Die Corona-Krise trifft alle an der Universität. Die meisten Gebäude sind geschlossen, die Prüfungen sind abgesagt, der Start des Sommersemesters ist verschoben. Im Gespräch erläutert Wilfried Schumann, Leiter des Psychologischen Beratungsservices der Uni, was dies vor allem für Studierende bedeutet – und wie wir mit der Krise umgehen können.
Herr Schumann, welche Folgen hat die Lage aus Ihrer Sicht konkret für die Studierenden?
Für die Studierende ist eine sehr besondere Situation entstanden: Termine wie Prüfungen oder Abgabe-Deadlines, auf die sie hingearbeitet haben, sind geplatzt. Für manche, die vorher massiv unter Stress gestanden haben, bedeutet das tatsächlich Entspannung. Sie genießen vielleicht, dass der Zeitdruck weg ist. Für andere bedeutet die Situation aber etwas ganz anderes: Sie verlieren die Motivation, da das Ziel, auf das sie hingearbeitet haben, nicht mehr erkennbar ist. Auf etwas hinzuarbeiten, bindet ja auch Kräfte. Und vielleicht hatten die Studierenden hinterher etwas vor, mit dem sie sich belohnen wollten. Das gibt es jetzt nicht mehr. Viele fragen sich: Wie gehe ich mit dieser Situation um? Lohnt es sich, sich vorzubereiten, wenn man gar nicht weiß, wann die Prüfung kommt?
Das heißt, das Schwierige ist eigentlich die Ungewissheit…
Ja, mit einem so großen Maß an Unsicherheit umgehen zu müssen, ist für die heutige Studierendengeneration noch nicht vorgekommen aber auch für uns ältere nicht. Das ist eine Erschütterung. Wir Menschen haben aber gerne Kontrolle, streben nach Sicherheit und wollen planen. Doch in dieser Situation ist das, was uns Menschen ausmacht, nämlich gestalten zu wollen, erstmal ausgehebelt. Es geht darum, dies zu akzeptieren, mit allen Gefühlen, die damit einhergehen – Wut, Frustration, Ohnmacht, Angst oder Panik – je nachdem, wie man selbst gestrickt ist. Wir müssen einen Weg finden, mit der Situation umzugehen, und dürfen uns nicht daran aufreiben, dass wir die Lage nicht ändern können. Wichtig ist es, unser Bewusstsein immer wieder auf das Hier und Jetzt zu fokussieren und sich nicht ständig in Worst-Case-Szenarien zu bewegen.
Wie können sich Studierende denn in dieser Situation ganz praktisch motivieren?
Jetzt weiter etwas für das Studium zu tun, kann psychisch stabilisieren, weil man sich damit einen Teil von Normalität bewahrt und mit seinem Handeln etwas bewirken kann. In der aktuellen Situation raten wir, das zu intensivieren, was grundsätzlich im Studium zu empfehlen ist: sich eine gute Struktur zu schaffen und sich selbst klug zu organisieren. Man ist jetzt stärker gefordert, Dinge aus eigenem Antrieb anzugehen. Denn das, was sonst die Gestaltung des Tages prägt, etwa der organisierte Uni-Betrieb oder der Kontakt mit den Mitstudierenden auf dem Campus, fehlt ja. Deshalb ist es gut, sich eine eigene Struktur zu verordnen, damit die Tage nicht wie ein Brei werden. Also beispielsweise Arbeitszeiten festzulegen, Aufstehrituale zu haben, um gut in den Tag zu kommen, und sich auch zu bewegen. Unser Geist ist wacher und leistungsfähiger, wenn wir uns auch immer wieder körperlich fordern.
Viele Menschen verbringen nun sehr viel Zeit auf engem Raum miteinander – sei es mit dem Partner, den WG-Mitbewohnern oder der Familie. Wie kann man hier Konflikten vorbeugen?
Wichtig ist, Wege für ein halbwegs funktionierendes Miteinander zu finden. Dazu gehört beispielsweise, sich Freiräume zu erhalten, um keinen Budenkoller zu entwickeln. Wenn es einem zu eng wird, kann man rausgehen und den Kopf wieder frei bekommen. Darüber hinaus sind Absprachen mit denjenigen, mit denen man zusammenlebt, sinnvoll. Man sollte möglichst gut miteinander kommunizieren und die eigenen Bedürfnisse benennen, um zu sehen, was jeder braucht, und um so gut durch diese Zeit zu kommen. Welche Regeln kann man sich als Gemeinschaft setzen, so dass individuelle Bedürfnisse Platz finden? Welche Rückzugsmöglichkeiten gibt es? In dieser Situation kommen ja kritische Dinge wie unter einem Brennglas auf einen zu.
Wenn man etwa ohnehin schon Probleme mit dem Putzen in der WG hat...
Dann können sich diese noch verdichten. Man sollte daher nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern Probleme präventiv angehen und besprechen. Eine möglichst gute Kommunikation heißt dabei, nicht nur den eigenen Standpunkt klarzumachen, sondern auch den Standpunkt der anderen wahrzunehmen und sich in sie hineinzuversetzen. Es geht darum, Konfliktpotential aufzuspüren und zu überlegen: Wie können wir das entschärfen? Aber die Situation birgt auch die Chance, sich intensiver zusammenzufinden, das Miteinander zu stärken und etwa zu überlegen, was man gemeinsam angehen kann. Das reicht von Nachbarschaftshilfe bis zu Vorhaben, zu denen man sonst keine Zeit hat. Wir Menschen haben ja die Begabung, dass wir in Zwangslagen nicht nur Opfer der Verhältnisse sind, sondern auch neue Gestaltungsmöglichkeiten finden.
Wie steht es um diejenigen, die in dieser Situation alleine sind – beispielsweise, wenn sie unter Quarantäne stehen?
Für Menschen, die alleine sind, ist diese schwierige Situation eine enorme Herausforderung. Denn in Zeiten von Verunsicherung ist das beste Gegenmittel, möglichst viel Kontakt zu haben. Wenn wir uns unseren eigenen Fantasien überlassen, kommen wir leicht in Gedankenspiralen. Da kann man am besten durch soziale Kontakte gegensteuern, denn die Nähe zu anderen ist beruhigend. Wenn das, wie jetzt vielleicht, nicht möglich ist, dann raten wir sich zu überlegen: Wie kann ich mich auch unter diesen Bedingungen vernetzen? Wie kann ich über andere Kommunikationsmittel, Telefon oder Internet, dem fundamentalen Bedürfnis nach menschlichem Austausch nachkommen, auch wenn ich physisch alleine bin? Und man kann sich fragen: Auf wen kann ich zurückgreifen? Viele haben die Idee, dass sie keinem zur Last fallen wollen und bauen sich so Schwellen auf, die gar nicht nötig sind. Man sollte stattdessen Mut fassen, auf andere zuzugehen und seine Bedürfnisse nach Kontakt zu äußern. Die Chancen stehen gut, hier positive Resonanz zu erhalten, weil gerade deutlich wird, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Welche Sorgen treiben die Studierenden noch um, die sich an Sie wenden?
Viele Studierende machen sich nicht unbedingt Sorgen um die eigene Gesundheit, sondern eher um Angehörige. Und für viele geht es um finanzielle Nöte und die Frage, wie es weitergeht. Was früher selbstverständlich war, ist es jetzt nicht mehr. Je länger die Krise dauert und je mehr man erkennt, dass Sicherheiten wegbrechen, desto mehr werden diese existenziellen Fragen bei Studierenden aufgewühlt werden. Der wichtigste Hinweis, den wir auch hier geben können, ist, solche Dinge mit Kommilitonen oder der Familie zu teilen. Reden ist Zugewinn.
Wie sieht Ihre Beratung unter diesen besonderen Bedingungen aus?
Auch für uns bedeutet die jetzige Lage, auf eine neue Art zu kommunizieren. Die face-to-face Beratung fällt weg. Wir beraten per Telefon, E-Mail und manchmal auch per Video. Das bietet den Vorteil, dass wir auch solchen Studierenden ein Angebot machen können, die nicht in Oldenburg sind oder eben nicht rauskommen. Der erste Eindruck ist, dass man auch so sehr fruchtbar arbeiten kann. Und man kann das Ganze auch beim Spazierengehen betreiben. „Walk & Talk“ – im Gehen durch die Natur ist man manchmal kreativer als daheim in der Wohnung!
Interview: Constanze Böttcher