Manchmal besitzen kleine Dinge eine große Kraft. So können auch Reiskörner gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Wandel anstoßen. Davon konnten sich kürzlich Oldenburger Forscherinnen überzeugen.
Was passiert, wenn Saatgut nicht mehr verkauft, sondern verschenkt wird? Welche wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Folgen sind zu beobachten? Nachwuchswissenschaftler der Gruppe „RightSeeds“ des Instituts für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik der Universität Oldenburg erforschen seit zwei Jahren, inwieweit gemeingüterbasierte Rechte an Saatgut und Sorten einen ökologischen und sozialen Wandel im Pflanzenbau anstoßen können. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Verbundvorhaben unter Leitung der Oldenburger Ökonomin Prof. Dr. Stefanie Sievers-Glotzbach für insgesamt fünf Jahre. Beteiligt sind neben der Universität Göttingen und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin auch acht Praxispartner, darunter mehrere Zuchtvereine.
Mitte Februar hatten die Right-Seeds-Doktorandinnen Nina Gmeiner und Julia Tschersich die Gelegenheit, ihre Forschung ganz praktisch anzugehen: Sie besuchten das philippinische Reisbauenrnnetzwerk MASIPAG, bei dem das Verschenken von Saaten und Sorten seit über 30 Jahren selbstverständlich ist. Dem MASIPAG-Netzwerk gehören etwa 35.000 Kleinbauern an, die in der Regel unter fünf Hektar Land bewirtschaften.
Gemeinsam mit Vertretern der kooperierenden Zuchtvereine machten die beiden Forscherinnen sich auf den Weg nach Südostasien. Höhepunkt des Aufenthalts war ein einwöchiger Workshop, den sie mit weiteren Right-Seeds-Forscherinnen aus Berlin und Göttingen organisierten. „Der Workshop war sehr erfolgreich. Unsere Praxispartner – die deutschen Zuchtvereine und die philippinischen Kleinbauern – haben sich ohne Berührungsängste über die Chancen und Risiken solcher Gemeingut-Netzwerke ausgetauscht und darüber, welche Unterschiede es zwischen Deutschland und den Philippinen gibt“, erzählt Gmeiner.
Feingefühl für soziale Auswirkungen
Besonders wichtig ist auf den Philippinen das Reiskorn, da es als Hauptnahrungsmittel einen hohen Stellenwert genießt. „Es heißt: seed is sacred‘“, berichtet Gmeiner. „So erklärt sich auch, dass dieses Netzwerk Saat nicht verkaufen möchte, sondern nur weiterverschenkt.“ Darüber möchte die Forscherin mehr erfahren. Sie führte zahlreiche Interviews mit verschiedenen Beteiligten: „Was mich am meisten überrascht hat: Die Koordinatoren des Reisbauernnetzwerks haben ein sehr starkes Feingefühl für die Bedeutung ihres Netzwerks. Ich dachte, sie sehen vor allem die ökonomische Komponente, aber sie sind sich auch der sozialen und politischen Auswirkungen durchaus bewusst.“ Gerade die soziale Dimension des gemeingüterbasierten Ansatzes sind ihr wichtig, denn in ihrer Doktorarbeit nimmt sie speziell das Wohlergehen der beteiligten Bauernfamilien in den Blick.
Was Gmeiner gleich auffiel: Auf den philippinischen Landwirten lastet ein deutlich höherer Druck als auf ihren Berufskollegen in Deutschland. „In Deutschland haben die Landwirte und ihre Kinder eine gute Schulbildung und können einen anderen Beruf ausüben, wenn es mit der Landwirtschaft nicht mehr läuft“, erläutert Gmeiner. Auf den Philippinen gebe es häufig keine andere Option, Geld für die Familie zu verdienen – dementsprechend hoch sei der Erfolgsdruck.
Diese angespannte Lage hat das kirchliche Hilfswerk Misereor bereits Mitte der 1980er Jahre erkannt und als Antwort das Netzwerk MASIPAG ins Leben gerufen. Seither teilen sich die Kleinbauern das wirtschaftliche Risiko. Sie züchten und tauschen insgesamt mehr als 2.200 Sorten. Außerdem werden sie in die netzwerkeigene Forschung nach neuem Saatgut einbezogen und ermutigt, ihr Anbauverhalten kritisch zu hinterfragen. Jeder teilnehmende Landwirt verpflichtet sich, ökologisch verträglich zu arbeiten. Getauscht werden im Netzwerk auch Informationen zu geeigneten Standorten sowie Tipps zu Aussaat und Pflege. Dass das Saatgut und das Wissen dezentral bewahrt werden, schützt auch vor Naturkatastrophen oder dem Wetterphänomen El Nino, das auf den Philippinen in der Regel für Dürreperioden sorgt.
Ein Modell für Deutschland?
Ein Modell, das auch in Deutschland funktionieren könnte? „So einfach ist es leider nicht“, erklärt Gmeiner. In Deutschland und den meisten westlichen Ländern ist die Pflanzenzüchtung größtenteils ein kommerzielles System, das auf biotechnologische Methoden, nicht nachbaufähiges Saatgut und Lizensierung setzt. Neu gezüchtete Sorten müssen beim Bundessortenamt registriert werden, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen. Meist wird dann auch Sortenschutz angemeldet – dieser verhindert, dass Saatgut dann ohne weiteres wiederverwendet, verschenkt oder verkauft werden darf. Die deutschen Praxispartner von Right Seeds, unter anderem Kultursaat e.V. und ARCHE NOAH, lizensieren jedoch das geistige Eigentum an dem Saatgut und den Sorten nicht. Sie verzichten auf die Anmeldung von Sortenschutz und somit auch auf Lizenzgebühren. So hat jeder Landwirt die Möglichkeit, frei über das Saatgut zu verfügen: selbst vermehren, weiter damit züchten oder es an den Nachbarn verschenken. Auf diese Weise versuchen sie, den Gemeingut-Gedanken umzusetzen. Bei den Gesprächen mit den MASIPAG-Vertretern ging es ihnen vor allem darum, zu erfahren, auf welche Weise ein so komplexes Netzwerk funktionsfähig bleibt wird und wie man es schaffen kann, bei der Politik Gehör zu finden.
Der Gegenbesuch in Deutschland ist bereits geplant. Im kommenden Jahr wird eine philippinische Delegation nach Oldenburg kommen, um sich in die Geheimnisse erfolgreicher Gemüsezucht einweisen zu lassen – ein Thema, das künftig in Südostasien vorangetrieben werden soll.