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Prof. Dr. Dr. René Hurlemann

Department für Humanmedizin

  • Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind allein in Deutschland gut vier Millionen, weltweit um die 300 Millionen Menschen betroffen. Foto: AdobeStock/Wordley Calvo Stock

  • Prof. Dr. Dr. René Hurlemann ist Hochschullehrer für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Fakultät der Universität Oldenburg und Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Karl-Jaspers-Klinik. Foto: Daniel Schmidt/ Universität Oldenburg

Schwere Depressionen lindern

Auf dem Stand der Wissenschaft: Der Oldenburger Psychiater René Hurlemann erforscht, wie neuartige Medikamente und Verfahren Menschen mit schweren Depressionen helfen können.

Auf dem Stand der Wissenschaft: Der Oldenburger Psychiater René Hurlemann erforscht, wie neuartige Medikamente und Verfahren Menschen mit schweren Depressionen helfen können.

Es fällt ihnen schwer, tägliche Aufgaben zu bewältigen, sie fühlen sich antriebslos und sind gedrückter Stimmung. Menschen, die an Depressionen leiden, sind psychisch und oft auch körperlich stark beeinträchtigt. „Die Depression ist eine häufige und schwerwiegende Erkrankung“, sagt Prof. Dr. Dr. René Hurlemann, Hochschullehrer für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Fakultät der Universität Oldenburg.

Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind allein in Deutschland gut vier Millionen, weltweit um die 300 Millionen Menschen betroffen. Zwar sind Depressionen je nach Schweregrad mit Psychotherapie und Medikamenten gut behandelbar. Doch etwa ein Fünftel der Betroffenen, die an schweren Depressionen leiden, sprechen auf die üblichen Therapien nicht an. „Das ist natürlich besonders problematisch“, sagt Hurlemann.

Ketamin in den USA bereits zugelassen

Der Mediziner, der seit September dieses Jahres auch Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Karl-Jaspers-Klinik ist, möchte gerade diesen Menschen helfen – und dabei neue Wege gehen. In seiner Forschung setzt er unter anderem auf Ketamin – ein Wirkstoff, der hierzulande noch nicht als Medikament gegen Depressionen zugelassen ist.

„Ketamin ist ein altes Betäubungsmittel, das heute hauptsächlich in der Tiermedizin verwendet wird“, erläutert Hurlemann. In hohen Dosen bekämpft es Schmerzen und führt zum Koma, niedrig dosiert entfaltet es antidepressive Wirkung. Seit Mitte der 2000er Jahre in den USA in einer klinischen Studie depressive Patienten erstmals erfolgreich mit Ketamin behandelt wurden, setzen Psychiater große Hoffnung in das Mittel.

Inzwischen hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA im März 2019 ein Nasenspray mit dem Wirkstoff Esketamin für Menschen mit schweren Depressionen zugelassen. Auch der Humanarzneimittelausschuss CHMP der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) sprach sich kürzlich für eine Zulassung des Nasensprays in der EU aus.

Wirkstoff ist nicht unumstritten

In Deutschland erhalten schwerstdepressive Patienten, die auf keine anderen Medikamente ansprechen, den Wirkstoff bisher nur off-label – das heißt außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs. Während seiner früheren Tätigkeit an der Universitätsklinik in Bonn hat Hurlemann erste Studien mit Ketamin durchgeführt. „Schon während der Infusion beginnen Betroffene sich besser zu fühlen: Sie entspannen, werden müder und verlieren die schwerste Traurigkeit“, berichtet er.

Doch Ketamin ist nicht unumstritten: Der Wirkstoff verursacht unter anderem Wahrnehmungsstörungen und kann bei Missbrauch abhängig machen. Das Mittel darf daher auch in den USA nur unter Aufsicht verabreicht werden. Zudem wirke es nur kurzfristig, betont Hurlemann. „Und noch ist unklar, wie oft Patienten den Wirkstoff erhalten müssen und wie die Langzeitwirkung ist“, ergänzt er. Der Wissenschaftler sieht daher großen Forschungsbedarf – gerade auch, was die Ursachen der Depression und die Wirkmechanismen von Ketamin betrifft.

So sei eine bisher gängige Vorstellung, dass die Amygdala, auch Mandelkernkomplex genannt, eine zentrale Rolle bei depressiven Erkrankungen spielt. Die Amygdala ist auch als Furchtzentrum bekannt – Ängste sind ein häufiges Symptom bei Depressionen. Doch Hurlemann und seine Kollegen konnten die schnelle antidepressive Wirkung von Ketamin auch bei einer Patientin beobachten, deren Amygdala aufgrund einer seltenen genetischen Erkrankung geschädigt ist und die daher keine Furcht empfindet.

Speziell auf Patienten abgestimmte Behandlung

Dies ist nach Ansicht Hurlemanns in doppelter Hinsicht bedeutsam: „Viele Forschungsmittel fließen in die Untersuchung funktioneller Veränderungen der Amygdala bei Depression. Doch unsere Fallstudie weist darauf hin, dass die Annahme, die Amygdala spiele eine Schlüsselrolle bei der Erkrankung, falsch sein kann. Denn offenbar kann eine schwerste Depression auch entstehen, wenn gar keine Amygdala vorliegt“, sagt er. Hinzu komme, dass nicht genau bekannt sei, wie Ketamin bei der Depression überhaupt wirke. „Eine vorübergehende Hemmung des Furchtzentrums kommt jedoch aufgrund unserer Befunde nicht mehr als Erklärung in Betracht“, ergänzt der Mediziner.

Neben Ketamin beschäftigt sich Hurlemann mit weiteren Verfahren, die schwer depressiven Patienten künftig helfen sollen. Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) beispielsweise regt eine Magnetspule die Stoffwechselaktivität in oberflächennahen Hirnareale an. „Dies verbessert die Vernetzung mit Regionen in der Tiefe des Gehirns, beispielsweise dem Belohnungszentrum, und lindert so die Depression. Denn die Depression ist eine Netzwerkstörung“, erläutert er.

Das Verfahren sei schonend und schmerzfrei, verzichte auf Narkosen und erfahre durch die neuen Möglichkeiten der Präzisionsmedizin derzeit einen Höhenflug, betont Hurlemann: „Die Behandlung erfolgt auf Grundlage individueller Messparameter eines Patienten und ist daher exakt auf ihn abgestimmt.“ Das sogenannte „one size fits all“-Prinzip, das in der Psychiatrie lange Bestand hatte, gehöre damit der Vergangenheit an.

Neue Therapienformen zugänglich

Ein weiteres vielversprechendes Medikament ist das körpereigene Bindungshormon Oxytocin, das Hurlemann bereits seit über zehn Jahren erforscht. In zukünftigen klinischen Studien will er untersuchen, ob sich durch Gabe von Oxytocin depressive Erkrankungen, aber auch Angststörungen oder die Borderline-Persönlichkeitsstörung gerade in Kombination mit bewährten Psychotherapien noch besser und rascher behandeln lassen.

„Die Patienten in der Region profitieren unmittelbar von der Oldenburger Universitätsmedizin und der Entwicklung der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Karl-Jaspers-Klinik,“ sagt Hurlemann. „Schon heute können sie an klinischen Studien zu neuen Therapieformen teilnehmen, die vielleicht erst in vielen Jahren in der Regelversorgung ankommen werden.“

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