In einer Seminararbeit haben sich zwei Studentinnen auf die Spur einer ungewöhnlichen Pflanzensammlung des Landesmuseums für Natur und Mensch begeben – und ihre erste wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht.
Sie sind nur wenige Zentimeter groß, getrocknet und verblichen – aber dennoch erkennbar: 25 Pflanzen aus den Alpen, säuberlich auf kleine Papierbögen aufgezogen und in einer kleinen Kiste verwahrt. „Die Sammlung ist mir gleich aufgefallen, weil die darin enthaltenen Pflanzen so klein sind, und sie anders aussieht als wissenschaftliche Herbarien“, sagt Dr. Maria Will.
Die Biologin, die am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität forscht und lehrt, hatte das Kleinod – die Seiten sind nur etwa halb so groß wie ein Taschentuch – in ihrer Zeit als wissenschaftliche Volontärin am Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg (LMNM) aufgestöbert. Sie musste daher nicht lange grübeln, als sie nach einer Aufgabe für eine Abschlussarbeit suchte, die Studierende im Seminar „Lernen an Dingen – Universitätssammlungen als Lehr- und Lerngegenstände“ anfertigen sollten. Die noch unerforschte „Flora Alpina“ gab reichlich Rätsel auf: Warum war das Herbarium so winzig? Wer hatte es gesammelt? Und wem gehörte es?
„In unserem Seminar lernen die Studierenden, wie wissenschaftliche Sammlungen entstehen und wofür sie eigentlich gut sind“, erläutert Will. „Die Studierenden üben aber auch praktisch, wie man ein Objekt wissenschaftlich beschreibt, wie man es aufbewahren und konservieren sollte. Und wir fragen danach, welche unterschiedlichen Themen wir mit einem bestimmten Objekt vermitteln könnten“, ergänzt sie.
Bewusst kleine Exemplare gesammelt?
Für die Aufgabe, sich unter diesen Blickwinkeln näher mit der „Flora Alpina“ zu beschäftigen, fanden sich im Sommer 2018 schnell zwei Kandidatinnen: Nele Charzinski und Annika Halfter, die beide inzwischen im Master Biologie studieren. „Maria hat uns mitgerissen mit ihrem Enthusiasmus und der Frage danach, was das Besondere an dem Herbarium ist“, sagt Charzinski.
Um die Sammlung fachlich korrekt zu beschreiben, bestimmten die Studentinnen zunächst jede enthaltene Art mit botanischer Fachliteratur. Ein mühsames Unterfangen: „Wir hatten ja nur die getrockneten Belege in der Hand“, berichtet Halfter. Und diese liefert deutlich weniger Hinweise auf ihre Herkunft als eine frische Pflanze, weil beispielsweise der typische Duft fehlt oder die Blütenfarbe nur noch schwer erkennbar ist. Mit Hilfe von digitalen, hochaufgelösten Bildern, die sie selbst anfertigten, konnten Charzinski und Halfter jedoch so gut wie alle Arten schließlich nachbestimmen.
Danach erst versuchten die Studentinnen zu ergründen, was es mit dem Herbarium en miniature auf sich hat. Aus Sicht der jungen Forscherinnen kamen hierfür verschiedene Gründe infrage – etwa eine bestimmte Ästhetik oder auch der Wunsch, Material und Platz zu sparen. Tatsächlich zeigten Vergleiche mit Literaturdaten und ähnlichen Herbarien, dass die Exemplare der Sammlung deutlich kleiner sind, als die Pflanzen im Durchschnitt an ihren Fundorten in den Schweizer Alpen werden. „Wir vermuten daher, dass jemand bewusst besonders kleine Exemplare gesammelt hat, um eine Art ästhetisches Mini-Herbarium zu gestalten – ohne besonderen wissenschaftlichen Anspruch“, sagt Halfter.
Artenschutz und Verlust der biologischen Vielfalt kommunizieren
Dem Alter und der Herkunft der Sammlung kamen Studierende und Dozentin schließlich gemeinsam auf die Spur. So stöberten sie in einer Internet-Recherche drei ähnliche Herbarien in Online-Antiquariaten und Auktionshäusern auf. Sie schätzten schließlich, dass die Oldenburger „Flora Alpina“ älter als 160 Jahre sein muss. „Zudem deuten die gedruckten Etiketten darauf hin, dass die Sammlung ein Souvenir ist, das jemand aus einem Urlaub mitgebracht haben könnte“, ergänzt Charzinski.
Ihre Erkenntnisse fassten die Studentinnen mit Hilfe ihrer Dozentin in einem Bericht zusammen – und veröffentlichten ihn kürzlich im Museumsjournal des LMNM. „Es ist schon etwas Besonderes, dass die Studentinnen so eng mit dem Museum zusammenarbeiten konnten und sogar eine erste Publikation verfasst haben“, sagt Will. Erst nach dieser Arbeit stellte sich dank eines weiteren Projekts ein kleines, aber wichtiges Detail heraus: Das Herbarium stammt sehr wahrscheinlich aus dem Besitz einer Großherzogin von Oldenburg. Im Jahr 1877 vermerkt das Museum in seinem Zugangsbuch die Schenkung einer „Collection Gebirgsarten“. „Das macht die kleine Sammlung natürlich noch wertvoller“, betont Will.
Für die Biologie-Dozentin hat die Arbeit der Studierenden gezeigt, welchen Wert historische Herbarien haben: „Viele der Arten der „Flora Alpina“, wie beispielsweise das Alpen-Edelweiß, sind heute selten geworden“, erläutert sie. „Mit der Sammlung können wir auch Themen wie Artenschutz und den Verlust der biologischen Vielfalt dokumentieren und kommunizieren.“