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Epiphyten und Wind in einer sich ändernden Welt

Arbeitsgruppe Funktionelle Ökologie der Pflanzen

Epiphyten

Die Aufsitzerpflanzen sind ein wichtiger Teil tropischer Ökosysteme: An einigen Orten Süd- und Mittelamerikas machen Epiphyten die Hälfte aller Pflanzenarten aus. Weltweit wächst fast ein Zehntel aller Landpflanzenarten epiphytisch. Da Epiphyten keinen direkten Kontakt zum Boden haben, müssen sie auf anderen Wegen an Wasser und Nährstoffe gelangen. So können viele Epiphyten sehr gut Wasser auffangen und speichern. Die Blätter vieler Bromelien bilden beispielsweise einen Trichter, in dem sich Wasser sammelt. In diesen kleinen Teichen hoch über dem Erdboden können bis zu 250 verschiedene Tierarten leben, etwa Kaulquappen, Mückenlarven, Schnecken, Würmer und sogar Krabben. Auf diese Art bilden die Bromelien eigene kleine Lebensräume im Kronendach der Wälder.

Kontakt

Dr. Helena Einzmann

Institut für Biologie und Umweltwissenschaften

0441/798-3315

  • Großaufnahme einer kleinen Bromelie, die auf einem fingerdicken Ast wächst.

    Epiphyten sind ein wichtiger Bestandteil tropischer Regenwälder. Foto: Helena Einzmann

  • Angeseilte Forscherin mit Helm pflückt eine Pflanze von einem Ast.

    Um zu ihren Forschungsobjekten zu gelangen, müssen die Forscherinnen bis in die Baumkronen von Urwaldriesen klettern. Foto: Helena Einzmann

  • Jessica Tay mit einer riesigen Bromelie. Die Gewächse können einen Durchmesser von zwei bis drei Metern erreichen. Foto: Helena Einzmann

  • Das Bild zeigt einen mit Wasser gefüllten Pool, über dem ein Metallarm angebracht ist. Daran werden die Epiphyten befestigt.

    Wasser statt Luft: In dieser Experimentiervorrichtung in Panama testeten die Oldenburger Forscherinnen, welche Widerstandskräfte Epiphyten Strömungen entgegensetzen. Foto: Helena Einzmann

  • Unterwasserbild zeigt, wie die Bromelie im Wasserstrom ihre Form verändert. Strö

    Sind Bromelien starken Strömungen ausgesetzt, verringern sie ihre Oberfläche erheblich. Foto: Helena Einzmann

  • Die mechanischen Werkstätten entwickelten eine spezielle Vorrichtung, um den Widerstandsbeiwert von Epiphyten im Windkanal zu testen. Foto: Jessica Tay

Dem Wind gewachsen

Was ist stärker? Die Äste von Bäumen im Regenwald oder die Wurzeln von Pflanzen, die darauf wachsen? Das untersuchen die Biologinnen Helena Einzmann und Jessica Tay unter anderem im Windkanal der Universität.

Was ist stärker? Die Äste von Bäumen im Regenwald oder die Wurzeln von Pflanzen, die darauf wachsen? Das untersuchen die Biologinnen Helena Einzmann und Jessica Tay unter anderem im Windkanal des Zentrums für Windenergieforschung (ForWind).

Ein ausgewachsener Urwaldriese bietet oft einen prächtigen Anblick – und ein Zuhause für unterschiedlichste Pflanzen. Viele Bäume in tropischen Regenwäldern beherbergen auf ihren höchsten Ästen üppige Lebensgemeinschaften. Dort gedeihen zum Beispiel rosettenförmige Bromelien, Orchideen oder die zu den Aronstabgewächsen gehörenden Flamingoblumen mit ihren bizarren Blüten. Fachleute nennen diese dekorativen Gäste Epiphyten, zu Deutsch: Aufsitzerpflanzen.

Diese Gewächse haften erstaunlich fest an ihren Wirtsbäumen, so das vorläufige Ergebnis eines Projekts am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften. „Selbst Windgeschwindigkeiten in Hurrikan-Stärke scheinen nicht auszureichen, um Epiphyten von ihrem Substrat abzureißen. Eher brechen die Äste und Bäume, auf denen sie wachsen“, berichtet Dr. Helena Einzmann, Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe Funktionelle Ökologie. Die Biologin leitet das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Vorhaben „Epiphyten und Wind in einer sich ändernden Welt“.

Wenn von Urwäldern nur kleine Flecken bleiben

Hintergrund des Projekts sind die Umweltveränderungen, die vielen tropischen Regenwäldern zusetzen – vor allem Klimawandel und Abholzung. Wenn von riesigen Urwäldern nur kleine Waldflecken übrigbleiben, ändern sich die Umweltbedingungen in den Baumkronen: Dort ist es trockener und heller als inmitten des Regenwaldes. Das wirkt sich auch auf die Epiphyten aus. „Arten, die eine besonders hohe Luftfeuchtigkeit benötigen, wachsen dort dann nicht mehr“, berichtet Einzmann, die Epiphyten-Lebensgemeinschaften außerhalb von Wäldern in ihrer Doktorarbeit untersucht hat.

Inwieweit auch Wind diese Mikrokosmen bedroht, ist das Thema von Einzmanns derzeitigem Projekt. Denn Bäume, die am Waldrand oder einzeln auf einem Feld wachsen, sind stärkeren Luftströmungen ausgesetzt. Zudem könnten Tropenstürme Klimamodellen zufolge heftiger werden, wenn die globalen Temperaturen steigen. Zusammen mit der Doktorandin Jessica Tay untersucht Einzmann daher, welche Kräfte nötig sind, um Epiphyten zu entwurzeln. „Bislang war unklar, welchen Einfluss Wind auf die für Epiphyten essentielle Verankerung am Wirtsbaum hat“, sagt die Forscherin.

Einen Schwerpunkt des Projekts bilden ungewöhnliche Experimente, die die beiden Forscherinnen sowohl in Oldenburg als auch in Panama durchführten. „Wir haben uns dabei bislang auf Bromelien beschränkt, weil sie sehr groß werden können. Das heißt, sie leisten dem Wind wirklich Widerstand“, sagt Einzmann. Einige dieser rosettenförmigen Pflanzen aus der Familie der Ananasgewächse erreichen Durchmesser von bis zu 1,50 Meter und können mehrere Kilogramm schwer werden.

Experimente im Windkanal

Die Kräfte zu messen, die Wind auf die Gewächse ausübt, ist kein simples Unterfangen. Einzmann und Tay arbeiten dafür eng mit den Oldenburger Physikern Dr. Jaroslaw Puczylowski und Prof. Dr. Joachim Peinke von der Arbeitsgruppe Turbulenz, Windenergie und Stochastik (TWiSt) zusammen und nutzten den Windkanal des Zentrums für Windenergieforschung (ForWind).

„Es gibt eine Formel, mit der man bestimmen kann, welche Kraft Wind auf einen Körper ausübt“, erläutert Einzmann. Für die Berechnung dieser sogenannten Widerstandskraft spiele insbesondere ein bestimmter Koeffizient, der sogenannte cw-Wert oder Widerstandsbeiwert, eine wichtige Rolle. „Dieser Wert beschreibt im Wesentlichen, wie windschlüpfrig ein Körper ist“, so Puczylowski. Widerstandsbeiwerte werden üblicherweise experimentell ermittelt – bislang vor allem für Körper mit starrer Geometrie.

„Bromelien sind jedoch biegsam und flexibel, sie verringern ihre Oberfläche und reduzieren dadurch die Kraft, mit der der Wind angreifen kann“, berichtet Einzmann. Mit Hilfe der mechanischen Werkstätten der Universität entwickelte das Team daher eine Vorrichtung, um aus Panama mitgebrachte Epiphyten einzuspannen und sie im Windkanal Luftströmungen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 Kilometern pro Stunde auszusetzen. Auf diese Weise gelang es ihnen, den Widerstandsbeiwert für verschiedene Windgeschwindigkeiten annähernd zu bestimmen und die elastische Verformung dieser lebendigen Objekte zu quantifizieren. Das Ergebnis: Bei einer Windgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde sind die Bromelien in der Lage, die auf sie wirkende Widerstandskraft um zwei Fünftel zu reduzieren, indem sie ihre Blätter rekonfigurieren.

Epiphyten im Hurrikan

Um herauszufinden, wie stark ein Sturm sein muss, um Epiphyten vom Baum zu reißen, führte das Team weitere Experimente am Smithsonian Tropical Research Institute in Panama durch, zu dem das Team um den Oldenburger Ökologen Prof. Dr. Gerhard Zotz seit langem eine enge Verbindung hat. Auch bei diesen Versuchen war Erfindungsreichtum gefragt. „Wir hatten zunächst überlegt, eine Art Laubbläser zu verwenden, um die Pflanzen anzupusten, aber deren Leistung hätte nicht ausgereicht, um genügend große Kräfte zu erzeugen“, erzählt Einzmann. Stattdessen kam Puczylowski auf die Idee, nicht Luft, sondern Wasser als Medium für die Experimente zu verwenden. Weil es eine deutlich höhere Dichte hat, konnte das Team bei relativ kleinen Strömungsgeschwindigkeiten etwa so viel Kraft auf die Epiphyten ausüben wie ein Hurrikan der Kategorie 3.

Die Mechanischen Werkstätten und die Elektronikwerkstatt der Universität unterstützten das Team auch dabei, indem sie einen geeigneten Versuchsaufbau mitentwickelten: Die Mitarbeiter bauten eine Vorrichtung, die einen mit Epiphyten besetzten Ast mit Geschwindigkeiten von bis zu zwei Metern pro Sekunde im Kreis durch einen mit Wasser gefüllten, runden Pool ziehen kann. „Das entspricht einer Windgeschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde“, so Einzmann. Das Ergebnis: Selbst diese massive Gewalt reichte nicht aus, um die Bromelien abzureißen.

In anderen Untersuchungen ermittelten die Forscherinnen, wie Epiphyten auf dauerhafte und wiederkehrende mechanische Belastungen reagieren. Dafür behandelten sie Bromelien in den Oldenburger Gewächshäusern auf drei unterschiedliche Weisen: In Experimenten lenkten sie die Pflanzen zum einen durch Gewichte dauerhaft von ihrer natürlichen Wuchsrichtung ab, zum anderen führten sie eine wiederkehrende Auslenkung herbei, und außerdem drehten sie das Substrat, auf dem die Bromelien wurzelten, um 90 Grad. Sie stellten fest, dass die Gewächse im Vergleich zur Kontrollgruppe auf keine der Behandlungen mit verstärktem Wachstum reagierten.

Feste Verbindung

Damit verhalten sie sich anders als beispielsweise Bäume, die auf einer Seite stärker wachsen, wenn der Wind immer aus der gleichen Richtung weht. „Das könnte daran liegen, dass Epiphyten bereits so fest im Untergrund verwurzelt sind, dass sie keine zusätzlichen stützenden Strukturen benötigen“, so Einzmann. Derzeit befassen sie und Tay sich genauer mit den Wurzeln der Epiphyten, insbesondere mit der Verbindung zwischen den feinsten Wurzelhaaren und der Rinde ihres Wirtsbaumes. Die beiden wollen in den nächsten Monaten ihr Augenmerk darauf richten, wie es Epiphyten gelingt, sich so fest am Untergrund zu verankern.

Einzmann zieht bereits ein vorläufiges Fazit aus den bisherigen Untersuchungen: „Der Wind scheint als Störfaktor nicht so relevant zu sein wie andere Umweltfaktoren, etwa die Wasserverfügbarkeit – zumindest für Bromelien“, berichtet sie. „Wind allein genügt also nicht, um eine Epiphytengemeinschaft zu bedrohen – es muss schon das gesamte System zerstört werden. Das ist freilich nur ein schwacher Trost.“

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