Seit über 30 Jahren gibt es in Oldenburg den Studiengang „Postgraduate Programme Renewable Energy“. Rund 95 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland.
Elektrisches Licht, Fernsehen, am Computer arbeiten – unscheinbare Solarpanels mit angeschlossenen Akkus machen das auch in extrem abgeschiedenen Gegenden Boliviens möglich. Begeistert erzählt Diana Maldonado davon, wie sie elektrischen Strom in die Dörfer brachte: Als Mitarbeiterin der Entwicklungsorganisation „Energetica – Energía para el desarollo“ („Energetica - Energie für Entwicklung“) half sie bei der Installation der Panels und erklärte den Dorfbewohnern, wie sie funktionieren. „Nach dieser Erfahrung war mir klar, dass ich weiter im Gebiet der erneuerbaren Energien arbeiten möchte“, sagt sie. Einen Studienabschluss in Umweltingenieurwissenschaften hatte sie bereits, aber sie wünschte sich einen breiteren wissenschaftlichen Hintergrund. So ging es für sie von Bolivien nach Deutschland: Seit Oktober 2019 ist sie im Oldenburger Masterstudiengang „Postgraduate Programme Renewable Energy“ (PPRE) eingeschrieben.
Bereits 1987 wurde der Studiengang erstmals an der Universität angeboten – zu einer Zeit also, als Klimawandel und erneuerbare Energien eher Randthemen waren. Inzwischen gibt es an vielen Universitäten vergleichbare Programme. Das Oldenburger Angebot bleibt aber einzigartig – Studiengangsleiterin Herena Torio betont das internationale Profil. „Wir richten uns vor allem an Studierende aus Entwicklungsländern“, sagt sie.
Heute kommen 95 Prozent der jährlich etwa 25 neuen Studierenden aus dem Ausland, vor allem aus Lateinamerika, Afrika und Asien. Etwa ein Drittel von ihnen erhält für das Studium ein Vollstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Die Plätze für den englischsprachigen Studiengang sind begehrt: Allein für das kommende Wintersemester gingen 800 Bewerbungen in Oldenburg ein.
Von Systemintegration bis Energiemeteorologie
Das Studienprogramm orientiert sich an den Forschungsschwerpunkten der Universität und entwickelt sich fortlaufend weiter. „Bei der Konstruktion von Wind- und Solaranlagen sind die technischen Möglichkeiten inzwischen annähernd ausgereizt“, erläutert Torio. „Daher spielen diese Themen in der heutigen Forschung kaum mehr eine Rolle, sondern es geht eher um interdisziplinäre Fragen.“ Wie etwa kann Strom aus Wind- oder Solaranlagen künftig noch effizienter in das Netz eingespeist werden? Wie lässt sich über Wettervorhersagen abschätzen, welche Menge Strom in den nächsten Tagen voraussichtlich erzeugt werden wird? Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Studierenden in den Modulen „Systemintegration“ und „Energiemeteorologie“. Seit dem vergangenen Jahr ist außerdem die Resilienz von erneuerbaren Energien ein Thema: Hier geht es um die Frage, wie Stromnetze bei Krisen, etwa im Fall von Cyberattacken, funktionsfähig bleiben.
Der interdisziplinäre Ansatz zeigt sich auch darin, dass sich der Studiengang für Forschungsgebiete außerhalb der Naturwissenschaften geöffnet hat: Studierende können sich beispielsweise Veranstaltungen aus dem Masterstudiengang „Sustainability Economics and Management“ anrechnen lassen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erweiterungen ist der Umfang des Studiengangs von anfangs zwei auf inzwischen vier Semester angewachsen. Und während früher für alle der gleiche Stundenplan galt, können Studierende heute zwischen den verschiedenen Spezialisierungen wählen.
Berufsperspektiven: Maschinenbau oder Politik?
Diese Flexibilität in der Studiengestaltung ist auch deshalb sinnvoll, weil die Studierenden ganz unterschiedliche Hintergründe mitbringen. Die große Mehrheit von ihnen hat vor dem Master schon außerhalb des Wissenschaftsbereichs gearbeitet. Einige, wie Maldonado, kommen bereits aus dem Sektor der erneuerbaren Energien. Andere haben bislang vor allem mit fossilen Energieformen wie Öl, Gas und Kohle gearbeitet – unter ihnen viele Ingenieure. Über das Studium wollen sie sich neue Karrierewege erschließen.
Nach wie vor gehen die meisten Absolventen zurück in ihre Heimatländer, doch der Anteil derer, die zunächst in Deutschland bleiben, steigt. „Wir beobachten, dass immer mehr Studierende in Deutschland promovieren wollen“, berichtet Edu Knagge, der als Koordinator für die Betreuung der Studierenden zuständig ist. Er organisiert auch „Career Days“, an denen die Studierenden deutsche Unternehmen kennenlernen und sich einen Praktikumsplatz organisieren können – denn praktische Erfahrung ist im Studiengang Pflicht.
Trotz der Krise in der Solar- und Windenergiebranche gibt es für die Studierenden in Deutschland interessante Jobperspektiven. Gerade weil hierzulande die Nachfrage schrumpft, erschließen sich Firmen neue Märkte im Ausland. „Hier können unsere Absolventen zwischen den deutschen Firmen und ihren ausländischen Partnern vermitteln“, sagt Knagge. Aber auch denjenigen, die in ihre Heimatländer zurückkehren, bieten sich vielfältige Möglichkeiten, vom Maschinenbau über Management bis zur Politik.
Wie geht es derzeit in der Coronakrise mit dem Studiengang weiter? „Es werden sich auf jeden Fall wieder 25 Studierende einschreiben und auch nach Oldenburg kommen – die Frage ist nur, wann genau“, sagt Knagge. Nachdem die Online-Lehre im Sommersemester 2020 bereits gut angelaufen ist, ist ab Oktober ein Hybridsemester geplant, in dem sich Online- und Präsenzlehre gegenseitig ergänzen. So könnten beispielsweise Laborexperimente als Kompaktveranstaltungen angeboten werden, wenn die Studierenden wieder vor Ort sind.