Kuriose Erfindungen haben in der Vorlesung Physikalische Messtechnik schon fast Tradition. Mit ausgefallenen Geräten und absurden Ideen beweisen Studierende, dass sie verstanden haben, wie Sensoren funktionieren und was sie können.
Im Seminarraum ist es voll, warm – und plötzlich mucksmäuschenstill. Rund 50 Studierende warten gespannt darauf, dass ein kleines Lämpchen rot aufleuchtet und ihr Kommilitone Lukas blitzschnell einen Knopf drückt. Als auf einer Digitalanzeige seine hervorragende Reaktionszeit aufleuchtet, bricht Applaus aus. Das Reaktionsspiel „Senso“ hat es mit vermeintlich einfachsten Mitteln geschafft, die Studierenden in seinen Bann zu ziehen. So einfach – das wissen hier alle – war der Bau des kleinen elektronischen Geräts in Wirklichkeit nicht. Was für Außenstehende wie ein Spiel aussieht, ist die Prüfungsleistung zum Abschluss der Vorlesung Physikalische Messtechnik.
Ein Semester lang haben Studierende der Physik und der Medizinischen Physik an den Geräten gearbeitet, die sie jetzt erstmals ihren Mitstudierenden und ihrem Lehrenden, Prof. Dr. Bernd T. Meyer, präsentieren. Auf den Tischen stehen hier kleine Plastikdinosaurier, dort Schokobonbons, eine Studentin hat ein großes Vogelhaus mitgebracht und zwei Studenten tragen sogar eine Ananaspflanze im Topf in den Seminarraum. All diese Dinge gehören zu Erfindungen, die erst auf den zweiten Blick Gemeinsamkeiten haben: In allen Konstruktionen sind Sensoren verbaut, die unterschiedliche physikalische Größen messen können, etwa Temperatur, Ladung, Kraft, Geräusche oder Helligkeit. Außerdem nutzen alle die elektronischen Komponenten und die Software eines bestimmten Anbieters, der sich darauf spezialisiert hat, den Einstieg in Elektrotechnik und Programmierung zu erleichtern.
„Was die Studierenden letztlich bauen, ist weitestgehend ihnen überlassen. Sie sollen dabei lernen, wie Sensoren funktionieren und was man mit ihren Messdaten anstellen kann“, sagt Meyer. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm persönlich besonders diejenigen Erfindungen am meisten Spaß machen, in denen auch eine gehörige Portion Humor, Abseitigkeit oder sogar vermeintliche Sinnlosigkeit verbaut ist. „Nerdkram“ ist ausdrücklich erlaubt und die Semesterabschlusspräsentation deshalb – trotz der damit verbundenen Benotung – immer auch ziemlich unterhaltsam.
So haben zum Beispiel Felix und Paula in diesem Semester den vielleicht nervigsten Wecker der Welt erfunden und ihm den überaus passenden Namen „Morning Misery Machine“ gegeben. Einmal aktiviert, plärrt er dank eingebautem MP3-Player und kleinem Lautsprecher zur gewünschten Weckzeit vornehmlich unentspannte Songs wie AC/DCs „Highway to hell“. Einen Snooze-Button gibt es nicht. Wer den Wecker ausstellen möchte, muss sich merken, in welcher Reihenfolge die Dioden auf einem Display aufleuchten und dieses Muster per Tastendruck anschließend selbst eingeben. In der letzten Eskalationsstufe müssen sogar vier Töne einer A-Dur-Tonleiter in die richtige Reihenfolge gebracht werden. „Das ist wirklich nervig“, berichten Felix und Paula mit strahlenden Gesichtern.
Der Allergiehelfer „Apollo Uno“ von Paul und Tim könnte die Nerven seiner Nutzerinnen und Nutzer ähnlich strapazieren. Er kennt nicht nur das aktuelle Allergiewetter, sondern reagiert auch auf menschliches Niesen, indem er der niesenden Person ein „Achtung, Pollenflug“ an den Kopf wirft – als ob diese das nicht bereits selbst gemerkt hätte. „Es kann ja sein, dass die Person ihre missliche Lage vergessen hat und dann besteht erhebliche Gefahr, dass das Fenster für vermeintlich frische Luft geöffnet wird“, argumentieren die Studenten in ihrer Projektbeschreibung augenzwinkernd. Immerhin: Ist der Nieser „feucht“ – das misst ein entsprechender Sensor – gibt „Apollo Uno“ den Zugriff auf eine Taschentuchbox frei.
Arne und Leonie haben dieses Semester ein Problem ihrer Kindheit gelöst: die große Schwäche der sogenannten Stimmungsringe. Diese konnten zwar angeblich zuverlässig die aktuelle Gemütsverfassung ihrer Trägerin oder ihres Trägers anzeigen, indem sie sich entsprechend verfärbten. Allerdings konnten sie eines nicht: die attestierte schlechte Laune verbessern. Das kann jetzt der „Moodinator“, der wie die früheren Stimmungsringe anhand der Körpertemperatur einer Person auf ihre Laune schließt, das Ergebnis mit einer farbigen Lampe anzeigt und gegebenenfalls anschließend zur Aufmunterung ein Schokoladenbonbon freigibt.
Leon und Louis haben ihrer Ananaspflanze mithilfe von Messtechnik sogar das Sprechen beigebracht – und mussten dafür stundenlang die Comicserie „Spongebob Schwammkopf“ gucken. Denn welche Stimme könnte schon mehr Expertise haben als die eines gelben Schwamms in Hosen, der selbst in einer Ananas lebt? Dank Bodenfeuchtigkeits-, Photo-, Temperatur- und Bewegungssensoren weiß „Die dramatische Ananas“ nun, was ihr fehlt, und kann es ihrem vorbeigehenden Besitzer mit einem passenden Spongebob-Zitat zurufen. Praktisch.
Ein Dinosaurier-Brettspiel mit elektronischem Würfel und elektronischen Minispielen, ein Vogelhäuschen, das automatisch die richtige Futtermenge freigibt, wenn ein Vogel hineinfliegt oder eine „Useless Box“, deren einziger Zweck ist, sich nach dem Einschalten auf möglichst vielfältige Art und Weise wieder auszustellen – die diesjährigen Erfindungen der Studierenden sind auf jeden Fall sehr kreativ. Wie knifflig indes auch solche „Spaßprojekte“ sind, berichten sie bei ihren Präsentationen aber ebenfalls. Zu wenig Steckplätze auf dem Hardware-Board, unschlüssige Messergebnisse, zu schwache Motoren oder komplizierteste Programmierungen für ein Touchdisplay forderten die Studierenden.
Meyer ist mit den Leistungen seiner Studierenden sichtlich zufrieden. „Morgen habe ich sicher Muskelkater in den Mundwinkeln vom vielen Grinsen“, sagt er und verabschiedet damit den Kurs. Die nächsten verrückten Erfindungen lassen sicher nicht lange auf sich warten. Im Sommersemester 2024 gibt es die nächste Vorlesung Physikalische Messtechnik.