Ebenso global wie die Corona-Pandemie selbst sind die wirtschaftlichen Probleme, die sie mit sich bringt. Wie diese aussehen und gelöst werden könnten, erläutert der Ökonom Hans-Michael Trautwein.
Kurzarbeit, steigende Arbeitslosenzahlen, Unternehmen vor der Insolvenz – die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sind immens. Erwartet uns nun Ähnliches wie bei der Weltwirtschaftskrise der 1920er und 1930er Jahre oder der globalen Finanzkrise ab 2007?
Klar ist, dass es sich bei der aktuellen Situation nicht nur um eine vorübergehende Konjunkturdelle handelt, sondern dass sich wirtschaftliche Strukturen nachhaltig verändern werden. Das geschah bei den früheren Krisen ebenfalls – allerdings aus ganz anderen Gründen. Damals handelte es sich um Krisen der weltweiten Kreditbeziehungen, die vom Finanzsektor ausgingen. Momentan hingegen haben wir es mit einem realwirtschaftlichen Einbruch zu tun: Die Maßnahmen, mit denen die Pandemie eingedämmt werden soll, beeinträchtigen weltweit Produktion und Konsum, während der Finanzsektor zur Zeit noch eher stabilisierend wirkt. Wann sich die Lage wieder entspannen wird, ist noch nicht absehbar. Auch das ist ein Unterschied zu der globalen Finanzkrise in den Nullerjahren: Damals war nach wenigen Monaten klar, dass staatliche Konjunkturprogramme und die finanziellen Hilfen der Zentralbanken dafür sorgen können, die Probleme auf den Geldmärkten zu überwinden.
Sehen Sie noch weitere Unterschiede?
Im Moment erleben wir eine wahrhaft globale Krise: Das Virus hat innerhalb weniger Wochen alle Weltteile betroffen. Das ist anders als zum Beispiel bei der Weltwirtschaftskrise in den späten 1920er und 1930er Jahren, die sich langsamer ausbreitete, oder bei der globalen Finanzkrise, die viele Schwellenländer weitaus weniger erfasste als Europa und Nordamerika.
Sie sind Chinabeauftragter an der Universität und haben sich in Ihrer Forschung eingehend mit Chinas ökonomischer Entwicklung beschäftigt. Wie wird sich die Corona-Pandemie dort langfristig auswirken?
Schon seit längerem ist China als Produktionsstandort für europäische Unternehmen weniger attraktiv, weil dort die Arbeitskosten stark angestiegen sind. Wenn jetzt zusätzlich strenge Hygiene- und Quarantänevorschriften eingehalten werden müssen und es komplizierter wird, sich mit Partnern vor Ort auszutauschen, werden manche Unternehmen sicherlich doppelt prüfen, ob sie weiterhin in China produzieren wollen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. In vielen Bereichen, etwa bei der E-Mobilität, dringt China immer weiter an die Weltspitze vor. Europäische wie auch amerikanische Unternehmen sind in Zukunft auf technologische Zusammenarbeit angewiesen. Wenn Donald Trump jetzt China die Schuld an der Pandemie gibt und womöglich Sanktionen erheben will, schadet er damit letztlich der heimischen Wirtschaft.
Wenn schon vermeintlich reiche Industrieländer mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben, wie sieht dann die Situation in den Entwicklungsländern aus?
Hier werden die langfristigen Schäden immens sein. Man konnte bereits bei der AIDS-Pandemie beobachten, dass Länder wie Botswana oder Südafrika, die sich eigentlich wirtschaftlich gut entwickelt hatten, um viele Jahre zurückgeworfen wurden. Ich fürchte, durch Corona wird Ähnliches passieren, besonders im Kongo und anderen Teilen Zentralafrikas, in denen die politische und wirtschaftliche Lage ohnehin schon prekär ist.
Was kann die Weltgemeinschaft dagegen tun?
Ein Schuldenmoratorium der G20-Staaten gegenüber den 77 ärmsten Ländern der Welt ist ja schon beschlossen worden. Das ist sicherlich sinnvoll, aber meines Erachtens nur ein Eingeständnis der Realität. Viel wichtiger ist es, dass Menschen in Entwicklungsländern Zugang zu medizinischer Hilfe bekommen. In Ländern wie dem Kongo ist das schwierig – medizinische und wirtschaftliche Hilfen versickern schnell in korrupten Kanälen. Trotzdem sind die Geberländer hier in der Pflicht, medizinische Ressourcen nicht nur für sich zu sichern, sondern auch die Entwicklungsländer im Blick zu behalten.
Viele Länder scheinen aber im Moment eher auf sich selbst zu schauen…
Das stimmt leider. Dabei kann die Welt eine globale Herausforderung wie eine Pandemie nur dann überwinden, wenn alle zusammenarbeiten. Was die Solidarität innerhalb Europas angeht, bin ich aber vorsichtig optimistisch – da hat meiner Meinung nach die Eurokrise zu einem Umdenken geführt.
Was ist heute anders als damals?
Im Zuge der Finanz- und Eurokrise waren viele und insbesondere deutsche Politiker noch sehr zurückhaltend, was den Umgang mit Schulden anging: Inmitten der Krise plädierten sie für Schuldenbremsen und gegen Transfers in andere EU-Staaten. Länder wie Griechenland wurden aufgefordert, erst einmal solide zu wirtschaften, bevor man Hilfe leistet. Wenn aber das gemeinsame Haus brennt, muss man erst einmal löschen. Anders gesagt: Ich halte es für schädlich, in der Krise noch sparen zu wollen. Tatsächlich sind ja schnell Soforthilfen beschlossen worden – nicht nur rückzahlbare Kredite, sondern auch Transferleistungen. Das sorgt für mehr Sicherheit.
Kritiker fürchten aber, dass es zu einer Inflation kommen könnte.
Diese Sorge wird immer wieder laut, wenn staatlicherseits und von Seiten der Zentralbanken Hilfen versprochen werden – so zuletzt bei der globalen Finanzkrise. Doch weder ist es damals zu einer Inflationswelle gekommen, noch glaube ich, dass das jetzt passieren wird. Solange staatliche Gelder und Liquiditätshilfen der Zentralbanken private Kredite ersetzen und keine zusätzlichen Gelder in die Wirtschaftssysteme schleusen, sehe ich keine Inflationsgefahr. Insgesamt halte ich eine Deflation sogar für wahrscheinlicher.
Was könnte denn eine Deflation begünstigen?
Denken Sie zum Beispiel an den Immobilienmarkt. Vor der Krise ist sehr viel gebaut worden, auch als Reaktion auf Mietpreissteigerungen in den Städten. Wenn aber Unternehmen entweder insolvent gehen oder sich restrukturieren, werden viele dieser neuen Gebäude, etwa Büros oder Lagerhallen, weniger gebraucht und nur zu geringeren Preisen genutzt. Ähnliche Entwicklungen gibt es in der Automobilindustrie – daher die Forderung nach Kaufprämien.
Weniger Mobilität, Verlagerung von Produktionsstandorten, das alles vor dem Hintergrund eines immer stärker werdenden Nationalismus in vielen Ländern Europas – viele sprechen schon von einer neuen Ära der Deglobalisierung. Was denken Sie?
Ich würde weniger von Deglobalisierung sprechen, eher von einer Verlangsamung des bisherigen Trends. In den 1990er Jahren haben wir eine Hyperglobalisierung erlebt: Osteuropa wurde in die Weltwirtschaft mit einbezogen, China hat sich geöffnet, ebenso wie Lateinamerika. Das hat das Arbeitsangebot auf dem Weltmarkt auf einem Schlag um ein Drittel erhöht. Das Wachstum des Welthandels hat sich aber schon vor der Corona-Krise verlangsamt. China zum Beispiel ist aufgrund steigenden Wohlstands weniger auf ausländische Aufträge angewiesen und produziert nun mehr für den Inlandsmarkt. Das mag auf den ersten Blick aussehen wie Deglobalisierung, ich würde es aber eher als Umstrukturierung bezeichnen.
Interview: Iria Sorge-Röder