John Cage, revolutionärer Erneuerer der modernen Musik, hat am 5. September seinen 100. Geburtstag. Das Institut für Musik veranstaltet an diesem Tag ein Cage-Konzert. Christiane Abt und Prof. Dr. Lars Oberhaus über Cages Schaffen, seine Besuche in Oldenburg und das Konzert.
FRAGE: Frau Abt, Herr Oberhaus, wie kaum ein anderer Komponist steht Cage für die radikale Erneuerung der zeitgenössischen klassischen Musik. Was sind seine Errungenschaften?
LARS OBERHAUS: John Cage war nicht nur Komponist, sondern Maler, Schriftsteller und Erfinder. Er brachte viele innovative Ideen in die zeitgenössische Musik ein, die heutzutage selbstverständlich sind. Dazu gehören elektronische oder präparierte Instrumente sowie die Einbeziehung von Alltagsmaterialien als Klangerzeuger. Seine interdisziplinären Aspekte spiegeln sich permanent in seinem Werk wider – wenn er beispielsweise mit dem Zufall oder der Stille als Kompositionsprinzip arbeitet. Cages erweiterter Musikbegriff umfasst die Idee, dass alles, was erklingt, Musik sein kann.
FRAGE: Zu Cages bekanntesten Werken zählt wohl 4’33’’. Ein Stück, indem kein Ton erklingt. Für viele war dies reine Provokation.
CHRISTIANE ABT: Das Stück ist provokant, da es in radikaler Weise mit der traditionellen Vorstellung von Musik bricht. Wir gehen davon aus, dass bei Musik etwas erklingen, dass der Musiker besondere künstlerische Fähigkeiten haben muss. Doch bei 4’33’’ öffnet und schließt der Pianist „nur“ den Deckel des Flügels. Und darin liegt das Innovative des Stücks: Die Stille bzw. die erklingende Umwelt wird als gleichberechtigter Partner vom Ton/Klang/Geräusch berücksichtigt.
OBERHAUS: Erwähnenswert ist zudem, dass Cage trotz aller Radikalität an die musikalische Tradition anknüpft. Er komponierte das Stück in drei Sätzen und notierte zwischen diesen das Wort „tacet“; eine durchaus übliche Notationsweise für Orchestermusiker, die eine längere Zeit „nichts“ zu musizieren haben.
FRAGE: Was ist für Sie persönlich das Faszinierende an Cage?
OBERHAUS: Mich beeindrucken Cages Erfindergeist und seine Weitsicht in die Musik der Zukunft. Dazu gehören auch sein Humor und die Selbstverständlichkeit, in Gelassenheit ungewohnte musikalische Pfade zu beschreiten.
ABT: Mich faszinieren ebenfalls seine ungewohnten künstlerischen Wege, die er einschlägt, um die Erweiterung der Wahrnehmung zu erreichen. Auch seine Ideen zur Auflösung des traditionellen Konzertbetriebs und zum Übergang der Künste finde ich äußerst inspirierend.
FRAGE: John Cage war öfters zu Gast in Oldenburg und gab Konzerte am Institut für Musik. Wie kam es dazu?
ABT: Die Verbindung zwischen Oldenburg und John Cage wäre ohne Dr. Gertrud Meyer- Denkmann, ehemalige Dozentin am Institut für Musik und erste Ehrendoktorin der Universität, nicht vorstellbar. Sie stand mit Cage in Kontakt und setzte sich unermüdlich in ihren Seminaren und Konzerten für sein Werk ein. Meyer-Denkmann lernte Cage auf Kompositions-Workshops kennen und lud ihn nach Oldenburg ein. 1963 gab er ein Konzert im Oldenburger Schlosssaal. 1982 besuchte er sogar ein Frühstück mit Studierenden und Lehrenden im Kammermusiksaal. Dort und in den benachbarten Räumen findet auch das Konzert und der Workshop statt.
FRAGE: Bei dem Konzert führen Studierende und Lehrende des Instituts sowie Oldenburger Musiker in mehreren Räumen gleichzeitig Cage Kompositionen auf. Verfolgen Sie ein bestimmtes Konzept?
OBERHAUS: Wir übertragen ein Konzept, das Cage in seinen Kompositionen verwendet, auf das Konzertprogramm: So genannte Timebrackets symbolisieren variable Zeitdauern, in denen die Stücke aufgeführt werden können. Die Stücke erklingen simultan, so dass der Zuhörer selbst entscheidet, was er hören möchte.
ABT: Die Auswahl der Kompositionen orientiert sich am Machbaren – so führen beispielsweise Studierende Stücke für das Präparierte Klavier auf. Außerdem informieren Medien, Stellwände und Klanginstallationen über Cages Schaffen, seinen Freundeskreis und seine „Philosophie“. Wir bieten sogar makrobiotische Kost an – Cage hat sich ja nur makrobiotisch ernährt.
FRAGE: Einen Tag nach dem Konzert veranstalteten Sie den Workshop „Cage-Kosmos“. Dort vermitteln sie Grundschülern das vielseitige Schaffen von Cage. Mit Verlaub: Schon Erwachsene finden oftmals keinen Zugang zu seinen Werken – wie sollen Grundschüler das hinbekommen?
OBERHAUS: Grundschüler sind, was den experimentellen Umgang mit Instrumenten oder Stimme betrifft, weitaus offener als Jugendliche, die bereits konkrete Hörgewohnheiten oder Spielerfahrungen besitzen. Auch wenn der philosophische Kontext der Werke von John Cage sicher nicht im Zentrum des Workshops stehen kann, bietet er Möglichkeiten, mit ungewöhnlichen Klängen und Musizierweisen a la Cage zu experimentieren. Dabei sind große musikalische Vorkenntnisse oftmals nicht nötig. Zudem haben Studien gezeigt, dass durch den frühen Umgang mit „Klangexperimenten“ ein Schlüssel für die „Offenohrigkeit“ gegenüber zeitgenössischer Musik im späteren Lebensalter liegen kann.
FRAGE: Zur Vorbereitung auf das Konzert: Welche Cage-Komposition empfehlen sie dem Laien zum Einstieg?
ABT: Es gibt keine verbindlichen Empfehlungen, da die Werke von Cage sehr unterschiedlich sind und auch unterschiedliche Hörertypen ansprechen. Der Laie sollte eher Neugier und Offenheit für Neues mitbringen.
OBERHAUS: Sicherlich ist die Auseinandersetzung mit dem Leben von Cage und seiner „Philosophie“ sowie mit seinem Umfeld und Vorbildern – Satie, Cunningham, Rauschenberg – ein guter Einstieg. Hierzu empfehle ich Cages Buch „Silence“ oder Peter Greenaways Film „Cage".
Weitere Informationen: Das Konzert "Cage 100" findet am Mittwoch, 5. September, im Kammermusiksaal (Campus Haarentor, Gebäude A11) der Universität Oldenburg statt. Einen Tag später, Donnerstag, 6. September, präsentieren die Teilnehmer des Workshops "Cage Cosmos" um 11.00 Uhr, im Kammermusiksaal ihre Kompositionen. Der Eintritt zu beiden Veranstaltungen ist frei.