Er beschäftigt sich mit Dingen, die verborgen bleiben: Christoph Lienau hat den Forschungsbereich „Ultraschnelle Nano-Optik“ an der Universität aufgebaut. In der internationalen Forschergemeinde gilt Oldenburg inzwischen als „Stadt der kurzen Impulse“.
Oldenburg, das ist nicht nur die urbane Residenzstadt im Nordwesten Deutschlands, die Stadt der „EWE-Baskets“ oder die „Stadt der Wissenschaft“, zu der sie 2009 der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft erkoren hatte. Oldenburg, das ist, jedenfalls für eine kleine Gemeinde hochspezialisierter Physiker, „die Stadt der kurzen Impulse“. Anfang des Jahres war der Physiker Christoph Lienau Gast einer wissenschaftlichen Konferenz in der Vier-Millionen-Stadt Xiamen im Südosten Chinas. Als er erläutern wollte, woher er kam, fiel ihm ein Nachwuchswissenschaftler ins Wort: „Oldenburg, das ist doch die Stadt, wo sie die kurzen Lichtimpulse erzeugen können.“
Mit der Arbeitsgruppe „Ultraschnelle Nano-Optik“ am Institut für Physik hat Lienau in den letzten acht Jahren hart daran gearbeitet, dass Oldenburg in der Scientific Community diesen Ruf erlangt. Gemeinsam haben sie bahnbrechende nano-optische Verfahren entwickelt, mit denen sich die optischen Eigenschaften von Nanostrukturen besser verstehen und nutzen lassen.
Zwar stecke die ultraschnelle Nano-Optik noch in den Kinderschuhen, „doch sie zählt zu den spannendsten und vielversprechendsten physikalischen Forschungsgebieten“, so Lienau. Der wissenschaftliche Fortschritt ist rasant: Nanoforschung und Nanotechnologie sind in den letzten Jahren immer wichtiger für viele Industriezweige geworden. Das Spektrum der Anwendungen reicht von Pfannen- oder Fensterbeschichtungen über innovative Ultraschall-Sensorik bis hin zu Nanoclustern als Computerspeicher, superschnellen Halbleitern und Nano-Tuning für Solarzellen. Bei Rechnern der nächsten Generation könnte Nanotechnologie gar die entscheidende Rolle spielen. Nach Expertenmeinung gehört dem optischen Computer auf Basis nanostrukturierter Lichtschalter die Zukunft.
Ultrakurze Laserimpulse
Und Lienau sorgt mit seinem Team für Einblicke in diese kleinste aller Welten. Durch ultrakurze Laserimpulse können sie Dinge und Prozesse sichtbar machen, die so winzig sind, dass sie mit herkömmlichen optischen Mikroskopen nicht auszumachen sind. Die Laserblitze, die das Forschungsteam dafür nutzt, sind „ultrakurz“, sie dauern nur wenige Femtosekunden lang – eine Femtosekunde, das ist der billiardste Teil einer Sekunde. Dank dieser Impulse sind beispielsweise Aussagen über die Funktion von Materialstrukturen möglich, deren Größe nur etwa ein Zehntausendstel eines menschlichen Haares ausmacht.
Im Gespräch räumt Lienau ein, dass sein Forschungsgebiet etwas für Physikfreaks, für Experimentalphysiker mit hoher Begeisterung für modernste Messtechnik sei. „Wir machen diese Arbeit sicher nicht, um reich zu werden oder um direkt zur Vermehrung des Profits von Unternehmen beizutragen. Uns geht es zunächst um Erkenntnisgewinn“, erklärt er. Lienau und sein Team betreiben Grundlagenforschung, um neues Wissen zu schaffen. Und der Physiker fügt mit leicht ironischem Unterton hinzu: „Es geht uns um Anerkennung von Leuten – nennen wir sie ruhig Nerds – die genauso abstrakte und wenn möglich kreative Ideen haben wie wir selber.“ Ideen, die zunächst vielleicht sogar abstrus und abwegig erscheinen würden, weil sie tradiertes Wissen in Frage stellten. Und diese Anerkennung von solchen Nerds, das sei ein hoher Lohn.
Und Lienau erhält diese Anerkennung: Er konnte seine Forschungsergebnisse in einer Vielzahl international renommierter Wissenschaftszeitschriften publizieren. Zeitschriften wie „Science“ und „Nature Photonics “. Mit seinen ultrakurzen Laserimpulsen ist er mittlerweile so gefragt, dass er Einladungen zu wissenschaftlichen Tagungen auf der ganzen Welt ausschlagen muss – aus Mangel an Zeit.
Kompetenzzentrum für Ultrakurzzeitoptik
Die Wiege von Lienaus Forschung steht auf dem naturwissenschaftlichen Campus der Universität Oldenburg. Dort hat der Physiker mit seinen Mitarbeitern ein ganz besonderes Labor eingerichtet. Ein Labor, wie es weltweit nur wenige andere gibt, eine Art Kompetenzzentrum für die Spektroskopie von Nanostrukturen. Hier befinden sich die leistungsstarken Ultrakurzpuls-Lasersysteme, ohne die der Forschungserfolg der Arbeitsgruppe unmöglich gewesen wäre.
Die Anlage wirkt auf Laien, als würde eine Modelleisenbahnwelt Kopf stehen, als hätte ein verwirrter Optiker Miniaturspiegel sinnlos über eine Arbeitsfläche verstreut. Doch hinter dem Chaos von Lichtquellen, Spiegeln und Prismen steckt ein ausgeklügeltes, hochkomplexes System.Lienaus Mitarbeiter haben in den Laborräumen die optischen Geräte so arrangiert, dass das jeweilige Lasersystem die gewünschten ultrakurzen Impulse zur Messung optischer Effekte erzeugt. Die Studenten und Doktoranden arbeiten mit Engagement und Energie an den Versuchsanordnungen, die den Stoff für ihre Abschluss- und Promotionsarbeiten liefern. Konzeption und Aufbau der Experimente, die präzise Ausrichtung der Laser, Spiegel und Prismen dauern in der Regel mehrere Wochen, die eigentlichen Messungen dagegen nehmen nur ein paar Tage in Anspruch.
Ultrakurzpuls-Lichtquellen, die jeweiligen Lasersysteme, die den Ausgangspunkt der Experimente bilden, seien durchaus im wissenschaftlichen Fachhandel erhältlich, berichten die Doktoranden. Aber diese genügen den Ansprüchen der Gruppe schon lange nicht mehr. Die Impulse, die diese Lasersysteme erzeugen, sind meistens entweder zu lang oder haben die falsche Lichtfrequenz. Daher müsse „Eigenbaukram“ her – wie die Doktoranden die von ihnen entworfenen Arrangements liebevoll nennen.
Hinter der ausgefeilten Technik der kurzen Laserimpulse zur Beobachtung und Analyse schneller dynamischer Prozesse stecken im Prinzip die gleichen Überlegungen wie bei der Fotografie. Will man etwa einen Rennwagen bei voller Fahrt fotografieren, dann muss die Belichtungszeit sehr kurz sein, damit er scharf auf den Film gebannt wird.
Und Lienaus Forschungen sind auf ultrakurze Belichtungszeiten angewiesen: Als er seine Forschungen begann, lag die Zeitauflösung der erzeugten Impulse noch im Bereich von hundert Femtosekunden. Dies reichte aus, um die Bewegung von Atomkernen in Molekülen sichtbar zu machen und somit den Ablauf chemischer Reaktionen zu verfolgen. Ahmed Zewail vom renommierten California Institute of Technology, bei dem Lienau als Postdoktorand arbeitete, erhielt hierfür 1999 den Nobelpreis für Chemie. Lienau gelang es mittlerweile mit seinem Team in Oldenburg, die Impulsdauer auf deutlich unter zehn Femtosekunden zu verringern und so die Bewegungen einzelner Elektronen sichtbar zu machen. Eine Entwicklung, die auch der Forschung im Bereich der erneuerbaren Energien zugutekommt. Sie ermöglicht, die für Anwendungen höchst relevante Energiewandlung in Nanostrukturen aufzuklären.
Nano-Energieforschung
Prof. Dr. Uwe Schneidewind, damals Präsident der Universität Oldenburg, brachte Lienau auf die Idee, sich mit erneuerbaren Energien auseinanderzusetzen – wie sich der Physiker schmunzelnd an seine Anfänge in Oldenburg erinnert: „Professor Schneidewind forderte, ,Forschung mit regionalen Bezügen zu machen, um zur Verankerung der Universität in der Region beizutragen.‘ Und ich habe dann erwidert: ,Nein, das kann ich sicher erstmal nicht. Unsere Stärke liegt in der Grundlagenforschung. Wir müssen diese Stärke nutzen, um nachhaltig zum Erfolg unserer Universität beizutragen‘“. Lienau hat sich dann intensiv mit der Forschung zu erneuerbaren Energien an der Universität Oldenburg auseinandergesetzt. „Als ich sah, was der Physiker Jürgen Parisi und sein Team zur Energie- und Halbleiterforschung entwickelten, was Carsten Agert mit seinem NEXT ENERGY-Forschungsinstitut auf die Beine gestellt hat, da ist mir klar geworden: Das sind hoch relevante Forschungsfelder, zu denen können wir Beiträge leisten. Aber nicht, indem wir einfach nur an Vorhandenes andocken. Es muss uns gelingen, unsere Kompetenzen in der Quantenphysik zu nutzen, um die mikroskopischen Prozesse der Energiewandlung in Nanostrukturen aufzuklären und damit einen anderen Blickwinkel auf die Energieforschung zu eröffnen.“
Grundlagenforschung für die Solarzelle der Zukunft
Zusammen mit dem damaligen Dekan der Fakultät V Mathematik und Naturwissenschaften, Prof. Dr. Martin Holthaus, wurde 2011 die Idee geboren, die Nanoenergieforschung als neuen Forschungsschwerpunkt an der Universität zu etablieren und auch die „Ultraschnelle Nano-Optik“ fester in Oldenburg zu verankern. Inzwischen ist der Forschungsbereich mit mehr als 80 Wissenschaftlern aus der Physik, Chemie und Biologie und einem Landesgraduiertenkolleg „Nano-Energieforschung“ für 15 Doktoranden fester Bestandteil der Universität.
Ob handelsübliche Batterien, Lithium-Ionen-Zellen, neuartige Lithium-Luft-Batterien, organische Solarzellen, organische Leuchtdioden – alle bestehen aus Nanostrukturen, in denen Energie von einer Form in eine andere umgewandelt wird. Prägnantestes Beispiel sind Solarzellen: hier wird Licht in Strom umgewandelt. Lienaus Team arbeitet daran, die Prozesse sichtbar zu machen, die dabei im Inneren ablaufen.„Wir schauen beispielsweise in der Solarzelle nach, wie Strom auf molekularer Skala entsteht“, erklärt der Physiker. Dafür zerlegen die Wissenschaftler die Solarzelle in ihre kleinsten Bestandteile – in Atome und Moleküle – und verfolgen deren Bewegung auf extrem kurzen Zeitskalen. Im Zentrum des Interesses steht dabei das Wechselspiel zwischen dem einfallenden Licht und den Atomen und Molekülen innerhalb der Solarzelle. Die Physiker wollen auf diesem Weg die mikroskopischen, quantenmechanischen Prinzipien der Stromentstehung verstehen.
Diese Prozesse sind so komplex, dass sie sich der direkten wissenschaftlichen Beobachtung bislang entzogen haben. Doch in seiner jüngsten Publikation im Wissenschaftsjournal „Science“ beschreibt Lienau, wie es ihm mit einem Team internationaler Wissenschaftler gelang, die Umwandlung von Licht in Strom in einer organischen Solarzelle zu filmen. Auf diese Weise konnten sie erstmals zeigen, wie der lichtinduzierte Elektronentransfer in solch einer Zelle im Detail abläuft und dass der quantenmechanische Wellencharakter der Elektronen dabei eine entscheidende Rolle spielt.
Lienau betreibt damit Grundlagenforschung für künftige Schlüsseltechnologien. Er ist überzeugt, dass seine Untersuchungen und Experimente mittelfristig dazu beitragen können, leistungsstärkere Solarzellen und Batterien zu entwickeln. „Manche Materialien sind zur Energieumwandlung besser geeignet als andere – wir können mit unseren nano-optischen Messverfahren bis in die molekulare Ebene hinein überprüfen, warum das so ist.“ Und der Wissenschaftler ergänzt: „Um die Effizienz von Akkus oder Solarzellen zu erhöhen, sollten wir die zugrundeliegenden Wirkprinzipien so gut wie möglich verstehen – schon um nachvollzuziehen zu können, warum die Natur in biologischen System oftmals auf andere Wandlungsarchitekturen zurückgreift, als wir Physiker und Chemiker es gegenwärtig in künstlichen Lichtwandlungssystemen machen.“
The Spirit Of Wechloy
Lienaus Forschung wäre ohne ein breites Netzwerk nationaler und internationaler Wissenschaftler nicht denkbar. Besonders intensiv ist dabei die Zusammenarbeit mit italienischen Forscherteams aus Mailand und Modena, international hoch anerkannten Experten für Ultrakurzzeitphysik. Doch auch an der Universität Oldenburg gibt es viele Wissenschaftler, mit denen Lienau interdisziplinär kooperiert.
Um neue, künstliche Lichtsammelkomplexe zu designen und herzustellen, arbeitet der Physiker sehr eng mit Prof. Dr. Jens Christoffers, Hochschullehrer für Organische Chemie, zusammen. Mit den Biologieprofessoren Karl W. Koch und Henrik Mouritsen ergründet er die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen biologischen und künstlichen Energiewandlungssystemen. Und in der Physik wird die Nano-Energieforschung besonders durch die Experimentalphysiker Prof. Dr. Matthias Wollenhaupt, Experte für „maßgeschneiderte“, ultrakurze Lichtimpulse, und Prof. Dr. Niklas Nilius, Experte für Rastersondenspektroskopie, unterstützt.
„Wir haben auf dem naturwissenschaftlichen Campus in Wechloy eine sich rasch und rasant entwickelnde Forschungskultur und einen besonderen Zusammenhalt“, sagt Lienau. Das haben auch die Kollegen anderer Universitäten gemerkt. „Auf Tagungen und Kongressen höre ich immer wieder, dass Oldenburg der Ruf einer Uni mit kreativen und interdisziplinär eng zusammenarbeitenden Forschern vorauseilt. Die Kollegen beneiden uns um die kurzen Wege, darum, dass Biologen, Physiker und Chemiker hier so gut kooperieren, dass sie keine Berührungsängste haben und ihre Forschungen sich gegenseitig befruchten“, erklärt Lienau.
Internationaler Forschungsnachwuchs
Dass Lienaus Forschungen weit über die Grenzen der Stadt der kurzen Impulse bekannt sind, zeigt sich auch daran, dass gut 20 nationale und internationale Nachwuchswissenschaftler in seiner Arbeitsgruppe forschen. Wie beispielsweise die Humboldt-Stipendiatin Dr. Parinda Vasa, die als Postdoktorandin von Indien nach Oldenburg kam, um metallische Halbleiter-Strukturen mit Methoden der Nano-Optik zu erforschen und darüber zu habilitieren. Noch bevor sie ihre Habilitation abschloss, wurden ihr Professuren an den renommiertesten Universitäten Indiens angeboten. Zurzeit hat sie die Professur für Ultraschnelle Spektrographie, Plasmonik und Nano-Optik des „Department of Physics“ am Indian Institute of Technology Bombay inne. „Es spricht sich herum, dass wir hier in Oldenburg eine blühende Forschungslandschaft haben“, berichtet Lienau nicht ohne Stolz. Unsere Doktoranden und Postdoktoranden sind mittlerweile über die ganze Welt verstreut.
Weitere wichtige Forschungsimpulse und noch bessere internationale Sichtbarkeit erhofft sich der Wissenschaftler besonders vom Promotionsprogramm „Nano-Energieforschung“, das er gemeinsam mit der Hochschule Emden/Leer durchführt und das vom Land Niedersachsen gefördert wird. Das Landespromotionsprogramm vereint wissenschaftliche Fragestellungen aus der Energieforschung mit der Grundlagenforschung der Physik und Chemie. Lienau ist sich sicher, dass es eine hervorragende Möglichkeit biete, noch mehr begabte und eifrige Nachwuchswissenschaftler nach Oldenburg zu holen.
Und auch die kleinsten Wissenschaftler hat Lienau im Blick. Im letzten Jahr hat die Chemie- und Physiklehrerin Silvia Beckhaus am Alten Gymnasium Oldenburg in Zusammenarbeit mit der „Ultraschnellen Nano-Optik“ ein Schülerlabor Nanotechnolgie eingerichtet. Hier können die Schüler mit einem Rasterkraftmikroskop Einblicke in den Nanokosmos erhalten.