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Prof. Dr. Klaus Zierer
Institut für Pädagogik
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  • Was ist ein guter Klassenraum? „Licht, die Akustik, die Raumfarben, das Raumklima und das Mobiliar sind wichtige Faktoren”. Bild: photögraphy.com / photocase.com

„Der Schlüssel liegt im Mitgestalten”

Wie muss ein Klassenzimmer beschaffen sein, damit Schüler und Lehrer sich darin wohlfühlen? Der Oldenburger Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer widmet sich in seinem neuen Band einer fundamentalen – und bislang weitgehend ausgeblendeten – Frage.

Wie muss ein Klassenzimmer beschaffen sein, damit Schüler und Lehrer sich darin wohlfühlen? Der Oldenburger Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer widmet sich in seinem neuen Band einer fundamentalen – und bislang weitgehend ausgeblendeten – Frage.

FRAGE: Herr Zierer, können Sie sich noch an die Klassenräume Ihrer Schulzeit erinnern?
 
ZIERER: Als erstes fällt mir hierzu ein, dass die Klassenräume von einer Sitzordnung mit starren Reihen dominiert waren. Gruppentische und eine damit verbundene Gruppenarbeit gab es eigentlich nicht. Außerdem wirkten die Klassenräume steril. Wir Schüler konnten an der Raumgestaltung kaum mitwirken.
 
FRAGE: Nun könnte man meinen: Das ist lange her, da hat sich eine Menge geändert in der Gestaltung von Klassenräumen.
 
ZIERER: Das ist nur bedingt so: Vor allem in Grundschulen habe ich viele Klassenräume gesehen, die weitaus freundlicher gestaltet waren als noch zu meiner Zeit. Aber von einer grundsätzlichen Änderung der Situation kann leider nicht die Rede sein. Vielfach schauen Klassenräume noch so aus wie zu meiner Schulzeit. Und wenn sie schon einmal freundlicher gestaltet sind, dann dominiert die Handschrift der Lehrpersonen – und nicht die der Kinder. Was man häufig zu Gesicht bekommt, sind moderne Medien, wie Computer und Whiteboards. Aber das allein reicht natürlich nicht.
 
FRAGE: Die Frage, wie ein Klassenraum gestaltet sein muss, damit er guten Unterricht zumindest nicht verhindert, wurde bislang ausgeblendet – in der Einleitung Ihres Buches ist gar von einer „erziehungswissenschaftliche(n) Resistenz gegenüber Fragen der Architektur“ die Rede. Wie kann es sein, dass eine so grundlegende Sache so lange nicht gesehen wurde?
 
ZIERER: Im Wesentlichen sehe ich zwei Ursachen: Erstens wird die Raumfrage durch Architekten und Ingenieure stark besetzt. Erziehungswissenschaft konzentriert sich traditionell mehr auf das konkrete Handeln und auf die Interaktionen im Lehr-Lern-Prozess. Die äußeren Rahmenbedingungen, wie eben die Raumstruktur, fallen häufig unter den Tisch. Das gilt, nebenbei bemerkt, auch für Fragen der Unterrichtszeit: Der 45-Minuten-Rhythmus ist wohl das beste Beispiel in diesem Zusammenhang. Will man Raum- und Zeitfragen ernsthaft beantworten, muss interdisziplinär gearbeitet werden. Ein Schulterschluss zwischen Erziehungswissenschaftlern, Psychologen, Philosophen, Architekten und vielen anderen ist insofern notwendig und erfordert einen Blick über die Grenzen des eigenen Faches. Zweitens werden Klassenräume ja nicht kontinuierlich erneuert, sondern meistens nur dann, wenn ein Schulbau oder eine Schulrenovierung ansteht. Und dann kommen Architekten zum Zug! Die so geschaffenen Klassenräume müssen dann 20, 30 Jahre ihren Dienst erfüllen. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die jede Lehrperson mit ihrer Klasse hat, werden dann häufig als Zeitvertreib und Privatvergnügen angesehen – als eine Spielerei, die man nicht weiter ernst nehmen muss. Das gilt übrigens auch für die Seminarräume der Universitäten: Räume, die einmal eingerichtet worden sind und nun Jahr für Jahr genutzt werden, ohne dass sich etwas ändert. Und häufig ist es gar verboten, den Raum an die Lerngruppe anzupassen.
 
FRAGE: Räume werden unterschiedlich erlebt, auch hängt das Raumerleben vom jeweiligen Alter ab. Welche Faktoren sind es konkret, die bei der Raumgestaltung eine wertschätzende Atmosphäre schaffen – und den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden?
 
ZIERER: Interessant an den Ergebnissen der Autoren des Bandes ist: Aus welcher Perspektive auch immer ich Schulräume betrachte – ob aus Sicht der Philosophie, der Soziologie, der Psychologie oder anderen Feldern –, ich gelange zu denselben Schlussfolgerungen. Das Wichtigste bei der Raumgestaltung ist, dass sich Schüler wohl und geborgen fühlen. Damit ist etwas Subjektives, ein Gefühl angesprochen. Aus pädagogischer Sicht stellt sich dann die Frage: Wie können diese Gefühle bei den Schülern geweckt werden? Und ein Schlüssel liegt hier ohne Zweifel in der Möglichkeit, die Räume mitgestalten zu können. Darüber hinaus wissen wir heute aus vielen benachbarten Disziplinen: Auch das Licht, die Akustik, die Raumfarben, das Raumklima und das Mobiliar sind wichtige Faktoren für einen guten Klassenraum. Gerade hier kann sowohl in der Theorie als auch in der Praxis noch viel verbessert werden.
 
FRAGE: Gibt es bereits vorbildhafte Ansätze einer modernen Raumgestaltung an Schulen in Deutschland?
 
ZIERER: Ja, die gibt es. Im Buch haben wir eine Reihe von Beispielen aufgegriffen, die von Architekten und Pädagogen näher beschrieben werden. Allerdings ist auch hier zu bemerken, dass dies häufig Neubauten oder Renovierungsarbeiten sind. Es bleibt daher auch in diesen Fällen abzuwarten, ob sich die Klassenräume über die Zeit hinweg ihren Lerngruppen anpassen. Das ist letztendlich das Entscheidende.
 
FRAGE: Gibt es Chancen, dass diese Beispiele Schule machen werden?
 
ZIERER: Ich hoffe es! Ein Problem ist sicherlich wieder einmal, dass so manche Veränderung Geld kostet – gerade die Faktoren aus dem technischen Bereich, wie Akustik, Licht, Belüftung usw. Dennoch: Veränderungen sind möglich. Und ein Ansatz ist darin zu sehen, in den Köpfen aller Beteiligten ein Bewusstsein für Raumfragen zu wecken. Wenn beispielsweise die Schulverwaltung die Notwendigkeit für Investitionen in Raumstrukturen realisiert hat, dann kann vieles bewegt werden. In gleicher Weise hat die einzelne Lehrperson die Möglichkeit, die Klassenräume zu verändern und die Schüler mitgestalten zu lassen. Ein Beispiel hierzu: Nicht die ökologisch unsinnigen laminierten Wortkarten der Lehrkraft Jahr für Jahr an die Wand hängen, sondern die von Schülern jedes Jahr neu gestalteten Zettel.

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Joachim Kahlert, Kai Nitsche, Klaus Zierer (Hrsg.):
Räume zum Lernen und Lehren.
Perspektiven einer zeitgemäßen Schulraumgestaltung.
Verlag Julius Klinkhardt,  296 Seiten
ISBN 978-3-7815-1927-5

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