Im Projekt REENEA erforschen Wissenschaftler um die Soziologin Jannika Mattes den regionalen Energiewandel als sozialen Prozess. Erste Ergebnisse aus Oldenburg liegen mittlerweile vor – und sorgten bei einem Stakeholder-Workshop für Diskussionen.
Frage: „Was zeichnet Ihrer Meinung nach die Region Oldenburg als Schauplatz des Energiewandels aus?“ Antwort: „Da kennen wir uns aus, da spricht man Platt, da sind keine Berge“. Anhand eines Zitats gibt Innovationsforscherin Prof. Dr. Jannika Mattes wieder, was ihr Forscherteam bei Interviews mit verschiedenen Akteuren des regionalen Energiewandels zu hören bekam. Die Aufzählung sorgt für Schmunzler im Publikum, für die Wissenschaftler offenbart sie eine zentrale Erkenntnis: Die Oldenburger Akteure zeichnen sich durch eine intensive regionale Verbundenheit und starke Netzwerke aus.
Etwa 20 Teilnehmer sind an diesem Nachmittag Ende März ins Kulturzentrum PFL gekommen, um sich mit den Forschern des Projekts „REENEA – Regionaler Energiewandel: Die sozialen Aushandlungs-, Normierungs- und Lernprozesse im Windenergiesektor“ über die bisherigen Ergebnisse auszutauschen. Unter ihnen sind Wissenschaftler verschiedener Forschungseinrichtungen wie des DLR-Instituts für Vernetzte Energiesysteme oder des Zentrums für Windenergieforschung ForWind. Hinzu kommen Vertreter von Energieversorgern, Kommunen, Banken, Planungsbüros, Gutachter und Mitwirkende des Oldenburger Energieclusters OLEC, des größten technologieübergreifenden Energienetzwerks im Nordwesten Deutschlands.
Rückkopplung zu Interviewpartnern
„Wir laden zu diesem Workshop ein, um die Ergebnisse unserer ersten Fallstudie zu überprüfen. Dabei suchen wir ganz bewusst die Rückkopplung zu unseren Interviewpartnern aus der Praxis“, sagt Mattes. Außerdem wollen die Teilnehmer im Laufe des Nachmittags gemeinsame Strategien entwickeln, wie man die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzbar machen kann für Politiker, Planer, Verwaltungsmitarbeiter und weitere Akteure.
Seit gut einem Jahr leitet Mattes die Emmy Noether-Gruppe REENEA. Neben ihr gehören Dr. Camilla Chlebna, Meike Löhr sowie Sebastian Rohe zum Team, das in seiner interdisziplinären Zusammenstellung über Kompetenzen aus der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Wirtschaftsgeografie und der Nachhaltigkeitswirtschaft verfügt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Gruppe für insgesamt fünf Jahre. In dieser Zeit werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Energiewandel in insgesamt sechs ausgesuchten Regionen analysieren – mit besonderem Augenmerk auf die sozialen Prozesse, die diesen Veränderungsprozess ausmachen. In ihren Interviews wollen sie beispielweise herausfinden, wie die Beteiligten die entscheidenden Prozesse miteinander aushandeln. Welches Selbstverständnis entwickeln sie dabei? Welche Lernprozesse werden durchlaufen? Gibt es Machtspielchen und, wenn ja, wie werden diese ausgetragen?
Gut vernetzt in Oldenburg
Für die kürzlich abgeschlossene Oldenburger Fallstudie haben die REENEA-Forscher 26 qualitative Interviews geführt – mit Betreibern von Windkraftanlagen, Vertreten von Universitäten und Forschungseinrichtungen, Mitarbeitern von Wirtschaftsverbänden, Akteuren aus der Zivilgesellschaft, diversen Dienstleistern der Branche sowie Verwaltungsmitarbeitern und Politikern. Erste Erkenntnis: In Oldenburg ist man gut vernetzt – viele Akteure haben zusammen studiert und die ersten Karriereschritte parallel absolviert. „Einige nehmen Oldenburg geradezu als ein Mekka der Energiewende wahr“, erläutert Mattes.
„Wir haben zudem eine Neigung zur Experimentierfreudigkeit feststellen können – was natürlich auch an der Universität und ihren An-Instituten liegt, die hier sehr stark als Keimzelle der erneuerbaren Energien wahrgenommen werden“, ergänzt die Soziologin. Ein weiteres Merkmal sei eine vergleichsweise hohe gesellschaftliche Akzeptanz für Windparks in der Region. Doch so langsam nehme die Zustimmung ab, es komme vermehrt zu Konflikten.
Die schwindende Akzeptanz ist ein Trend, der auch im anschließenden Workshop zur Sprache kam: Was können Planer von Anlagen, Genehmigungsbehörden, Lokalpolitiker und Zivilgesellschaft tun, damit Windparks mehr Zustimmung finden? Auf einer Pinnwand sammelten die REENEA-Forscher Sebastian Rohe und Meike Löhr Karten mit Stichwörtern der Teilnehmer, etwa: „Projekt rechtzeitig vor Ort erklären“, „langfristig in der Region engagieren, auch sozial“, „Anwohnern vor Ort bevorzugt eine Beteiligung am Windpark anbieten“. Ähnlich klar fiel die Forderung an die Genehmigungsbehörden aus: „Service‐ statt Verhinderungsbehörde“ lautet hier ein zentrales Stichwort.
Das EEG und die Folgen
Zur Sprache kam auch die zurückgehende Unterstützung auf nationaler Ebene, beispielsweise durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das seit 2016 unter anderem den jährlichen Ausbau an erneuerbaren Energien deckelt. In den Befragungen der Forscher wurden bereits Ausweichstrategien deutlich - etwa das Bestreben der Unternehmen, ihre Geschäftsfelder zu erweitern oder stärker international in Wachstumsmärkten zu agieren.
Als nächste Beispielregion schaut sich das REENEA-Team unter anderem die Uckermark an – eine Region, in der die Windkraft derzeit besonders stark ausgebaut wird. Ersten Recherchen zufolge kommt der Aufwärtstrend bei den Bürgern nicht an – viele haben das Gefühl, dass sie persönlich nichts von der prosperierenden Energiewirtschaft haben. Ein Phänomen, mit dem die Forscher sich in den kommenden Monaten intensiv beschäftigen werden.