Innovative Technologien können das Radfahren sicherer, attraktiver und bequemer machen. In einem EU-Projekt untersuchen Oldenburger Wirtschaftsinformatiker, welche Lösungen am besten funktionieren.
Ampeln sind für viele Radfahrer ein Ärgernis. Im Stadtverkehr müssen Zweiradfahrer häufig alle paar Meter an einer Kreuzung anhalten, während die Autos nebenan auf der Straße ohne lästige Stopps weiterkommen. Bereits seit den 1980er Jahren wird der motorisierte Verkehr in Deutschland durch elektronische Systeme geregelt, die zunehmend intelligenter werden. Je nach Tageszeit und Verkehrslage schalten die Ampelanlagen so, dass der Verkehr möglichst ungestört fließt.
So genannte Intelligente Transportsysteme (ITS) könnten auch das Radfahren attraktiver machen. Zu diesen Technologien, die manchmal auch unter dem Begriff „Smart Cycling“ zusammengefasst werden, zählen neben intelligenten Ampelschaltungen zum Beispiel Assistenzsysteme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, Verkehrsleitsysteme oder Netzwerke von Sensoren, die untereinander Daten austauschen. „Einzelne europäische Städte und Regionen erproben bereits verschiedene dieser intelligenten Systeme, aber es ist schwierig, ihren Nutzen zu ermitteln. Denn Daten zum Verhalten von Fahrradfahrern gibt es bislang kaum“, berichtet Prof. Dr. Jorge Marx Gómez, Leiter der Abteilung Wirtschaftsinformatik/Very Large Business Applications (VLBA) der Universität Oldenburg.
Verkehrspolitik für Radfahrer
Der Forscher und sein Team arbeiten seit einigen Monaten daran, dieses Manko zu beheben: Sie entwickeln eine Datenmanagementplattform namens CycleDataHub, die neue und bereits vorhandene Fahrraddaten aus unterschiedlichen Quellen aufbereitet, visualisiert und für verschiedene Nutzer bereitstellt. Die Plattform soll etwa Zähldaten, Informationen zum Radwegenetz, zu Unfällen, Grünphasen und zum Aufkommen des Radverkehrs enthalten. Diese Daten sollen zum Beispiel Verkehrsplanern helfen, die Bedürfnisse von Radfahrern besser zu verstehen – damit sich die Verkehrspolitik entsprechend anpassen kann.
Das Vorhaben der Oldenburger Wirtschaftsinformatiker ist Teil des EU-Projekts „Bicycles and Intelligent Transport Systems“ (BITS), an dem neben der Universität Oldenburg auch die Hochschule VIVES in Belgien, sechs Städte und Regionen in den Niederlanden, Belgien, Dänemark und Großbritannien sowie die Firma baron mobility GmbH (mein-dienstrad.de) aus Oldenburg und der Verband Cycling Industries Europe beteiligt sind. BITS wird durch das Interreg Nordseeprogramm seit Anfang 2019 für drei Jahre mit insgesamt rund fünf Millionen Euro gefördert. Die Projektleitung liegt bei der niederländischen Provinz Overijssel.
Schnellweg in die Innenstadt
Ziel des Gesamtprojekts ist es, die Fahrradnutzung in den Projektregionen um zehn Prozent zu erhöhen und gleichzeitig die CO2-Emissionen entsprechend zu senken. „Das Konsortium will vorbildliche Beispiele aus dem Bereich Smart Cycling identifizieren und diese Lösungen dann in die anderen Länder übertragen“, erläutert Marx Gómez. Die Unterschiede zwischen den Regionen sind erheblich: Die Provinz Overijssel mit ihrer Hauptstadt Zwolle gilt beispielsweise als eine der fahrradfreundlichsten Regionen in den ohnehin fahrradfreundlichen Niederlanden. Radfahrer gelangen dort auf Schnellwegen ungehindert in die Innenstadt, Kreuzungen mit verkehrsreichen Straßen werden durch Brücken und Unterführungen vermieden. An vielen Ampelanlagen haben Radfahrer Vorrang. Fahrten mit dem Rad machen in Zwolle etwa die Hälfte des gesamten Verkehrs aus. Zum Vergleich: Im Bezirk East Riding of Yorkshire in England, der ebenfalls Projektpartner bei BITS ist, steigen zwar mehr Menschen aufs Rad als in umliegenden Gebieten Nordenglands, der Anteil ist aber dennoch gering: Gerade mal elf Prozent der Einwohner nutzen ihren Drahtesel mindestens einmal pro Woche.
Ein Beispiel dafür, wie sich Daten zum Radverkehr nutzen lassen, ist die an BITS beteiligte Stadt Antwerpen. Dort wird die Fahrradmobilität bereits seit einiger Zeit genau erfasst. Mobile und stationäre Zählschleifen messen das Verkehrsaufkommen auf den wichtigsten Radstrecken, an einigen Kreuzungen sollen Kameras die Radler demnächst zusätzlich genauer beobachten, um mehr Informationen über ihr Verhalten zu gewinnen.
Mehr Sicherheit durch Sensoren
Das Ergebnis dieser Messungen ist das „Fietsbarometer“, eine Web-Applikation, die auf einer Karte aktuelle Informationen über das Radwegenetz der belgischen Stadt liefert – von der Art des Straßenbelags über Unfallschwerpunkte bis hin zu Fahrradparkplätzen. Für Verkehrsplaner, aber auch für die Radfahrer selbst liefert das Fietsbarometer wertvolle Informationen. Die Oldenburger Wirtschaftsinformatiker arbeiten nun daran, diese und andere Anwendungen in den CycleDataHub zu integrieren. „Eine wichtige Aufgabe wird es zunächst sein, im Projekt ein gemeinsames Verständnis von Fahrraddaten zu entwickeln, um bessere Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen“, erläutert Projektmitarbeiter Johannes Schering. Der Forscher hat bereits ein Konzept dazu entwickelt, wie die gesammelten Informationen datenschutzkonform gespeichert und genutzt werden können.
Im weiteren Verlauf des Projekts sollen weitere innovative Technologien auf den Prüfstand kommen, etwa Navigationssysteme, Sensoren, die Strecken- und Umgebungsdaten erfassen, und Zählsysteme. Oder auch Abstandssensoren, die ein Signal abgeben, wenn ein Auto einem Radfahrer zu nahe kommt. Diese Vorrichtungen sollen die Sicherheit der Radler verbessern.
Auch der Frage, wie sich lästige Ampelstopps durch intelligente Technik vermeiden lassen, wird in BITS untersucht. Die Stadt Zwolle plant eine Art grüne Welle für Radfahrer – dort sollen Smartphone-Apps mit Ampeln kommunizieren, um Radfahrern außerhalb der Stoßzeiten eine ungehinderte Fahrt zu verschaffen.