• Abstraktes Bild mit Holztäffelchen, die durch Linien zu einem Netz verbunden sind.

    Netzwerke mit hoher Kooperation können sich ausbilden, wenn die Mitwirkenden ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber Trittbrettfahrern entwickeln. Foto: Adobe Stock/REDPIXEL

Auf zu neuen Ufern

Wann sich Netzwerke mit einem hohen Level an Kooperation herausbilden, hängt von der Toleranz der Mitwirkenden gegenüber Trittbrettfahrern ab. Ein Team um den Oldenburger Netzwerkforscher Thilo Gross stellt Ergebnisse in der Zeitschrift PNAS vor.

Wann sich Netzwerke mit einem hohen Level an Kooperation herausbilden, hängt davon ab, wie schnell Mitwirkende der Gruppe den Rücken kehren – etwa, weil sie von anderen ausgenutzt werden. Das hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Oldenburger Netzwerkforschers Thilo Gross mit Hilfe der Spieltheorie erforscht. Die Erkenntnisse stellt das Team in der Fachzeitschrift PNAS vor.

Warum kooperieren Individuen miteinander – von einzelnen Zellen bis hin zu Menschen – und wie bilden sich unter ihnen funktionierende Netzwerke heraus? Bei der Suche nach Antworten auf diese komplexe Frage sind Forschende um den Netzwerk- und Datenwissenschaftler Prof. Dr. Thilo Gross von der Universität Oldenburg ein Stück vorangekommen. Demnach können sich Netzwerke mit einem hohen Level an Kooperation herausbilden, wenn die kooperierenden Individuen eine klare Linie – mathematisch ausgedrückt: einen präzisen Schwellenwert – verinnerlicht haben, was ihre Toleranz gegenüber reinen Nutznießern angeht. Kehren sie einer Umgebung wegen mangelnder Kooperation anderer allerdings allzu schnell den Rücken, führt das am Ende dazu, dass sich das Kooperationslevel überall angleicht, und zwar auf niedrigerem Niveau. Das berichtet das sechsköpfige Autorenteam aus den USA, England und Deutschland nun in der renommierten Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).

Die Forschenden analysierten die Kooperation in Netzwerken mithilfe der Spieltheorie, und zwar anhand des sogenannten „Snowdrift Game“ (übersetzt etwa: Schneewehen-Spiel). Dieses basiert auf folgender Situation, in der zwei Individuen jeweils die Wahl zwischen zwei Optionen haben – zu kooperieren oder nicht: Zwei Autofahrer überrascht auf dem Heimweg ein Schneesturm, sie stecken im Schnee fest. Sie haben eine Schneeschippe zur Verfügung und nun jeweils die Wahl, den Schnee wegzuschaufeln oder im Auto sitzen zu bleiben.

Sollten beide Schnee schippen, kommen beide nach geteilter Schaufelarbeit nach Hause. Schippt jeweils nur einer der beiden, spart sich der jeweils andere die Schaufelarbeit, kommt aber trotzdem nach Hause. Setzen beide lediglich auf die Schaufelarbeit eines anderen und wollen selbst darauf verzichten, müssen sie darauf warten, dass der Schnee irgendwann wetterbedingt verschwindet. Dies ist zwar für beide der ungünstigste Ausgang, aber die Option, von der Arbeit eines anderen zu profitieren und somit nach Hause zu kommen, ohne selbst einen Finger zu rühren, stellt dennoch eine Versuchung dar – und für denjenigen, dem dies gelingt, den besten Ausgang des „Spiels“, gefolgt vom gemeinsamen Schaufeln sowie vom eigenen, alleinigen Schneeschippen, das aber immerhin noch die Heimfahrt ermöglicht.

Vergebliche Suche nach einem besseren Ort

Diesen Bedingungen für Kooperationen fügten die Forschenden eine weitere hinzu: „Die Frage, die wir uns gestellt haben, lautet: Was ist, wenn – anders als im Schneewehen-Beispiel – ein Individuum bei wiederholt mangelnder Kooperation anderer die Umgebung verlassen kann?“, so der Erstautor des Aufsatzes, Dr. Ashkaan K. Fahimipour von der University of California in Santa Cruz (USA). Die mathematischen Berechnungen ergaben: „Wenn diejenigen, die kooperieren, die Chance eines Ortswechsels voreilig einsetzen, dann erreichen wir einen Zustand, in dem zwar alle ständig auf der Suche nach einem besseren Ort sind“, so Fahimipour, „aber in Wirklichkeit bedeutet all das Umherziehen nur, dass sozusagen jeder Ort gleich wird.“

Dennoch gibt es demnach Konstellationen, in denen ein Verlassen einer Umgebung dazu führt, dass sich eben unterschiedliche Umgebungen oder Netzwerke herausbilden. „Es hängt davon ab, an welchem Punkt sich kooperierende Individuen zur Mobilität entscheiden“, erläutert Gross. Es müsse eine klare Linie bestehen: „Ich gehe nie, solange es noch erträglich ist, aber wenn quasi der Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt, gehe ich sofort – nach dem Motto ‚bis hierhin und nicht weiter‘.“ So könne sich der Ortswechsel tatsächlich lohnen, es entstünden einerseits Netzwerke mit erhöhtem Kooperationsniveau und andererseits „Sammelbecken“ der eher Unkooperativen.

Kooperation unter Meeresbakterien

Den Autoren aus Meeresforschung, Informatik, Mathematik, Ökologie und Evolutionsbiologie dienen die neuen Erkenntnisse zur Analyse etwa von Netzwerken in Tierpopulationen, in der menschlichen Frühgeschichte oder aber von Zellen – etwa Krebszellen, die innerhalb einer Zellgemeinschaft nicht mehr mit anderen „kooperieren“, sondern gegen die Körperzellen arbeiten. Thilo Gross, der am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) zu Biodiversitätstheorie forscht, bezieht den theoretischen Rahmen zum Beispiel auf Meeresbakterien, die in Gemeinschaften auftreten. Da ihre Stoffwechselprozesse teils außerhalb des Körpers stattfinden, geben sie Enzyme in die Umgebung ab, die somit stets auch anderen Bakterien in ihrer Umgebung helfen – sie kooperieren also. Befindet sich die Bakteriengemeinschaft auf einem bestimmten Organismus im Meer, könnten einzelne Bakterien bei zu geringer Kooperationsbereitschaft des Umfelds den Ort wechseln, indem sie „loslassen“. Diese Hypothese könnte er nun überprüfen, denn ein für eine solch klare Linie verantwortlicher „Schalter“ lasse sich im Genom der Meeresbakterien möglicherweise nachweisen, so Gross.

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