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Projekt "Lebenslaufansatz und Studienerfolg (LAST)"

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  • Nah dran am Studierendenalltag: Soziologe Michael Feldhaus (links) und Pädagoge Karsten Speck wollen den Ursachen für einen Studienabbruch auf den Grund gehen.

  • Das reale Leben in 84 Fragen: Der LAST-Fragebogen erfasst auch Einflüsse von Eltern und Freunden auf das Studium. Fotos: Universität Oldenburg

Das reale Unileben

Warum bricht bundesweit fast jeder Dritte sein Studium ab? Die Gründe können vielfältig sein, werden aber bisher kaum systematisch erforscht. Um das zu ändern, gehen Michael Feldhaus und Karsten Speck in ihrem Forschungsprojekt LAST neue Wege. Ihr Vorhaben: das reale Leben abbilden

Warum bricht bundesweit fast jeder Dritte sein Studium ab? Die Gründe können vielfältig sein, werden aber bisher kaum systematisch erforscht. Um das zu ändern, gehen Michael Feldhaus und Karsten Speck in ihrem Forschungsprojekt LAST neue Wege. Ihr Vorhaben: das reale Leben abbilden

Die Erinnerung trügt. War es wirklich die schwierige Statistikklausur, die zum Studienabbruch geführt hat? Oder waren die Zweifel nicht schon vorher da? Vielleicht als der Vater die süffisante Frage stellte, wie man mit einem Soziologiestudium überhaupt Geld verdienen wolle? Oder der ehemalige Klassenkamerad mit dem dicken Auto vorfuhr?

Aktuellen Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zufolge verlassen in Deutschland rund 30 Prozent der Bachelorstudierenden die Hochschule ohne einen Abschluss. Knapp die Hälfte von ihnen wendet sich bereits im ersten und zweiten Semester ab, weitere 29 Prozent im folgenden Jahr. In einigen naturwissenschaftlichen Fächern liegt die Abbruchquote besonders hoch: So wirft etwa jeder zweite Mathematikstudent laut DZHW das Handtuch, bei Informatik und Chemie liegen die Werte nur knapp darunter. Die Gründe sind kaum erforscht, auch die Folgen bleiben weitgehend unklar. Eine Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hat bereits 2007 gezeigt, dass der Schaden nicht zu unterschätzen ist: Für die Betroffenen, die sich aus einem Gefühl des Scheiterns heraus einen neuen Weg ins Berufsleben aufbauen müssen, ebenso wie für die Gesellschaft, die in Zeiten des Fachkräftemangels ganz besonders auf den Nachwuchs mit Hochschulbildung angewiesen ist. In der Studie wird der volkswirtschaftliche Schaden auf 2,2 Milliarden Euro jährlich beziffert.

Soziologische und pädagogische Kontexte

Aber warum kehren junge Menschen dem Hörsaal den Rücken? Und was können die Hochschulen tun, um es zu verhindern? Das möchten der Soziologe Prof. Dr. Michael Feldhaus und der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Karsten Speck wissen. Für ihr Forschungsprojekt „Lebenslaufansatz und Studienabbruch (LAST) – eine multikontextuelle Analyse zu den Ursachen und Folgen des Studienabbruchs“ befragen sie seit April 2017 Studierende der Universität Oldenburg. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert das auf drei Jahre angelegte Projekt in der Förderlinie „Studienerfolg und Studienabbruch“. Um eine Vergleichbarkeit mit bundesweiten Studien, zum Beispiel DZHW zu gewährleisten, haben die Oldenburger Wissenschaftler sich bei der Entwicklung ihrer Instrumente auch an entsprechenden Vorarbeiten orientiert.

Wie der Projektname bereits verrät, bemühen sich Feldhaus und Speck, möglichst viele Lebensumstände – soziologisch und pädagogische „Kontexte“ – zu berücksichtigen. „Man könnte auch sagen: Wir versuchen, das reale Leben nachzuzeichnen“, sagt Feldhaus. Das Forscherteam fragt daher nicht nur danach wie zufrieden die Studierenden mit dem Studienaufbau oder der Qualität der Lehrveranstaltungen sind, sondern auch nach sozialen Faktoren wie der Beziehung zu Vater und Mutter, dem Bildungsstand der engsten Freunde, dem Verhältnis zu den Kommilitonen und der Meinung des Partners zum gewählten Studienfach. Hinzu kommt all das, was den Alltag prägt: wie weit der Weg zur Uni ist, ob sie neben dem Studium arbeiten müssen oder bereits Kinder haben. Gerade Einflüsse, die außerhalb der Hochschule liegen, seien in bisherigen Untersuchungen zum Studienabbruch kaum berücksichtigt worden. „Wir gehen aber fest davon aus, dass sie eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen“, stellt Feldhaus klar.

Bei der Entwicklung des Fragenkatalogs haben Feldhaus und Speck ganz bewusst mit den Oldenburger Schul- und Sonderpädagogen kooperiert, die den sogenannten Schulabsentismus untersuchen – also erforschen, warum Kinder und Jugendliche nicht mehr zur Schule gehen. Zwar unterscheide sich die Lebenssituation von Kindern und Studierenden allein aufgrund des Alters sehr stark. Dennoch sei es lohnenswert, diese Expertise zu nutzen. „Wir sind durch den Austausch mit den Kollegen auf wichtige Einflussfaktoren und uns bisher unbekannte Zusammenhänge gestoßen“, sagt Speck. Beispielsweise gebe es Kinder und Jugendliche, die in der Schule fehlen, weil sie ihre psychisch kranken Eltern zu Hause betreuen müssen. Familiäre Belastungen dieser Art seien auch bei jungen Erwachsenen vorstellbar – zumindest sollten sie abgefragt werden.

Das LAST-Team möchte in Kooperation mit Dr. Nicola Albrecht und Lisa Preller vom Referat  Studium und Lehre vor allem herausbekommen, wo die Hochschule eingreifen kann, um Studienabbrüche zu vermeiden und in welchen Fällen die Gründe außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. „Wenn mein Lebenspartner einen Job in Süddeutschland bekommt und ich auf keinen Fall eine Fernbeziehung möchte, kann die Lehre hier noch so gut sein. Ich werde Oldenburg trotzdem verlassen“, sagt Speck. In anderen Fällen könnte eine stärkere soziale Integration hilfreich sein. Die Auswertung der ersten Befragungswelle hat ihren Ansatz bereits bestätigt: „Wie vermutet haben wir direkte Zusammenhänge zwischen dem Umfeld der Studierenden und ihrem Studienerfolg finden können“, sagt Feldhaus. Wer beispielsweise an der Uni viele Freunde hat und sich gut integriert fühlt, geht motivierter in den Hörsaal. Eine feste Partnerschaft mit gemeinsamen Zukunftsplänen steigert den Lerneifer zusätzlich. Weitere Befragungen sollen diese ersten Erkenntnisse nun vertiefen.

Wie solch eine Erhebung abläuft zeigt sich an einem Dienstag im Juni. Im Hörsaal G spricht der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Jörg Prokop über Standardabweichungen, etwa 70 Studierende sitzen in den Bankreihen verstreut und schreiben eifrig mit. Bepackt mit Pappkartons voller Fragebögen betreten Rouven Teichmann und Ana Brömmelhaus den Raum. Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter des LAST-Projekts nicken Prokop zu, der kurz darauf eine Pause in seinem Vortrag einlegt. Während Teichmann bereits im Hörsaal-Gestühl verschwindet, um die Fragebögen zu verteilen, schnappt sich Brömmelhaus das Mikro und erklärt, was es mit der LAST-Studie auf sich hat und warum es wichtig ist, dass möglichst viele Studierende teilnehmen.

Rücklaufquote von nahezu 50 Prozent

„Wir haben insgesamt knapp 4.000 Fragebögen verteilt und eine Rücklaufquote von mehr als 45 Prozent gehabt. Das hat uns total überrascht“, erzählt die wissenschaftliche Mitarbeiterin später. Viele ähnliche Befragungen haben seit Jahren mit zurückgehenden Teilnehmerzahlen zu kämpfen. Den LAST-Fragebogen füllten die Oldenburger Studierenden dagegen oftmals in den Lehrveranstaltungen bereitwillig aus – trotz des beträchtlichen Umfangs von 84 Fragen. „Wir haben allerdings auch Anreize geschaffen“, gibt Brömmelhaus zu. Wer mitmacht, bekommt einen Buchgutschein und nimmt an einer Tablet-Verlosung teil.

Den Forschern ist besonders daran gelegen, den Weg der Studierenden über einen längeren Zeitraum zu erfassen, daher ist LAST als Längsschnittanalyse angelegt, die die gleichen Personen über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt vier Mal befragt. In den Fragebögen wurden bewusst einige Marker versteckt: Wer beispielsweise laut Fragebogen bereits öfter ernsthaft daran denkt oder daran gedacht hat, das (Haupt)fach zu wechseln, weckt Interesse. „Wir schauen dann, wie derjenige sich bei künftigen Befragungen äußert beziehungsweise in der vergangenen Befragung geäußert hat“, erklärt Speck. Denkbar wäre beispielweise, dass er die Prüfungen bereits damals als zu schwer empfand. Oder der Partner schon kurz nach dem Kennenlernen Zweifel an der Wahl des Fachs geäußert hat: Was, du willst Lehrerin werden? Solche kausalen Zusammenhänge können die Forscher dank des Längsschnitts und der vielfach wiederkehrenden Fragen nun direkt nachvollziehen. Das schließt Erinnerungsfehler aus, die – so vermuten die Wissenschaftler – bei Studien vorkommen, die den Weg zum Studienabbruch in der Rückschau herzuleiten versuchen.

Hierfür spielen auch die leitfadengestützten Interviews eine große Rolle, die  – mit finanzieller Unterstützung aus dem Referats Studium und Lehre – die Erkenntnisse aus den Fragebögen vertiefen sollen. Dafür wählen die Forscher per Zufallsprinzip aus den Fragebogen-Rückläufern etwa 40 Studierende aus. „Aus dem Fragebogen wissen wir beispielsweise, dass jemand arbeiten muss, um sein Studium zu finanzieren. Wir wissen aber nicht, wie sehr ihn das belastet. Das verrät uns dann das Interview“, erklärt Feldhaus. Im Fokus der Gespräche, die – als vertrauensbildende Maßnahme – studentische Hilfskräfte durchführen, liegen vor allem die Studierenden, die eine Abbruchneigung zeigen. „Ihre Motive und Einschätzungen sind besonders spannend für uns, denn letztlich wollen wir ja herausfinden, ob und wie die Hochschule sie unterstützen kann“, erklärt Speck. Ein Ausweg könnte auch ein Fachwechsel sein. Die erste Befragungswelle habe gezeigt, dass dieser in der Regel einen Motivationsschub auslöse. „Wir sollten das Schreckgespenst Studienabbruch also relativieren: Nicht jeder Abbruch ist eine Katastrophe, nicht jeder Wechsel schlecht“, sagt Feldhaus. Wenn jemand durch einen Wechsel ein Fach erwische, das seinen Leidenschaften näher komme, werde das vermeintliche Scheitern im ersten Anlauf letztlich zu einer guten biografischen Entscheidung. Selbst der Abbruch zahle sich für einige Menschen aus. „Das kann – vor allem in einem frühen Stadium – eine bewusste und persönlich bessere sowie nicht zuletzt auch volkswirtschaftlich kluge Entscheidung sein“, sagt Speck. Es sei sicher besser, bei einer hohen und länger andauernden Unzufriedenheit mit dem Studium nach Alternativen zu suchen.

Und was kann die Hochschule nun tun, um Zweifler zu unterstützen? Vorangegangene Studien haben gezeigt: Es könnte sinnvoll sein, die Studienvoraussetzungen klarer zu benennen, den Studienverlaufsplan neu zu strukturieren, die Bewertung der Prüfungsleistungen transparenter zu gestalten oder das Beratungsangebot auszubauen. Weitere Stellschrauben, an denen die Verantwortlichen drehen könnten, werden Michael Feldhaus und Karsten Speck vermutlich im Sommer 2020 präsentieren können – approved by real life.

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