Auf der 22. Deutschen Physikerinnentagung Ende der Woche hält die Teilchenphysikerin Mary K. Gaillard den Eröffnungsvortrag. Gaillard war 1981 die erste Physikprofessorin an der University of California in Berkeley. Hier schildert sie ihre Erfahrungen in einem Männer-dominierten Feld und erklärt, warum Vorbilder gerade für Frauen in den Naturwissenschaften wichtig sind.
FRAGE: Prof. Gaillard, was hat ursprünglich Ihr Interesse an Teilchenphysik geweckt?
GAILLARD: Ich mochte schon immer Mathe. Dann entschloss ich mich, Physik als Hauptfach an einem kleinen College für Frauen in Virginia zu studieren. Der Lehrstuhlinhaberin in Physik, Dorothy Montgomery, gelang es, mich in ein Labor in Paris zu vermitteln, dessen Mitarbeiter zu kosmischer Strahlung forschten. Zudem brachte sie mich als Studentin in das Brookhaven National Laboratory, wo ich mich mit experimenteller Teilchenphysik beschäftigte. Diese Erfahrungen haben mein Interesse letztlich geprägt.
FRAGE: In Ihrer Biographie „A singularly Unfeminine Profession“ beschreiben Sie die Hürden, die Sie als Frau in der Physik überwinden mussten – vor allem in Europa. Welches waren die häufigsten Vorurteile, denen Sie begegneten?
GAILLARD: Ich glaube, vor allem in Frankreich herrschte die Vorstellung, dass Frauen Physik entweder nicht konnten oder nicht betreiben sollten: In den größeren Laboren arbeiteten ausschließlich männliche Nachwuchsforscher. Als ich ankam, erhielt ich den freundlichen Rat, dass ich nicht in der Arbeitsgruppe theoretische Teilchenphysik akzeptiert würde und stattdessen einen Job in einem Labor suchen sollte. Wo ich auch hinkam – ich erhielt Absagen, ohne jemals nach meinen Hochschulzeugnissen gefragt worden zu sein. Besonders herabwürdigend war, als mir gesagt wurde, ich wäre nach Frankreich gekommen um zu heiraten – und nicht, um als Physikerin zu forschen. Am Ende schnitt ich gut in den Prüfungen ab und wurde doch in die Theorie-Gruppe aufgenommen.
FRAGE: Aber dann gingen Sie in die Schweiz an das Europäische Forschungszentrum CERN in Genf...
GAILLARD: Ja, inzwischen hatte mein Mann ein Angebot vom CERN erhalten. Ich verbrachte beinahe 20 Jahre als unbezahlte Besucherin am CERN. In dieser Zeit unterstützte mich die französische Forschungsorganisation CNRS – entsprechend meiner Leistungen. Am CERN allerdings erhielt ich nie eine angemessene Position – auch, als meine Arbeit längst international anerkannt war. In meinem Buch nenne ich subtile und auch weniger subtile Erniedrigungen, die ich als Frau erfuhr. Damit konnte ich umgehen. Womit ich irgendwann nicht mehr umgehen konnte, war das völlige Fehlen von Anerkennung an einem Ort, wo ich wichtige Arbeit leistete.
FRAGE: Im Jahr 2016 waren in Deutschland nur 17,9 Prozent aller Hochschullehrenden in Mathematik und den Naturwissenschaften Frauen. Diese Zahl ist in der Physik vermutlich noch geringer. Warum ist es Ihrer Meinung nach immer noch schwerer für Frauen, eine Karriere als Naturwissenschaftlerin zu machen?
GAILLARD: Ich glaube, die Verhältnisse haben sich seit der Zeit, als ich in der Physik anfing, sehr verbessert. 1981 war ich die erste Frau auf einem Physik-Lehrstuhl in Berkeley; jetzt gibt es neun, das entspricht 14 Prozent. Im Jahr 2016 waren durchschnittlich 16 Prozent Frauen an den Physik-Graduiertenprogrammen in den USA eingeschrieben; diese Zahl hatte sich seit Mitte der 1990er-Jahre kaum verändert. Im Moment liegen wir aber bei 23 Prozent in unserer Abteilung – es scheint sich wieder mehr zu bewegen. Allerdings berichten weibliche Graduierte noch immer über Herabsetzungen und beleidigende Bemerkungen – jedoch eher von Kommilitonen als von Fakultätsangehörigen. Obwohl sich also die Haltungen grundsätzlich geändert haben, scheint es immer noch ein kulturelles Problem zu geben, das manche Frauen dazu veranlasst aufzugeben. Ein weiteres Problem ist meiner Meinung nach, dass einige Frauen Physik für sich nicht in Betracht ziehen – bis es zu spät für sie ist, die nötigen Grundlagen in Mathematik zu erwerben.
FRAGE: Im Vorwort zu Ihrer Biographie schildern Sie, wie Sie merkten, dass Sie für viele ein Vorbild sind. Sollten sich Wissenschaftlerinnen grundsätzlich mehr dafür einsetzen, junge Studentinnen zu unterstützen?
GAILLARD: Was ich festgestellt habe ist, dass Studierende persönliche Gespräche am meisten schätzen – oder Unterhaltungen in kleinen Gruppen, wo sie sich frei fühlen, Fragen zu stellen und ihre Ansichten zu äußern. Zum Beispiel war ich kürzlich auf einer Konferenz, in deren Pausen kleine Gruppen von Studentinnen mit mir sprechen konnten. Auch in Berkeley und an anderen Orten, wo ich Vorträge halte, habe ich Studierende beispielsweise zum Mittagessen getroffen. Die Kommission für Gleichstellung und Inklusion an unserer Abteilung lädt ab und zu Studierende ein, damit diese ihre Fragen äußern können. Es gibt auch formelle Veranstaltungen. Aber ich glaube, dass die kleinen, persönlichen Begegnungen besonders wertvoll sind.
FRAGE: Wie könnten junge Menschen noch dafür begeistert werden, Naturwissenschaften zu studieren?
GAILLARD: Ich finde, dass Öffentlichkeitsarbeit wichtig ist. In Berkeley gibt es Programme, die speziell Frauen und unterrepräsentierte Minderheiten für Physik begeistern sollen und die diesen Menschen ermöglichen, fehlende Hintergründe zu kompensieren. Forschungsaufenthalte, so wie ich sie in Paris und Brookhaven hatte, sind ebenfalls wichtig. Wir brauchen aber vor allem bessere Wege, um die Faszination an naturwissenschaftlicher Forschung für junge Menschen jeden Alters vermitteln zu können. Und wir müssen sie ermutigen, während ihrer Schulzeit Kurse zu belegen, die ihnen später ein weites Spektrum an Möglichkeiten bieten. Ich glaube auch, dass gute und unterhaltsame Porträts von Wissenschaftlern in Film und Fernsehen eine wichtige Rolle spielen können.
Der öffentliche, englischsprachige Vortrag von Mary K. Gaillard ist im Rahmen der Eröffnung der Tagung am Donnerstag, 27. September, ab 17.00 Uhr zu hören (Hörsaalgebäude W32, Campus Wechloy, Küpkersweg 48). In einem weiteren öffentlichen Vortrag spricht die Astrophysikerin Dr. Silke Britzen vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie über Schwarze Löcher. Der Vortrag am Freitag, 28. September, beginnt um 19.15 Uhr (Hörsaalgebäude W32, Campus Wechloy, Küpkersweg 48).
Interview: Constanze Böttcher