Den diesjährigen Nobelpreis für Physik gab es für Durchbrüche in der Attosekundenphysik. Die neuen Techniken finden auch in Oldenburg zunehmend Anwendung – nicht zuletzt dank einer direkten Verbindung zur Nobelpreisträgerin Anne L’Huillier.
Herr Vogelsang, Sie waren von 2017 bis 2020 drei Jahre lang Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Anne L’Huillier an der Universität Lund in Schweden. Was haben Sie von ihr gelernt?
Sie ist für mich in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Ich kann mir von ihr einiges abschauen, sowohl, wie sie Wissenschaft macht, als auch, wie sie andere motiviert. Sie kann sehr gut Begeisterung wecken für ihre Forschung. Durch ihre Arbeiten ist sie in ihrem Fach hoch angesehen, dabei ist sie aber sehr bodenständig und bescheiden geblieben. Bei ihr steht immer das Team im Mittelpunkt, und auch die Lehre ist für sie sehr wichtig – etwa, ihre Doktoranden und Postdoktoranden auszubilden. Ich finde es sehr bezeichnend, dass sie erst einmal ihre Vorlesung zu Ende gebracht hat, nachdem sie vom Nobelpreis erfahren hatte. Ich freue mich riesig für sie, dass sie diese Auszeichnung erhalten hat. Ihre Art, Forschung zu betreiben, hat mich inspiriert, und ich habe bei ihr natürlich auch fachlich viel gelernt – insbesondere, wie man extrem kurze Laserpulse erzeugt.
Darum geht es ja auch in der Arbeit der diesjährigen Nobelpreisträger. Sowohl Anne L‘Huillier als auch Pierre Agostini und Ferenc Krausz befassen sich mit der sogenannten Attosekundenphysik. Was ist darunter zu verstehen?
In der Attosekundenphysik geht es um die Untersuchung von physikalischen Prozessen, die auf einer Zeitskala von wenigen Attosekunden stattfinden. Eine Attosekunde ist eine unglaublich kurze Zeitspanne, nämlich der Milliardste Teil einer Milliardstel Sekunde. Zum Vergleich: In eine Sekunde passen etwa genauso viele Attosekunden wie Sekunden seit dem Beginn des Universums vergangen sind.
Welche Prozesse laufen so schnell ab?
Vor allem geht es um die Bewegung von Elektronen oder allgemein Ladungen in Molekülen oder Festkörpern. Wenn zum Beispiel Licht auf ein Halbleitermaterial fällt und Elektronen herauslöst, dauert das etwa eine Femtosekunde, das sind tausend Attosekunden. Um diesen Vorgang zu untersuchen, braucht man Lichtblitze, die noch kürzer sind. So kann man die Bewegung der Elektronen quasi einfrieren.
Gibt es mögliche Anwendungen?
Ein Beispiel wäre die Energieerzeugung in Solarzellen. Wenn man den Prozess besser versteht, durch den freie Elektronen in einem Halbleiter erzeugt werden, kann man ihn auch optimieren. Aber noch ist es Grundlagenforschung, die Anwendung steht nicht unmittelbar im Fokus. Wie Anne L’Huillier gestern in einem Interview gesagt hat: Ihre Entdeckung von 1987 war neu und unerwartet, es hat eine ganze Weile gedauert, die grundlegenden Prozesse zu verstehen. Erst viele Jahre später wurde es möglich, neue Dinge damit zu untersuchen und nach Anwendungen zu schauen. Und damit sind wir immer noch beschäftigt. 1987 wurde ich gerade geboren, aber auch meine aktuelle Forschung basiert noch auf Annes damaliger Entdeckung.
Wie schafft man es denn, so kurze Lichtpulse zu erzeugen?
Man braucht dazu Laserlicht in mehreren Farben, also mit unterschiedlichen Wellenlängen. Dieses Licht muss man so kombinieren, dass sich alle Wellenberge der verschiedenen Farben zu einem bestimmten Zeitpunkt addieren, während sie sich zu allen anderen Zeitpunkten gegenseitig auslöschen. Dadurch erhält man einen kurzen, sehr energiereichen Blitz. Die beiden anderen Preisträger Pierre Agostini und Ferenc Krausz haben 2001 unabhängig voneinander experimentell nachgewiesen, dass es möglich ist, auf diese Weise solche Attosekundenlaserpulse zu erzeugen.
Und Anne L’Huillier?
Sie hat quasi die Vorarbeit geleistet. Sie hat in den 1980er Jahren mit Infrarot-Lasern gearbeitet, die damals immer besser und leistungsfähiger wurden. 1987 hat sie entdeckt, dass es möglich ist, Licht mit kürzeren Wellenlängen zu erzeugen, wenn man einen ausreichend energiereichen Laserstrahl auf eine Wolke aus dem Edelgas Argon richtet: Durch die Wechselwirkung des Lichts mit dem Gas entstehen neue Lichtwellen mit kürzerer Wellenlänge. Das kann man sich ähnlich vorstellen wie beim Spielen eines Saiteninstruments, wo neben dem Grundton weitere Töne angeregt werden, die so genannten Obertöne. Wie Pierre Agostini und Ferenc Krausz später zeigten, haben auch diese „Obertöne“ die Eigenschaften von Laserlicht und können daher genutzt werden, um sehr kurze Pulse zu erzeugen.
Was ist das Besondere an ihnen?
Die Wellenlänge des neu erzeugten Lichts liegt im extremen Ultraviolett bis sogar weichen Röntgenbereich, ist also sehr viel kürzer als etwa die von sichtbarem Licht. Man kann sich vorstellen, dass ein Puls, den man aus verschiedenen Wellen addiert, nicht kürzer sein kann als die längste dieser Wellen. Mit Hilfe von sichtbarem Licht kann man daher nur Pulse mit einer Dauer von einer Femtosekunde erzeugen, aber um in den Attosekundenbereich vorzudringen, braucht man eben UV-Licht.
Die Arbeit mit diesen Attosekundenpulsen ist nach wie vor nur in wenigen Forschungslaboren weltweit möglich, darunter auch an der Universität Oldenburg. Was wird hier erforscht?
Man muss wirklich sagen: Die Attosekundenforschung hier ist schon etwas Besonderes, das hat nicht jede Universität. Christoph Lienau und Matthias Wollenhaupt haben 2019 ein Attosekundenlabor auf dem Campus Wechloy eingerichtet. Dieses wird im Gemeinschaftsprojekt „DyNano“ (Dynamik auf der Nanoskala) der Oldenburger Physik unter anderem zur Untersuchung der Attosekunden-Elektronendynamik um Nanostrukturen eingesetzt. Matthias Wollenhaupt und ich bilden hier ein Team, das mit hochpräzise kontrollierten Femtosekunden-Laserpulsen maßgeschneiderte Attosekundenpulse erzeugt. Diese wechselwirken mit Atomen, Molekülen und nanostrukturierten Festkörpern und setzen dabei Elektronen frei. Diese Elektronen können wir wiederum beobachten und erhalten damit Aufschluss über ultraschnelle Prozesse. Und es gibt sogar noch ein zweites Labor in Oldenburg: Im Rahmen meines Forschungsprojekts, das im Emmy-Noether-Programm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, baue ich gerade mit meiner Gruppe ein weiteres Experimentallabor auf, in dem wir ebenfalls Attosekundenphysik betreiben werden.
Worum geht es dabei?
In meinem Labor ist – bedingt durch einen anderen technischen Ansatz – alles etwas kleiner. Wir erzeugen viel mehr Attosekunden-Pulse pro Sekunde, als dies die anfangs verwendeten Quellen tun. Dieses besondere Verfahren habe ich in Lund in der Gruppe von Anne L’Huillier kennengelernt, die bei der Erzeugung von weiterentwickelten Attosekunden-Quellen weiterhin eine Vorreiterrolle einnimmt. Diese Pulse haben dann zwar eine geringere Energie, aber durch die höhere Pulszahl kann ich bestimmte Vorgänge in Kombination mit einem Elektronenmikroskop noch genauer beobachten. Das Mehr an Statistik hilft bei solch komplexen Experimenten deutlich weiter. Besonders interessiere ich mich dafür, wie sich Elektronen durch das elektrische Feld von Licht auf der Nanoskala kontrollieren lassen. Ein interessanter Vorgang findet beispielsweise in den Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Universität unzählige Male pro Sekunde statt – wenn dort nach dem Einfall von Licht Ladungsträger entstehen. Was aber im Detail auf der Nanoskala passiert, wenn ein Lichtteilchen von der Sonne in einem Halbleiter absorbiert wird, haben wir noch immer nicht ausreichend verstanden. Insbesondere die Vorgänge auf der Attosekunden-Zeitskala können hier eine entscheidende Rolle spielen. Entsprechend wollen wir solche ultraschnellen Dynamiken gleichzeitig zeitlich und räumlich hochaufgelöst untersuchen, um sie besser zu verstehen. Das gewonnene Wissen könnte man dann dazu nutzen, um den Ladungstransfer in Nanostrukturen gezielt zu optimieren – wie zum Beispiel in weiterentwickelten Solarzellen.
Vielen Dank für das Gespräch!