Er hat sich der nachhaltigen Entwicklung verschrieben – und das auf vielen Ebenen: Bernd Siebenhüner. Der Professor für Ökologische Ökonomie befasst sich mit „planetaren Grenzen“ und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Sein Ziel: eine lebenswerte, nachhaltige, soziale und ökologische Zukunft zu gestalten.
Die Berge an der einen Wand, das Meer an der anderen: Allein die Bildmotive in Bernd Siebenhüners Büro erzählen eine Geschichte über einen Forscher, der sich in keine Schublade stecken lässt. Der Oldenburger Professor für Ökologische Ökonomie arbeitet in verschiedenen Nachhaltigkeits-Projekten, koordiniert sie, leitet oder stößt sie an. Das Spektrum reicht von kollektiven Lernprozessen und Klimaanpassung über internationale Umweltpolitik, nachhaltige Landwirtschaft in Afrika und Bildung für Nachhaltige Entwicklung bis hin zu Partizipationsprozessen zur Umsetzung von Nachhaltigkeit.
Für diesen bunten Strauß aus Forschungsschwerpunkten formuliert Siebenhüner Transdisziplinarität als zentrales Motiv seiner Arbeit. „Meine Forschung ist lösungsorientiert, geht sozialökologische Probleme an und entwickelt nachhaltige Lösungen in Zusammenarbeit mit den Praxisakteuren.“ Darin sieht Siebenhüner die größte Herausforderung und zugleich die größte Befriedigung: Forschung, die von Anfang an darauf ausgerichtet ist, nah am Geschehen dran zu sein, um die globalen Herausforderungen zu stemmen.
Kreative Köpfe, flache Hierarchien
Der gebürtige Delmenhorster, der in Berlin aufgewachsen ist und Politikwissenschaft sowie Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin studiert hat, kam 2002 als Juniorprofessor für Ökologische Ökonomie aus Halle nach Oldenburg, um die Forschernachwuchsgruppe „Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit“ zu leiten. „Als Reformuniversität hatte Oldenburg schon damals einen sehr guten Ruf: Viele kreative Köpfe in den Wirtschaftswissenschaften, Umweltforschung als Schwerpunkt, flache Hierarchien, offene Türen. Das hat mich gelockt. Und ich konnte Projekte realisieren, die ich als Juniorprofessor in Halle niemals hätte umsetzen können, beispielsweise einen neuen Nachhaltigkeits-Studiengang gestalten“, sagt der ökologische Ökonom. In Oldenburg war dies möglich: 2006 ging der Masterstudiengang Sustainability Economics and Management an den Start.
Damals arbeitete Siebenhüner parallel als Gastwissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): „Ich bekam die Möglichkeit, an beiden Einrichtungen Nachwuchsgruppen zu leiten. Und – wie ich es häufig mache, wenn ich mich nicht entscheiden kann – ich nahm beide Angebote an.“ Von 2002 bis 2005 war er in der Doppelfunktion in Potsdam und Oldenburg im Einsatz: „Das war eine spannende Zeit, da der Klimadiskurs in der außeruniversitären Forschung anders geführt wurde als an der Hochschule.“ Auch Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber – einer der renommiertesten Klimaforscher weltweit und langjähriger PIK-Direktor – schaute damals bei dem Juniorprofessor vorbei: „Und, welche Fragen treiben die Oldenburger gerade um?“, erkundigte sich Schellnhuber. Er selbst hat seine akademischen Wurzeln in Oldenburg, habilitierte sich an der Uni und war 1992 Direktor am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM).
Austausch mit Studierenden als Motivation
Am Ende entscheid sich der „Berliner Junge“ Siebenhüner für Oldenburg und für die Universität: „Der Austausch mit anderen Disziplinen ergibt eine größere Buntheit im Nachhaltigkeitsdiskurs als in einem außeruniversitären Forschungsinstitut, das thematisch fokussiert ist.“ Ein weiterer Pluspunkt der Universität: „Ich liebe den Austausch mit den Studierenden, weil sie so oft hochmotiviert Dinge anschieben und umsetzen. Dabei lerne ich selbst viel“, erzählt der 52-Jährige. Durch Anregung von Studierenden sei beispielsweise die Scientists for Future-Gruppe in Oldenburg entstanden, die Siebenhüner mit koordiniert. Das Anliegen der Gruppe ist es, das Thema Klimaschutz an der Universität zu stärken und das Bewusstsein für die Klimakrise auch in der Gesamtbevölkerung zu schärfen.
Andersherum ist es Siebenhüner wichtig, Studierenden Angebote zu machen, um „sie ins Boot zu holen“. Der Nachhaltigkeitsbericht der Uni sei dafür ein gutes Beispiel. Der ist unter seiner Leitung 2021 zum dritten Mal erschienen. Erstellt haben ihn 20 Studierende aus unterschiedlichen Masterstudiengängen. Die Bilanz: Die Universität hat ihre direkten Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Vorbericht um fast 70 Prozent reduziert. „Das liegt vor allem daran, dass die Universität auf Ökostrom umgestellt hat. Damit wirkt sie als Signalgeber auf andere große Einrichtungen und Arbeitgeber in der Region. Solche Entscheidungen können am Ende den Markt beeinflussen“, erklärt der Politologe und Volkswirt.
Wirtschaften im Rahmen der planetaren Grenzen
Der Nachhaltigkeitsgedanke bildet die Klammer für Siebenhüners akademisches Wirken und Schaffen. Für den Wissenschaftler steht fest, dass die Gesellschaft ein Wirtschaftssystem benötigt, das die Gegebenheiten und Funktionsfähigkeit der Ökosysteme als Grundlage ansieht und die Bedürfnisse der Menschen befriedigt. „Wirtschaften im Rahmen der planetaren Grenzen nennen wir diese Formel des nachhaltigen Wirtschaftens im ökologischen Sinne“, erklärt Siebenhüner.
Während die traditionelle Ökonomie die These vertritt, dass das Wirtschaften dafür da ist, die Bedürfnisse von Menschen bestmöglich zu befriedigen, den Nutzen zu maximieren und dabei andere Systeme wie Natur, Klima und Umwelt eher nur als Zuträger sieht, dreht die ökologische Ökonomie den Denkansatz um: Die Gesellschaft ist in verschiedene ökologische Systeme eingebettet, das Wirtschaften ist nur ein Instrument und nicht oberstes Ziel.
Aber wie nachhaltig sieht eigentlich das private Leben eines Menschen aus, der sich beruflich für nachhaltiges Wirtschaften einsetzt? „Eine wichtige Frage“, findet Siebenhüner, die sich jeder, der im Nachhaltigkeitsdiskurs unterwegs ist, stellen sollte: „Setzen wir das, was wir lehren oder woran wir forschen, auch privat um?“ Siebenhüner versucht es – die Stadt Oldenburg bietet ihm eine gute Ausgangslage, um den ökologischen Rucksack möglichst klein zu halten. Der dreifache Familienvater besitzt beispielsweise kein Auto: „Kurze Wege, alles per Rad oder zu Fuß: Ich genieße es, hier zu leben“, sagt Bernd Siebenhüner.
Er ist davon überzeugt, dass die Universität Oldenburg mit Blick auf eine nachhaltige Gesellschaft längst eine Vorreiterrolle einnimmt. Diese Rolle gelte es weiter zu entwickeln – die Uni solle zum Zukunftsmodell für die Gesellschaft werden. „Wir müssen Vordenker sein, als Treiber in der lokalen Gesellschaft funktionieren, um damit Lösungen in der Stadt und der Region voranzutreiben.“
Konkrete Lösungen für Oldenburg
Konkrete Lösungen für die Stadt sucht Siebenhüner bereits auf dem ehemaligen Militärgelände Fliegerhorst in Oldenburg: Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Energetisches Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst Oldenburg“ (ENaQ) hat zum Ziel, bis 2023 ein klimaneutrales Wohnquartier zu erschaffen, das Modellcharakter haben und Konzepte für künftige Smart Cities liefern soll. Das Vorhaben konzentriert sich auf die Bereiche Technik, Digitalisierung und Partizipation.
Ein Gedanke liegt Siebenhüner nicht nur bei ENaQ besonders am Herzen: „Es gibt bereits großartige technische Errungenschaften, aber solange es nicht gelingt, die Menschen von der Technik zu überzeugen, werden sich diese Neuerungen nicht durchsetzen.“ Für ein funktionierendes Gesellschaftssystem, das innerhalb der planetaren Grenzen wirtschaftet, brauche es sowohl technische Veränderungen als auch Verhaltensänderungen. „Aber das funktioniert nur zusammen“, so Siebenhüner.
Umso wichtiger sei es, Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt des Projekts zu stellen. Nur so könne ein klimaneutrales Wohnquartier entstehen, das den Bedürfnissen, Wünschen und Interessen der Beteiligten entspricht. „Es ist Riesengeschenk, ein solches Quartier mitgestalten zu dürfen“, so Siebenhüner.
Afrika: Ein starker Partner
Aber der ökologische Ökonom sucht nicht nur nachhaltige Lösungen vor Ort – sondern auch auf anderen Kontinenten. „Über die Kooperationen der Uni Oldenburg mit Süd- und Ostafrika habe ich den afrikanischen Kontinent kennen und lieben gelernt. Ich habe in den Projekten gesehen, wie viel es zu tun gibt, um die Probleme vor Ort anzugehen“, sagt Siebenhüner. Er verwehrt sich allerdings gegen den veralteten Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit, anderen Ländern die eigenen Vorstellungen überstülpen zu wollen. „Das Denken hat sich verändert: Es ist ein Miteinander geworden, denn wir sitzen alle in einem Boot, wenn es um die UN-Nachhaltigkeitsziele geht. Und deshalb brauchen wir afrikanische Partner auf Augenhöhe“, sagt der ehemalige Vizepräsident der Uni Oldenburg, der von Oktober 2014 bis März 2015 an der südafrikanischen Nelson Mandela University in Port Elizabeth gearbeitet hat.
Die Hochschule war – neben der University of Dar es Salaam in Tansania – maßgeblich am Projekt „Ökosystem-basierte Lösung für resiliente städtische Landwirtschaft in Afrika“ (ECOSOLA) beteiligt, das Siebenhüner koordinierte und in dem es unter anderem um die sichere Versorgung mit Lebensmitteln ging. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten, wie sich Urbanisierung, Wohnen, Ernährungssicherheit, Verfügbarkeit von Bioenergie und Infrastruktur nachhaltig gestalten lassen, ohne das Ökosystem zu übernutzen. Als Reallabor diente eine ländlich geprägte Gemeinde in der Küstenregion von Tansania in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadtrand von Dar es Salaam. Siebenhüners Arbeitsgruppe „Ökologische Ökonomie“ und die Arbeitsgruppe „Landschaftsökologie“ des Ökologen Prof. Dr. Michael Kleyer haben in dem dreijährigen Projekt, das 2021 endete, eng mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet.
Nachhaltigkeitsziel der UN: „Gute Bildung für alle“
Ein weiteres Herzensprojekt von Siebenhüner ist das Center of Excellence for Educational Research Methodologies and Management (CERM-ESA) an der Moi University im Westen Kenias. Siebenhüner hat es 2014 mit auf den Weg gebracht, mittlerweile trägt es Früchte. Es widmet sich der Modernisierung des Bildungssystems in den Regionen Ost- und Südafrika. „Bildung hat das Potenzial, die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals, zu stärken. Dadurch können wir ökologische, soziale und ökonomische Ziele effektiv vorantreiben“, erklärt Siebenhüner. Was ihn besonders überzeugt: Fünf Hochschulen aus Deutschland und Afrika geben gemeinsam Impulse für eine zukunftsorientierte Bildungskultur: „Und wir lernen dabei alle voneinander.“