Individuell und online-gestützt – so sieht Prof. Dr. Anke Hanft, wissenschaftliche Direktorin des Center für lebenslanges Lernen (C3L) der Universität Oldenburg, die Zukunft von akademischer Lehre und Weiterbildung. Im Interview erklärt sie, warum der Wandel der Arbeitswelt auch die Hochschulen betrifft. FRAGE: Das diesjährige Wissenschaftsjahr des Bundesforschungsministeriums (BMBF) dreht sich um die Arbeitswelten der Zukunft. Welche Rolle spielen akademische Bildung und Weiterbildung beim Wandel unseres künftigen Berufslebens? HANFT: Arbeitsplätze sind nicht losgelöst von neuen Technologien zu denken und die Arbeitswelt verändert sich schnell. Wir müssen Arbeit also viel konsequenter mit Weiterqualifizierung verbinden. Wir können schon lange nicht mehr darauf setzen, dass Lernprozesse nach der Ausbildung oder nach dem Studium abgeschlossen sind. Gerade auch in einer alternden Gesellschaft müssen wir Lernen lebenslang aufrechterhalten. Unternehmen leben das schon; sie haben in den vergangenen Jahrzehnten intensiv ihre Personalentwicklung ausgebaut. Aber auch auf Hochschulen wächst der Druck, ihr bislang ausschließlich auf jüngere Lernende ausgerichtetes Studienmodell zu verändern. FRAGE: Welchen Stellenwert hat Weiterbildung denn an deutschen Universitäten? HANFT: Wir haben bereits vor einigen Jahren für das BMBF eine große internationale Vergleichsstudie zu Weiterbildung an Hochschulen durchgeführt. Die hat gezeigt: Das an deutschen Hochschulen vorherrschende Verständnis von einer dem Studium nachgelagerten Weiterbildung ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was es vor allem in den USA aber auch in Skandinavien an Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung gibt. Wir haben in Deutschland zwei gut ausgebaute Säulen – die Hochschulbildung und die berufliche Bildung. In einer immer anspruchsvoller werdenden Arbeitswelt ist es bedeutsam, diese Säulen stärker zu verbinden. Länder wie die USA, die nicht über ein gutes berufliches Bildungssystem wie in Deutschland verfügen, machen uns vor, wie die Qualifizierung auch für praxisnahe Bereiche sehr viel stärker aus den Universitäten heraus gestaltet wird. Hierüber gelingt es, Fragen des Wissenschaftstransfers stärker systemintegriert anzugehen und in den Hochschulen zu verankern. Weiterbildung ist dabei ein wichtiger Transfermotor. Forscher erhalten Bezug zur Praxis FRAGE: Das heißt, Hochschule und Arbeitswelt sollten stärker miteinander verknüpft werden... HANFT: Genau. Wir dürfen in den Universitäten nicht den Fehler machen, ausschließlich auf Forschung und Wissenschaft zu fokussieren und dabei Lehre und den Wissenschaftstransfer zu vernachlässigen. Beides stärker zu verzahnen, ist auch eine Aufgabe der Weiterbildung. Wir versuchen das unter anderem über die Gestaltung unserer Lernprozesse zu erreichen, indem zum Beispiel Studierende Projekte aus der beruflichen Praxis wissenschaftsgeleitet bearbeiten. Auf diese Weise erhalten auch unsere Forscher einen ganz anderen Bezug zur Praxis. Wir kooperieren zudem eng mit der Fraunhofer-Gesellschaft, die dem Transfer von Wissen große Aufmerksamkeit schenkt. Im Sommer starten wir ein erstes gemeinsames Zertifikatsprogramm: Im Diploma of Advanced Studies (DAS) in Forschungs- und Transfermanagement wollen wir Wissenschaftlern vermitteln, wie sie den Transfer ihrer Forschungsergebnisse verbessern können. FRAGE: Wer wird denn künftig an Hochschulen studieren? HANFT: Bei einer Abiturquote von mehr als 50 Prozent eines Altersjahrgangs werden unsere Studierenden immer heterogener. Studierende entscheiden sich zunehmend erst zu einem späteren Zeitpunkt für ein Studium. Zudem wächst der Anteil derer, die nach einem Bachelor-Studium berufliche Erfahrungen sammeln und erst nach einigen Jahren ein Master-Studium aufnehmen. So gibt es in unseren Pädagogik-Studiengängen viele Erzieherinnen, die erst mit 30 oder 40 studieren. Die bringen andere Kompetenzen mit als 18-Jährige. Wir gehen aber bei der Planung unserer Lehrveranstaltungen bislang davon aus, dass alle mit dem Abitur über die gleichen Eingangsvoraussetzungen verfügen. Dieses stellt aber ein erfolgreiches Studium nicht immer sicher. Viele Universitäten verstärken daher ihre Anstrengungen, heterogene Studierende zu homogenisieren, indem sie Defizite der schulischen Bildung auszugleichen versuchen. Mal abgesehen davon, dass solche Maßnahmen sehr umstritten sind: Wir wollten den Blick auch darauf richten, dass Studierende auch über mehr Kompetenzen verfügen können als zu Studienbeginn erforderlich. Wir fordern daher, die Hochschulstrukturen stärker auf die wachsende Individualität der Studierenden zuzuschneiden. Mit welchen Kompetenzen kommen die Studierenden? Wo fehlt ihnen etwas, um ein Studium erfolgreich zu durchlaufen? Wo bringen sie mehr mit als normale Studierende? Welche Leistungen können wir ihnen anrechnen? Gegenüber anderen Hochschulen hat die Universität Oldenburg hier bereits viel geleistet. Individualisierung des Lernens stärker verankern FRAGE: Was folgt daraus konkret für die Lehre? HANFT: Das Kreditpunkt-System ermöglicht, online-gestützte Lerneinheiten so zu gestalten, dass sich Teilnehmer ihre Module gezielt zusammenstellen können und damit genau die Qualifikation erhalten, die sie brauchen. Da ist der Bologna-Prozess auch ein Promotor für lebenslanges Lernen geworden. Wir arbeiten zum Beispiel mit kleinsten Lerneinheiten, Lernnuggets, die in Module integriert werden und verschiedene Formen des Tiefer- und Weiterlernens ermöglichen. Diese Individualisierung des Lernens, auf individuellen Lernpfaden, müssen wir an den Hochschulen viel stärker institutionell verankern – und dabei mit Standards und Qualitätssicherung verknüpfen. Auch da ist die Universität Oldenburg schon sehr weit: So gelten etwa unsere Anrechnungsverfahren für außerhalb der Hochschule erworbene Kompetenzen als vorbildlich. Von unseren Forschungsergebnissen und Erfahrungen profitieren viele Hochschulen. Wir koordinieren die Begleitforschung zum Qualitätspakt Lehre – einem BMBF-Programm, in dem mehr als 150 Hochschulen gefördert werden. Und wir sind an der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“ beteiligt, der etwa 100 Hochschulen fördert. FRAGE: Dann ist die vielzitierte Digitalisierung auch hier ein wichtiges Thema… HANFT: Ja, wir haben schon früh auf online-gestützte Formen des Lernens gesetzt. Am <link c3l/>C3L</link> haben wir eine eigene Abteilung, die sich nur mit der pädagogisch–didaktischen Integration von Lerntechnologien befasst. Da gelten wir im Bereich der Weiterbildung als führend. Wir müssen aber unsere Hochschulbildung noch stärker mit online-gestützten Lernformen verknüpfen – und dies zunehmend in den grundständigen Bereich hineinnehmen. Überspitzt formuliert: Vorlesungen brauchen wir eigentlich nicht mehr. Ich kann auf der Basis von Studienmaterialien lernen und erhalte dabei mentorielle Begleitung und Feedback. Das muss ich nicht in großen Hörsälen machen. Präsenzveranstaltungen können besser für interaktive Formen des Lernens genutzt werden. "Wir müssen uns der veränderten Realität stellen" FRAGE: Die Bundesbildungsministerin Anja Karlizcek sagte bei ihrer Amtseinführung, sie wolle Weiterbildung für möglichst viele verfügbar machen. Das würden Sie sicher unterschreiben? HANFT: Was mir in dieser Diskussion wichtig ist: Bei einer Abiturquote von über 50 Prozent eines Altersjahrgangs müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Studierenden mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Interessen in unser System hineinkommen, so dass man sich grundsätzlich fragen muss: Wie wollen wir Universitätsausbildung künftig verstehen? Wollen wir eine Ausbildung für eine kleine Elite, die ihre berufliche Zukunft in der Forschung sieht? Dann sollten Fachhochschulen weiter ausgebaut werden und ihr Profil deutlicher in der Verzahnung mit der beruflichen Bildung suchen. Universitäten wie auch Fachhochschulen müssen sich der veränderten Realität stellen und in jedem Fall dem Wissenschaftstransfer größere Aufmerksamkeit widmen. Weiterbildung ist hier ein wichtiger Hebel. Das sind zentrale hochschul- und bildungspolitische Fragen, die wir in den Blick nehmen müssen. Interview: Constanze Böttcher
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