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Christina Steingröver
Arbeitsbereich "Sport und Bewegung"
Institut für Sportwissenschaft
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christina.steingroever@uni-oldenburg.de

  • Jugendfußballer: Der noch nicht so weit entwickelte jüngere Spieler ist gegenüber größeren und stärkeren Spielern häufig im Nachteil. Foto: joruba/istockphoto

WM: Der Vorteil der frühen Geburt

Warum sind die meisten Spieler in europäischen Jugendfußball-Nationalmannschaften im ersten Quartal eines Jahres geboren? Und warum setzt sich das in den späteren Mannschaften fort? Sportwissenschaftler haben sich die Geburtsdaten aller WM-Spieler angesehen - und Interessantes zutage gebracht.

Warum sind die meisten Spieler in europäischen Jugendfußball-Nationalmannschaften im ersten Quartal eines Jahres geboren? Und warum setzt sich das in den späteren Mannschaften fort? Sportwissenschaftler haben sich die Geburtsdaten aller WM-Spieler angesehen - und Interessantes zutage gebracht.

Von Christina Steingröver

Am 2. Juni gaben Bundestrainer Joachim Löw und seine Trainerkollegen den endgültigen Kader für die Fußball-WM bekannt. Für das Team des Arbeitsbereichs „Sport und Bewegung“ am Institut für Sportwissenschaft ein Anlass, die Geburtsdaten aller WM-Spieler zu recherchieren. Ziel der Datenerhebung war es, die Stichprobe auf ein seit langem bekanntes Phänomen zu untersuchen: den sogenannten relativen Alterseffekt.

Dieser taucht immer dort auf, wo Stichtage zur Einteilung von Altersklassen verwendet werden. Stichtage sollen eigentlich gleiche Voraussetzungen und somit Chancengleichheit in den jeweiligen Gruppen schaffen. In Auswahlmannschaften im Sport führen sie jedoch häufig zu einer verzerrten Geburtsdatenverteilung. Am Beispiel einer Fußballmannschaft –Stichtag 1. Januar– bedeutet dies: Das Geburtsdatum auffallend vieler Spieler fällt auf den Anfang des Auswahlzeitraumes.

Warum nominieren Trainer häufig ältere Spieler? Die Gründe sind vielfältig: Ein zehnjähriger D-Jugend-Spieler, Anfang Januar geboren, ist nahezu ein Jahr älter als sein Ende Dezember geborener Mitspieler. Er verfügt damit über zehn Prozent mehr Lebens- und Entwicklungszeit sowie einen größeren Erfahrungsschatz. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er aufgrund seines früheren Geburtstages physisch und kognitiv weiter entwickelt ist. Kurz nach dem Stichtag geborene Spieler haben also mehr Zeit, bis zum sportlichen Wettkampf leistungsbestimmende Merkmale zu erwerben, das heißt zu wachsen, Muskulatur aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln.

Diese physischen Merkmale führen zwar nicht automatisch zu herausragenden Techniken. Sie verhelfen den älteren Spielern jedoch dabei, sich gegen ihre jüngeren Mit- und Gegenspieler durchzusetzen oder hervorzuheben. So kommt es bei Auswahlverfahren für Kreis- oder Landesauswahlmannschaften dazu, dass der technisch fortgeschrittene, aber noch nicht so weit entwickelte jüngere Spieler seine Fähigkeiten nicht zeigen kann, da ihm sein schnellerer, größerer und stärkerer Gegenspieler keine Gelegenheit dazu lässt.

Gegensätzlich zur ursprünglichen Intention verschaffen Stichtage also keine Chancengleichheit, sondern Vorteile für Spieler mit einem frühen Geburtstag. Das Ganze schreibt sich fort: Der ältere Spieler wird aufgrund seines reifebedingten Leistungsvorsprungs häufig gelobt und bekommt positives Feedback. Lob, Erfolge, Tore und Pokale führen zu einer ausgeprägten Motivation, sich weiter verbessern und dafür engagiert trainieren zu wollen. Wird ein relativ älterer Spieler vor diesem Hintergrund für eine Auswahlmannschaft nominiert, so geht die Schere der Bedingungen, unter denen die Spieler trainieren, noch weiter auseinander: Auswahlspieler erhalten mehr Training von oftmals qualifizierteren Trainern unter besseren Bedingungen und können somit ihr Leistungspotential besser ausschöpfen.

Nun wäre es zu erwarten, dass im Erwachsenenalter – wenn alle Spieler ihre körperliche Reife erlangt haben – der Altersunterschied keine Rolle mehr spielt. Dementsprechend sollten in jedem Monat gleich viele WM-Spieler geboren und keine Überrepräsentation der frühen Monate des Stichtagsjahres zu verzeichnen sein. Von den 736 WM-Spielern müssten also in jedem Monat circa 61 Spieler geboren worden sein. Auf die in der Wissenschaft üblichere Unterteilung in Geburtsquartale bedeutet dies eine Anzahl von 184 Spielern pro Quartal. Die tatsächliche Geburtsdatenverteilung der Spieler der fünf Kontinental-Konföderationen (zum Beispiel UEFA für Europa) lässt auf anderes schließen. Während in Nord- und Zentralamerika nahezu die erwartete Gleichverteilung auftritt, zeigt sich in Südamerika eine Überrepräsentation der im ersten Halbjahr des Auswahljahres geborenen Spieler.

In der asiatischen Konföderation ist deutlich zu sehen, dass nur eine Minderheit der Spieler im vierten Quartal geboren ist und somit zu den relativ jüngsten gehört. Besonders anfällig für den relativen Alterseffekt zeigen sich die UEFA-Teams, in denen fast doppelt so viele Spieler in den Monaten Januar bis März geboren wurden wie zwischen Oktober und Dezember. Trotz ihrer Eindeutigkeit stellt dieses Ergebnis keine allzu große Überraschung dar, da der relative Alterseffekt in den allermeisten europäischen Jugendfußball-Nationalmannschaften bereits gefunden wurde. Besonderes Interesse weckt die Geburtsdatenverteilung der afrikanischen Teams, in denen die meisten Spieler zu den relativ Jüngeren zählen.

Verfügen die dortigen Fußballsysteme über bestimmte Mechanismen, die den relativ Älteren keine Vorteile verschaffen? Zukünftig gilt es, solche Mechanismen zu erforschen – um letztendlich auch beim Deutschen Fußball-Bund sicherstellen zu können, dass relativ jüngere Spieler keine Nachteile aufgrund ihres späten Geburtstages haben.

Christina Steingröver ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Sport und Bewegung“ des Instituts für Sportwissenschaft. Leiter des Arbeitsbereichs ist Prof. Dr. Jörg Schorer.

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