Kaum soziale Kontakte, digitale Arbeitsgruppen und abgebrochene Auslandsaufenthalte: Auch für Oldenburger Studierende hat sich in den letzten Monaten einiges verändert. Wie haben sie die Zeit erlebt?
Das Wort „Studentenleben“ weckt wohl bei jedem unterschiedliche Assoziationen: Die einen denken an rauschende Partys, andere an hitzige Diskussionen im Fachschaftsraum, und viele haben wahrscheinlich das gemeinsame Lernen auf dem Campus vor Augen. Kontaktbeschränkungen und Onlinevorlesungen gehörten bis vor Kurzem nicht dazu. Schon seit März nimmt die Pandemie den Studierenden viele Freiheiten – auch in Oldenburg. Sie müssen auf Treffen mit Kommilitonen, Kneipenabende und mitunter auch auf Auslandsaufenthalte verzichten.
Dabei haben die Studierenden ganz unterschiedliche Wege gefunden, mit der aktuellen Situation umzugehen. Lisa Kersten beispielsweise ließ sich durch Corona nicht davon abhalten, ihr Auslandssemester fortzusetzen. Sie studiert Spanisch sowie Politik/Wirtschaft und hielt sich gerade in Guadalajara in Mexiko auf, als die Pandemie dort im Februar ankam. Dennoch blieb sie vor Ort und verlängerte ihren Aufenthalt sogar noch um ein Semester – um abzuwarten, ob sich die Situation wieder beruhigt und doch noch ein authentisches Auslandssemester möglich ist. Doch es kam anders.
Videokonferenzen gegen die Einsamkeit
Hatte Kersten zu Beginn ihres Aufenthalts in Mexiko noch ein reges Sozialleben, zogen sich ihre Freunde vor Ort zum Schutz ihrer Familien zunehmend zurück. Auch ihre Mitbewohnerinnen und Mitbewohner verließen die WG, um bei ihren Liebsten zu sein. Einsamkeit machte sich breit und Kersten telefonierte viel mit Freunden und ihrer Familie in Deutschland. Um weniger allein zu sein, zog sie im Juni in eine WG mit mehr als zwanzig Personen. Genau die richtige Entscheidung, wie sich herausstellte. „Es war schön, dass ich dort Menschen hatte, mit denen ich sprechen konnte“, sagt sie.
Das Gefühl der Einsamkeit betrifft nicht nur Studierende im Ausland, sondern auch diejenigen, die in Deutschland sind. Eine bundesweite Online-Umfrage der Universität Hildesheim kam zu einem klaren Ergebnis: 85 Prozent der rund 2.300 Befragten gaben an, dass ihnen der Kontakt zu anderen Studierenden fehlt. 79 Prozent vermissen außerdem das Campusleben. So ging es auch der Oldenburger Lehramtsstudentin Hannah Depenbrock. Zu Freunden hält sie zurzeit vor allem über Videokonferenzsysteme oder das gute alte Telefon Kontakt. Das helfe ihr – besonders jetzt in den dunklen und kälteren Monaten. „Gebt insbesondere Uni-Freundschaften nicht auf, die ja manchmal ein wenig frischer sind“, lautet ihr Rat. Für sie sind diese Kontakte wichtig, wenn etwa ihr restliches Umfeld die Probleme mit dem neuen Studentenalltag nicht nachvollziehen kann.
Feste Routinen helfen
Depenbrock achtet auch darauf, sich nicht mit dem vermeintlich perfekten Leben vieler Menschen in den sozialen Medien zu vergleichen. „Man sollte nicht unterschätzen, dass es vielen mit der aktuellen Situation nicht gut geht. Und dass man damit nicht alleine ist“, sagt sie. Bei Problemen helfen kann auch der Psychologische Beratungsservice der Universität und des Studentenwerks. Hier können Studierende Unterstützung finden, wenn sie durch die Pandemie Probleme haben, ihr Studium zu organisieren – neben der Einsamkeit ebenfalls ein weit verbreitetes Problem. Denn digitale Formate strukturieren den Alltag weniger als Veranstaltungen auf dem Campus.
Depenbrock half es, sich – wenn auch nur in digitaler Form – mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zusammenzutun. „Ich arbeite mit Freunden zusammen in einer BigBlueButton-Gruppe, um ein wenig Bib-Atmosphäre zu schaffen. So schauen mir noch andere auf die Finger, ob ich auch tatsächlich arbeite“, sagt sie. Dass solche Strukturen gut tun, zeigt auch eine Studie, die im Rahmen des Lehrprofils forschen@studium entstanden ist. Im Sommer interviewte ein studentisches Forschungsteam rund 200 Studierende zu ihrem Prokrastinationsverhalten. Das Ergebnis: Am wenigsten schoben diejenigen Studierenden ihre Aufgaben auf, die feste Routinen in ihren Alltag integrierten.
Durch Corona ohne Job
Zu Einsamkeit und fehlenden Alltagsstrukturen kommen bei vielen Studierenden finanzielle Sorgen – etwa bei Haider Riaz. Der gebürtige Pakistaner kam 2017 für sein Bachelorstudium Engineering Physics nach Oldenburg. Zu Beginn der Pandemie befand er sich in Australien im Auslandssemester, das er vorzeitig abbrechen musste. Bei seiner Rückkehr stand er vor unvorhergesehenen Problemen: „Als ich zurück nach Deutschland kam, brauchte ich einen Job, aber es war schwer, einen zu finden. Und auch sonstige finanzielle Unterstützung war schwer zu bekommen“, sagt er. Damit steht er nicht allein: Laut forschen@studium gaben in den vergangenen Monaten mehr als die Hälfte der insgesamt 55 befragten internationalen Studierenden an, sich finanzielle Sorgen zu machen. Anders als ihre deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen haben sie in der Regel keinen Anspruch auf Wohngeld, BAföG oder Sozialhilfe. Hilfestellungen bietet ihnen das International Office der Universität auf seiner Website.
Für Haider Riaz bietet das Online-Semester aber auch unverhoffte Vorteile: Da alle Kurse digital stattfinden, hält er sich derzeit bei seiner Familie in Pakistan auf. Zwar vermisse er seine Freunde in Oldenburg. Aber: „Das letzte Mal, dass ich zu Hause bei meiner Familie war, ist schon ein Jahr her. Für mich ist es sehr erholsam, jetzt hier zu sein. Das gibt mir neue Energie“, sagt er. Für ihn sind nun seine Familienmitglieder seine primären Kontaktpersonen. So wie er verbringen viele Studierende im Augenblick ungewöhnlich viel Zeit mit ihrer Familie. Das ergab eine weitere bundesweite Befragung, die ein Oldenburger Studierendenteam in den vergangenen Monaten durchgeführt hat. Es hat untersucht, wie sich die sozialen Kontakte in den letzten Monaten verschoben haben. Über 1.200 Studierende haben bundesweit an der Befragung teilgenommen. Das Ergebnis: Die aktuell meiste Zeit verbringen Studierende mit ihrer Familie. Erst an zweiter Stelle stehen die Freunde.
So viel sich in den letzten Monaten auch verändert hat – es gibt auch positive Erfahrungen. „Ich bin sehr dankbar für meine Zeit in Mexiko“, sagt Lisa Kersten. „Ich habe tolle Menschen getroffen und viel über die Kultur gelernt. Für mich war es trotz Pandemie eines der besten Jahre meines Lebens.“ Und Hannah Depenbrock weiß Dinge mehr zu schätzen, die früher selbstverständlich waren: „Wenn ich mich doch mal mit Freunden treffen kann, ist das etwas ganz Besonderes.“