Ein neuer digitaler 3D-Atlas zeigt, wie sich Schwermetalle und Spurenelemente im Meer verteilen – in einer bislang noch nicht erreichten Detailtiefe. Beteiligt an dem internationalen Forschungsprojekt sind auch Wissenschaftler des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM).
Der Ozean hat ein langes Gedächtnis: Das verrät ein neuer digitaler 3D-Atlas bereits auf den ersten Blick. In etwa 500 bis 2.000 Metern Tiefe zieht sich darin eine rote Fahne quer durch den Atlantischen Ozean und signalisiert: Hier unten schwimmt vermutlich ein großer Teil des Bleis, das vor der Einführung bleifreien Benzins in Nordamerika und Europa aus den Auspuffrohren unserer Autos quoll. „Geotraces“ heißt das internationale Projekt, in dessen Rahmen Wissenschaftler aus 30 Instituten und zehn Ländern den 3D-Atlas erstellt haben. Dazu gehören auch Wissenschaftler des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg.
Blei ist aber nur einer von vielen Spurenstoffen, deren Verteilung in den Weltmeeren erstmals in dieser Detailtiefe sichtbar wird. In einem weltumspannenden Kraftakt arbeiten derzeit die Wissenschaftler an dem Projekt, um Quellen, Senken und Verbreitungswege von Eisen, Cadmium, Blei & Co. im Meer aufzuspüren und sichtbar zu machen. Der neue 3D-Atlas zeigt erste Zwischenergebnisse für den Atlantik, die Arktis und den Indischen Ozean.
„Insgesamt sprechen wir hier von sehr geringen Konzentrationen in einer Größenordnung von etwa einem Teil Blei auf tausend Milliarden Teile Wasser“, erläutert Prof. Dr. Reiner Schlitzer vom Alfred-Wegner-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, gegenwärtig Sprecher von Geotraces, warum die im Atlantik gemessenen Bleikonzentrationen keine unmittelbare Umweltgefährdung darstellen. Die geringen Nachweismengen verdeutlichen aber auch den enormen analytischen Aufwand, der für ein solches Projekt erforderlich ist und nur in einem großen Forschungsverbund realisiert werden kann.
„Weltweit gibt es nur wenige, hoch spezialisierte Labore, die einzelne Spurenstoffe in derart geringen Konzentrationen zuverlässig messen können“, so Schlitzer. Es sind aber nicht nur sehr anspruchsvolle, sondern auch sehr viele Analysen nötig, um einen solchen Atlas der Weltmeere erstellen zu können. Bisher wurden mehr als fünfundzwanzigtausend Wasserproben unterschiedlicher Tiefe von etwa achthundert Messstationen auf über 200 Stoffe untersucht. 15 Schiffsexpeditionen waren erforderlich, um die bis jetzt eingearbeiteten Daten zu erheben. Weitere werden folgen. In Deutschland sind außer dem Alfred-Wegener-Institut und dem Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg noch das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel an dem Projekt beteiligt, das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.
Die Forschungsgruppe für Marine Isotopengeochemie am ICBM geht dabei noch einen Schritt weiter – und misst im Rahmen des Geotraces-Programms seit zwei Jahren nicht nur die Konzentrationen von speziellen Spurenelementen im Meerwasser, sondern auch deren isotopische Zusammensetzung. Daraus können die Wissenschaftler wichtige zusätzliche Informationen gewinnen: zu den Quellen und Transportwegen von Spurenelementen im Meer sowie zu den Kreisläufen, in die die Elemente im Ozean eingebunden sind.
Welchen wissenschaftlichen Schatz die Forscher in einprägsamen Visualisierungen aus der Tiefe des Ozeans auf den Bildschirm befördert und sichtbar gemacht haben, zeigt auch das Beispiel „Eisen“. Im Ozean ist Eisen häufig ein Mangelelement. Staubeinträge von Land gelten bisher als dominierende Quelle des wichtigen Mikronährstoffes für Algen, der im Ökosystem „Meer“ deshalb von großer Bedeutung ist. Ein Blick auf den digitalen Atlas aber zeigt: Auch im Umfeld von Seebergen auf dem Mittelatlantischen Rücken oder am Kontinentalschelf Westafrikas wird viel Eisen in den Ozean eingetragen. Die relativ hohen Cadmium-Konzentrationen wiederum, die sich in einem auffälligen Band entlang der südamerikanischen Atlantikküste ziehen, deuten nicht etwa auf einen erhöhten Umweltfrevel angrenzender Länder hin. Das Schwermetall spiegelt hier die Ausbreitungsmuster verschiedener Meeresströmungen wider.
Solche Zusammenhänge für alle Weltmeere auf einen Blick erkennbar zu machen, ist das Ziel des neuen elektronischen Atlas, der seit kurzem für jeden im Internet verfügbar ist. Und nicht nur das. „Durch regelmäßige Vergleiche werden wir künftig auf einfache Art erkennen können, wie der Klimawandel oder auch menschliche Emissionen die Verteilung von Nähr-, Schad- und anderen Spurenstoffen im Ozean verändert“, resümiert Schlitzer – vorausgesetzt natürlich, dass hunderte Forscherkollegen in aller Welt den neuen Atlas auch weiterhin kontinuierlich mit Daten füttern.