhöhen und so den Kampf gegen die Erwärmung voranbringen, argumentiert Nachhaltigkeitsforscher Bernd Siebenhüner.
Der IPCC, das Intergovernmental Panel on Climate Change, wird oft als Weltklimarat bezeichnet. Welche Bedeutung hat dieses Gremium?
Der IPCC liefert eine Grundlage für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen zum Klimawandel. Er zeigt unterschiedliche Handlungsoptionen auf, gibt aber keine direkten Handlungsempfehlungen für Staaten. Manche sagen deshalb, der IPCC sei nur eine Theaterveranstaltung, aber das sehe ich nicht so. Die politische Kraft des IPCC ist durchaus sehr stark, er hat viele Erfolge erzielt. Er hat eine große Sichtbarkeit in der Welt und eine besondere Rolle an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Er wird in den Klimaverhandlungen gehört, auch bei den Regierungen, und ist in der Wissenschaft eine wesentliche Referenz. Die IPCC-Berichte haben ein starkes wissenschaftliches Fundament für das Pariser Klimaabkommen von 2015 geliefert, in dem sich praktisch alle Staaten der Welt darauf geeinigt haben, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.
Dennoch haben Sie gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von Forschenden in der Fachzeitschrift Nature Climate Change kürzlich mögliche Szenarien einer Veränderung des IPCC entworfen. Warum sind Reformen Ihrer Meinung nach nötig?
Mit dem Ende des aktuellen Gutachten-Zyklus steht der IPCC gewissermaßen an einer Weggabelung – mit der Gelegenheit, sich für die Zukunft neu aufzustellen. Es stellen sich Fragen, etwa: Was hat man gelernt im aktuellen Zyklus, was lässt sich in Zukunft anders machen? Aufgrund verschiedener politischer, wissenschaftlicher und ökologischer Entwicklungen existiert heute ein deutlich anderes Umfeld als in den letzten Jahrzehnten. Das war der Anlass für den Artikel in Nature Climate Change und auch für unser kürzlich erschienenes Buch.
Was hat sich verändert?
In den Anfängen des IPCC ging es sehr stark um die Fragen: Gibt es überhaupt einen Klimawandel? Ist er menschengemacht? Und wo ist die Grenze eines gefährlichen Klimawandels, die es zu vermeiden gilt? Diese Fragen sind mittlerweile beantwortet: Ja, es gibt einen Wandel, sehr deutlich. Die Grenze, ab der es gefährlich wird, ist auch geklärt. Lange Zeit hatte man angenommen, dass diese Schwelle bei einer weltweiten durchschnittlichen Erwärmung von zwei Grad Celsius liegt. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hat man sich dann darauf geeinigt, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, weil es Anzeichen dafür gab, dass schon eine Erwärmung von zwei Grad ziemlich riskant ist. Der Sonderbericht des IPCC zum 1,5-Grad-Ziel, der 2018 herausgekommen ist, hat bestätigt, wie gravierend die Lage ist und wie schnell wir mit den Treibhausgas-Emissionen runter müssen, um unter 1,5 Grad zu bleiben. Er zeigt sehr deutlich die Dramatik, mit der sich Klima, Naturräume und Ökosysteme verändern. Das hat die politische Diskurslandschaft in den vergangenen fünf Jahren stark verändert.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Arbeit des IPCC?
Der IPCC ist an sein ursprüngliches Mandat gebunden, dass seine Berichte zwar politikrelevant sein sollen, ohne jedoch der Politik Vorschriften zu machen, und darauf achten die Staaten auch ziemlich genau. Der IPCC-Bericht enthält Maßnahmen zum Klimaschutz, zeigt aber nur Möglichkeiten auf. Er bricht nicht herunter, was etwa in Deutschland passieren müsste, um die Klimaziele einzuhalten. Der IPCC teilt auch kein Emissionsbudget auf zwischen den Staaten. Er darf also die nötigen Maßnahmen nicht auf die zentrale Akteurskategorie der Nationalstaaten, die ja die globalen Klimaverhandlungen führen, herunterbrechen. Das hemmt seine Wirkung auf nationale Politik. Die Berichte sind faktisch nur so etwas wie eine Menükarte: Die Regierungen können frei entscheiden, was sie davon übernehmen.
Warum ist das problematisch?
Wenn wir die größten Gefahren des Klimawandels abwenden wollen, müssen wir sehr rapide handeln. Es wäre wichtig, dass der IPCC Maßnahmen ausbuchstabieren könnte für einzelne Länder, weil die Logik des Pariser Abkommens eine andere ist als diejenige des zuvor geltenden Kyoto-Protokolls, das noch globale Emissionsbegrenzungen vorsah. Das Pariser Abkommen hat demgegenüber den Spielraum der Nationalstaaten gestärkt und stellt ihnen mehr oder weniger frei, wie stark sie ihre Emissionen begrenzen wollen und wie die eigene Zielvorgabe erreicht wird. Diese nationalen Verpflichtungserklärungen sollten sich idealerweise so addieren, dass sie die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen. Zum Zeitpunkt von Paris lagen jedoch lediglich Verpflichtungserklärungen vor, die die Erwärmung in Summe nur auf ungefähr 3,5 Grad begrenzt hätten. Heute sind wir bei ungefähr 2,6 Grad angekommen. Wohlgemerkt: Das sind erst einmal nur Verpflichtungserklärungen. Wir sehen in Deutschland wie auch in anderen Staaten, dass diese Ziele oft nicht eingehalten werden wie versprochen. Es ist eine Schwäche des Abkommens, dass der Druck international relativ schwach bleibt, ambitionierte Ziele zu formulieren und umzusetzen.
Es gibt noch weitere Kritikpunkte am IPCC, zum Beispiel, dass die Sozialwissenschaften stärker eingebunden werden sollten.
Genau. Insgesamt war die Klimaforschung bis in die 2000er-Jahre sehr stark naturwissenschaftlich geprägt. Inzwischen verschiebt sich die Klimadiskussion aber viel mehr in eine gesellschaftspolitische Richtung. Es stellt sich die Frage: Wie können wir den Klimawandel begrenzen, was müssen wir anders machen? Der dritte Teil des Sachstandsberichts, in dem es um den Klimaschutz geht, war bislang außerdem sehr stark von der Ökonomie dominiert.
Welche Aufgabe sehen Sie für den IPCC?
Es wäre wichtig, den Blick zu weiten. Probleme der sozialen Entwicklung werden im Klimadiskurs bereits berücksichtigt, Klimagerechtigkeit ist ein großes Stichwort. Aber Probleme wie Ressourcenübernutzung spielen noch keine große Rolle: Wenn wir jetzt massiv in erneuerbare Energien und E-Autos investieren, müssen wir sehr viele Ressourcen extrahieren, mit hohem Energieaufwand. Die Ressourcen der Erde sind nicht beliebig vermehrbar, es droht eine Verschiebung von Problemen. Das kennen wir aus der Umweltpolitik nur zu gut, dass man ein Problem löst und ein anderes schafft. Das müssen wir natürlich vermeiden. Auch ohne zusätzliche neue Ressourcen oder energieintensive Technik lässt sich viel bewegen, etwa durch Verhaltensänderungen oder eine Änderung der Politik.
Welche konkreten Szenarien sehen Sie für die Zukunft des IPCC?
Das erste haben wir „Business as usual“ genannt: Der IPCC macht so weiter wie bisher, ruht sich auf seinen Lorbeeren aus, könnte man übersetzen, wird vielleicht zunehmend weniger relevant und weniger gehört. Ganz böse gesagt, droht der IPCC in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, wenn er diesen Weg wählt.
Wie sehen die anderen Szenarien aus?
Das zweite Szenario beinhaltet eine größere Vielfalt der Sichtweisen: Der IPCC könnte sich gegenüber anderen Akteuren als den Nationalstaaten öffnen. Dazu zählen zum Beispiel staatliche Akteure auf anderen Handlungsebenen. Kommunen oder Regionen in Staaten, in denen Klimaschutz nicht oben auf der Agenda steht, können auch etwas bewirken. So waren unter der Trump-Regierung die US-Bundesstaaten vergleichsweise aktiv, Kalifornien, die Neuengland-Staaten, selbst Texas. Natürlich ist auch die Zivilgesellschaft wichtig, etwa Fridays for Future und andere Organisationen. Die möchten mitreden, Fragen stellen und an Lösungen mitarbeiten. Unternehmen haben ebenfalls riesige Handlungsmöglichkeiten und wollen sich immer mehr einbringen. Sie sind ein wichtiger gesellschaftlicher Akteur und können auch ein Adressat von Empfehlungen sein.
Und das dritte Szenario…
… wäre, dass der IPCC politischen Wandel stärker unterstützt. Damit der IPCC stärker politisch agieren kann, wären allerdings größere institutionelle Reformen nötig.
Gibt es auch Vorbilder dafür, wie Umweltberichte eine stärkere politische Schlagkraft entwickeln können?
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD, veröffentlicht als angesehene Wirtschaftsorganisation seit 30 Jahren sogenannte Umweltprüfberichte. Diese Berichte geben den Mitgliedsstaaten teils sehr kritische Rückmeldungen dazu, wie verbesserungswürdig etwa ihre Chemiepolitik oder Energiepolitik sind. Meine Hoffnung ist, dass die Staaten zunehmend auch Empfehlungen des IPCC zulassen. So könnten Reformen in Gang kommen, die dann eine Wirkung im nächsten Berichtszyklus und auch in der Klimapolitik entfalten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Ute Kehse