• Waren Kaffee und Tee zunächst Getränke von Geschäftsmännern und Gelehrten, wurden sie im Laufe der Zeit zunehmend auch von Frauen konsumiert. Dass dies auch in England so war, zeigt dieser Ausschnitt aus einem Druck von Kate Greenaway (1846-1901). Bildquelle: https://wellcomecollection.org/works?query=tea&page=2&search=images, veröffentlicht unter der Lizenz CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Vom Siegeszug des Kaffees

Heute gehören sie für viele zum Alltag, vor 400 Jahren waren Genussmittel wie Kaffee und Tee exotische Raritäten. Wie sie europäische Gesellschaften veränderten, untersucht das Forschungsprojekt „Intoxicating Spaces“.

Heute gehören sie für viele zum Alltag, vor 400 Jahren waren Genussmittel wie Kaffee und Tee exotische Raritäten. Wie sie europäische Gesellschaften veränderten, untersucht das Forschungsprojekt „Intoxicating Spaces“.

Die Katze lässt das Mausen nicht / Die Jungfern bleiben Coffeeschwestern. / Die Mutter liebt den Coffeebrauch, / Die Großmama trank solchen auch, / Wer will nun auf die Töchter lästern!“ Die Schlussworte aus Johann Sebastian Bachs Kaffeekantate von 1734 lassen keinen Zweifel zu: In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte der Kaffee im Bürgertum seinen Platz gefunden. Innerhalb der etwas mehr als hundert Jahre, die er damals in Europa schon bekannt war, war außerdem mit dem Kaffeehaus ein neuer öffentlicher Raum um das Getränk entstanden. Wie kam es dazu? Und lassen sich für andere Genussmittel wie Tee, Tabak oder Zucker ähnliche Entwicklungen beobachten?

Von der Börse ins Kaffeehaus

Mit diesen Fragen befassen sich die Historikerin Prof. Dr. Dagmar Freist und ihre Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Gabrielle Robilliard im Projekt „Intoxicating Spaces“. Für den Zeitraum zwischen 1600 und 1850 untersuchen sie Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen drei unterschiedlichen Dimensionen des Konsums von Rausch- und Genussmitteln: Konsumpraktiken, das gesellschaftliche Ansehen von Konsummitteln und Konsumenten sowie die Veränderung städtischer Räume und Formen von Geselligkeit. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Großbritannien, Schweden und den Niederlanden nehmen sie dabei die vier europäischen Hafenstädte London, Stockholm, Amsterdam und Hamburg in den Blick.

Gefördert wird das zweijährige Projekt von HERA („Humanities in the European Research Area“), einem Netzwerk von 26 europäischen Forschungsförderorganisationen. „Wir haben uns bewusst für diese Förderlinie entschieden, weil hier der Transfer in die Öffentlichkeit eine große Rolle spielt“, erläutert Freist, die mit ihren europäischen Kollegen das Projekt konzipiert und beantragt hat. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt „Intoxicating Spaces“ kooperieren daher unter anderem mit Schulen und Museen.

Wie der Handel mit Genussmitteln öffentliche Räume in Europa prägte, untersucht Robilliard am Beispiel von Hamburg. Dabei nimmt sie besonders Kaffee und Tee in den Blick. „Im späten 17. Jahrhundert wurden beide Getränke häufig in der Öffentlichkeit getrunken, auch weil die Zubereitung für Privatleute sehr aufwendig war“, erläutert sie. Wie in anderen europäischen Metropolen entstanden auch in Hamburg Kaffeehäuser, das erste im Jahr 1677. In der Nähe der Börsen angesiedelt, waren sie zunächst vor allem Treffpunkte von Geschäftsleuten und Gelehrten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden dann auch Cafés in Gärten oder auf Booten auf der Alster, wie Robilliard herausfand. „Das Kaffeetrinken wurde immer mehr zu einem Freizeitvergnügen, an dem auch Frauen teilnahmen“, sagt sie. Auch für das Bürgertum wurden die neuen Genussmittel erschwinglicher.

Wo genau sie in Hamburg gehandelt wurden, hat Robilliard exemplarisch für das Jahr 1788 mithilfe der Hamburger Adressbücher rekonstruiert. Gemeinsam mit dem studentischen Projektmitarbeiter Johannes Birk hält sie die Verkaufsorte auf einer digitalen Karte fest. Damit zeigen sie unter anderem auf, wie sich der Kaffee- und Teeverkauf in der Stadt verbreitete, in welchen Stadtteilen besonders viel Handel getrieben wurde und ob Menschen bestimmter Herkunft oder Religion besonders oft in den Handel eingebunden waren. Das Ergebnis wird auf der Projektwebseite vorgestellt und verfügbar gemacht.

Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit treiben die beiden Oldenburger Historikerinnen außerdem die Kooperation mit den Projektpartnern voran. Zu ihnen zählt unter anderem das Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen UN Habitat mit Sitz in Nairobi, Kenia. Mit ihm planen die Wissenschaftlerinnen unter anderem eine Podiumsdiskussion mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen. Anhand eines Fragenkatalogs werden sie historische Erkenntnisse zum Rauschmittelkonsum und der Veränderung städtischer Räume in Verbindung bringen mit aktuellen Herausforderungen durch Drogenkonsum, um hier nach Lösungen zu suchen. Darüber hinaus stehen die Wissenschaftlerinnen in Kontakt mit mehreren Schulen vor Ort. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten dabei eigene Projekte zu Genuss- und Rauschmitteln. Einige Arbeiten der Jugendlichen sollen in ein digital-analoges Ausstellungsprojekt des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven einfließen.

Kaffee und Tee digital erleben

Freist, Robilliard und ihre internationalen Kolleginnen und Kollegen aus dem europäischen Netzwerk arbeiten zudem momentan an einer Online-Ausstellung, die ab dem kommenden Sommer verfügbar sein soll. Hier möchten die Forschenden ihre Arbeiten konservieren und für eine interessierte Öffentlichkeit verfügbar machen. Die Ausstellungsobjekte – Tagebucheinträge, Gerichtsakten, medizinische Abhandlungen, Karten, Regierungsakten sowie Bilder von Utensilien wie Teekannen – würden auch in ein klassisches Museum passen. Das Online-Angebot ist jedoch kein angeleiteter digitaler Museumsrundgang, sondern gibt den Besuchern die Gelegenheit, eigenständig auf Entdeckungsreise zu gehen.

Die Objekte erhalten „Tags“, also digitale Markierungen, beispielsweise zu historischen Orten, Daten oder bestimmten Personen. So kann sich jeder Besucher eine auf seine Interessen zugeschnittene Auswahl an Objekten ansehen. Beispielsweise eine Karte von Kaffeehäusern in Hamburg oder zeitgenössische Literatur, die sich mit Kaffee und Tee beschäftigt – und fühlt sich dabei vielleicht an Bachs Kaffeekantate erinnert: „Ei! wie schmeckt der Coffee süße, / Lieblicher als tausend Küsse, / Milder als Muskatenwein. / Coffee, Coffee muss ich haben, / und wenn jemand mich will laben, / Ach, so schenkt mir Coffee ein!“

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