Wie entwickelt man Experimente für Studierende zu aktueller physikalischer Forschung? In einem gemeinsamen Projekt unterstützen Oldenburger Forschende ein Team von der kurdisch-irakischen Universität Zakho dabei, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten.
Zweidimensionale Materialien, Femtosekunden-Laser und komplexe quantenmechanische Berechnungen – mit Themen wie diesen beschäftigen sich Oldenburger Studierende, die im Master Physik studieren, während ihres Laborpraktikums. „In den Praktikumsversuchen schwingen aktuelle Forschungsfragen der verschiedenen Arbeitsgruppen des Instituts mit“, berichtet Dr. Martin Esmann, der im aktuellen Wintersemester eines der Experimente betreut. Die Verknüpfung von Wissenschaft und Lehre werde in Oldenburg sehr gepflegt, sagt der Physiker. Dies sei eine der besten Methoden, um Studierende für die Forschung zu begeistern.
Forschungsbasierte Praktikumsversuche sollen demnächst auch an der Universität Zakho im Irak zum Einsatz kommen. Die Hochschule befindet sich im Norden des Landes in der autonomen Region Kurdistan nahe der Grenze zur Türkei. „Bei uns stehen im Masterstudium bislang Vorlesungen im Vordergrund, die Studierenden kommen wenig mit Forschung in Kontakt und machen auch keine Experimente“, berichtet Dr. Diyar Sadiq, Assistenzprofessor an der Universität Zakho. Der Physiker hatte von 2001 bis 2013 in Deutschland gelebt und in dieser Zeit im Bereich Nano-Optik in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christoph Lienau promoviert.
Enge Verbindung schon seit 2014
Im August und September war Sadiq sechs Wochen lang gemeinsam mit zwei Kollegen zu Gast in Oldenburg, um sich verschiedene Versuche des Fortgeschrittenenpraktikums anzuschauen. Gemeinsam mit Oldenburger Forschenden überlegten sie dabei, wie sich die Zakhoer Forschungsthemen in einem eigenen Laborpraktikum umsetzen lassen. „Wir haben in einem Pilotprojekt ein Experiment entwickelt, das wir demnächst zu Hause testen werden“, erzählt er.
Der Besuch ist Teil des Vorhabens „Nanooptics Labcourse Exchange Zakho/Oldenburg“, kurz XLab Zakho/OL, das der Deutsche Akademische Austauschdienst über drei Jahre mit 300.000 Euro fördert. Es ist bereits das dritte gemeinsame Projekt der Physik-Institute der Universitäten Oldenburg und Zakho. Den Grundstein für die langjährige Kooperation legte die gemeinsame Promotionszeit von Esmann und Sadiq in Lienaus Arbeitsgruppe. „Schon seit 2014 besteht eine enge Verbindung zwischen unseren Universitäten“, sagt Esmann, der auf Oldenburger Seite die treibende Kraft hinter der Zusammenarbeit ist. „Für mich ist es ein Herzensprojekt, das mir sehr viel Freude macht“, ergänzt er.
Den Anstoß für die Kooperation gab Sadiq, der 2013 wieder in seine Heimat zurückgekehrt war. Als gut ausgebildeter Akademiker sieht er sich in der Pflicht, zum Wiederaufbau der Region beizutragen, in der auch Jahre nach der Invasion der Terrormiliz „Islamischer Staat“ immer noch viel zerstört ist. Von der internationalen Kooperation habe man bereits stark profitiert, berichtet er.
Gemeinsame Forschung im Mittelpunkt
In den ersten beiden Vorhaben stand die gemeinsame Forschung im Mittelpunkt. Mehr als 15 irakische Studierende, Promovierende und Lehrende kamen zwischen 2014 und 2018 für Forschungsaufenthalte nach Oldenburg, erlernten dort den Umgang mit hochmodernen Forschungsinstrumenten und nahmen an Summerschools sowie gemeinsamen Forschungsprojekten teil. Sadiq baute in dieser Zeit mit Oldenburger Unterstützung ein Forschungszentrum für Nanophysik an seiner Universität auf, dessen akademischer Direktor er heute ist. Die Forschenden dort befassen sich mit Themen wie angewandter Optik, Lasertechnologie und Nano-Optik. Sie verfolgen das Ziel, Anwendungen für Photovoltaik, Wärmemanagement und Medizin zu entwickeln.
In der aktuellen Kooperation liegt der Schwerpunkt darauf, die Lehre im Irak weiterzuentwickeln – sowohl an der Universität Zakho als auch an örtlichen Gymnasien. „Unser Bildungssystem ist nicht schlecht, aber noch nicht auf internationalem Niveau“, berichtet Sadiq. Sowohl die kurdische Regionalregierung als auch die Universität selbst hätten ein starkes Interesse, hier aufzuschließen, und unterstützten daher das Vorhaben.
Das Projekt besteht aus drei Teilen: Zum einen unterstützen die Oldenburger Forschenden ihre Partner aus Zakho dabei, moderne Lehrmethoden der Experimentalphysik, insbesondere forschungsbasierte Laborpraktika, in ihr Curriculum einzubauen. Das zweite Ziel besteht darin, Physikexperimente für ein Schülerlabor an der Universität Zakho als außerschulischem Lernort zu entwickeln. „Dafür wollen wir das umfangreiche pädagogische und didaktische Fachwissen der Universität Oldenburg nutzen“, sagt Sadiq. Als dritte Projektkomponente sind gemeinsame Lehrveranstaltungen geplant – darunter Online-Seminare, an denen auch irakische Studierende teilnehmen können, Summerschools und ein Forschungsseminar für Masterstudierende. Um die Chancengleichheit zu fördern, sollen 50 Prozent der irakischen Teilnehmenden Frauen sein. Am Oldenburger Institut für Physik beteiligen sich die Arbeitsgruppen Quantenmaterialien von Prof. Dr. Christian Schneider, Ultraschnelle Nano-Optik von Prof. Dr. Christoph Lienau und Didaktik der Physik von Prof. Dr. Michael Komorek an dem Austausch.
Voller Elan in die Heimat zurück
Für Martin Esmann ist der Fokus auf die Lehre ebenfalls eine sinnvolle Fortsetzung: „In den ersten beiden Projekten haben wir gesehen, dass vor allem gemeinsame Workshops und Seminare viel gebracht haben.“ Forschungsergebnisse zu präsentieren, zu diskutieren und dabei Netzwerke zu knüpfen, habe die Teilnehmenden aus dem Irak stark motiviert. „Sie sind voller Elan in ihre Heimat zurückgegangen, wo viele nun aktuelle Forschung betreiben“, so der Forscher. Einige unterrichteten auch an Schulen.
Auch die irakischen Partner hoffen, durch die Kooperation ihre Region langfristig voranzubringen. „Wir möchten die Universität Zakho zu einer treibenden Kraft für Innovation im naturwissenschaftlichen Unterricht machen“, sagt Sadiq. Er ist davon überzeugt, dass davon indirekt viel mehr Menschen profitieren als nur diejenigen, die an dem Projekt teilnehmen: „Unsere Studierenden sehen, wie man hier forscht, wie man Probleme löst, und wie man damit umgeht, wenn man etwas nicht verstanden hat. Dadurch gewinnen sie neue Perspektiven, die sie nach ihrer Rückkehr weitertragen.“
Dieser Artikel ist zuerst in der Oktober-Ausgabe der Universitätszeitung UNI INFO erschienen.