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Publikation "Long-distance navigation and magnetoreception in migratory animals" Arbeitsgruppe Neurosensorik (Animal Navigation)

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Prof. Dr. Henrik Mouritsen
Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
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  • Die bei uns heimische Gartengrasmücke ist ein Langstreckenzieher und fliegt zum Überwintern bis ins südliche Afrika. Foto: Henrik Mouritsen/Universität Oldenburg.

  • Der Neurobiologe Prof. Dr. Henrik Mouritsen erforscht den Magnetsinn von Vögeln seit über 15 Jahren. Foto: Universität Oldenburg

  • Untersuchungen an Rotkehlchen haben dazu beigetragen, dass Wissenschaftler den Magnetsinn immer besser verstehen. Foto: Henrik Mouritsen/Universität Oldenburg.

Vom Vogelzug zur Quantenchemie

Seit mehr als 15 Jahren forscht Henrik Mouritsen über den Magnetsinn von Vögeln. Nun hat er im Fachmagzin Nature den Stand der Forschung zusammengefasst. Im Interview spricht der Neurobiologe über seine Faszination für Vögel und warum Grundlagenforschung so wichtig ist.

Seit mehr als 15 Jahren forscht Prof. Dr. Henrik Mouritsen über den Magnetsinn von Vögeln. Nun hat er im Fachmagzin Nature den Stand der Forschung zusammengefasst. Im Interview spricht der Neurobiologe über seine Faszination für Vögel und warum Grundlagenforschung so wichtig ist.

FRAGE: Herr Mouritsen, Sie haben mehr als 6000 Vögel in Ihrem Leben beringt. Was war Ihr denkwürdigstes Erlebnis als Vogelforscher?

ANTWORT: Als Student war ich auf den Philippinen, wo wir uns den Weg durch den Regenwald mit einer Machete bahnen mussten. Wir fingen einen kleinen Fliegenschnäpper, der einen leuchtend orangefarbenen Schwanz hatte, in dem ein umgedrehtes schwarzes T zu sehen war. Dieser Vogel war noch nie in einem Vogelbuch beschrieben worden! Wir fühlten uns wie Entdecker. Eine fantastische Erfahrung für einen jungen Menschen, der sich für Vögel interessiert.

FRAGE: Wie kam es dazu, dass Sie begannen, sich für Vögel zu interessieren?

ANTWORT: Ich hatte einen Lehrer in der Grundschule, der sich sehr für Vögel interessierte. Er war sehr inspirierend und hat mein Interesse geweckt. Das habe ich beibehalten. Als Schüler und Student war ich ein sogenannter Twitcher: Jedes Mal, wenn eine seltene Vogelart irgendwo in Dänemark gesichtet wurde, fuhren wir los – egal, was wir sonst zu tun hatten. Damals begann ich mich zu fragen: Warum taucht ein Vogel aus der Mongolei auf einmal in Dänemark auf? Da es vor allem junge Vögel waren, war klar, dass etwas genetisch oder mechanistisch schief gelaufen sein musste. Ich begann die Literatur über Vogelzugforschung zu lesen. Ehrlich gesagt, war ich nicht sehr beeindruckt.

Details kennen

FRAGE: Was war denn damals bekannt darüber, wie Vögel ihren Weg über tausende von Kilometern finden?

ANTWORT: Es war klar, dass Vögel das Magnetfeld, die Sonne und die Sterne nutzen können, um zu navigieren. Die Meinungen darüber, was davon am wichtigsten ist, gingen aber weit auseinander. Und natürlich wussten die Wissenschaftler, dass Vögel einen Mechanismus benötigen, um das Magnetfeld wahrnehmen zu können. Allerdings befassten sich die meisten Studien mit dem Verhalten von Vögeln. Über die Molekularbiologie des Magnetsinns und die entsprechenden Hirnfunktionen war so gut wie nichts bekannt. Während meiner Doktorarbeit wurde mir daher klar: Um wirklich das Verhalten der Tiere zu verstehen, muss man anfangen, die Details zu kennen. Aus diesem Grund ging ich 1999 nach Kanada, um etwas über Neurophysiologie zu lernen.

FRAGE: Seit 2002 forschen Sie an der Universität Oldenburg. Was sind die wichtigsten Meilensteine Ihrer Arbeit?

ANTWORT: Im Jahr 2000 hatten Wissenschaftler die Theorie aufgestellt, dass eine bestimmte Klasse von Molekülen, die Cryptochrome, Zugvögeln ermöglichen, das Magnetfeld als visuelles Muster wahrzunehmen. Daher begannen wir, dieses Molekül und das Gehirn der Vögel genauer zu untersuchen. 2004 fanden mein Kollege, der Neurobiologe Reto Weiler und ich zusammen mit unseren Arbeitsgruppen tatsächlich Chryptochrom in der Netzhaut von Zugvögeln. Mein Kollege Eric Jarvis von der Duke University und ich entdeckten dann in 2005 zusammen mit unseren Teams eine Region im Gehirn, die als Cluster-N bezeichnet wird. Wir konnten zeigen, dass diese Region lichtabhängig ist und, sehr wahrscheinlich, Informationen des Magnetkompasses verarbeitet. Etwas später, im Jahr 2009, zeigten wir: Wenn wir die Cluster-N-Region ausschalten, funktioniert zwar noch der Sonnen- und Sternenkompass der Vögel, der Magnetkompass jedoch nicht. Das wissen wir aus Verhaltensexperimenten. Zu Beginn waren dies nur Vermutungen. Heute bin ich mir zu 99 Prozent sicher, dass die Cluster-N-Region ein Zentrum des Magnetkompasses im Hirn der Vögel ist. Das Cryptochrom, das wir damals gefunden hatten, war wahrscheinlich nicht das richtige Molekül. Wir haben kürzlich ein anderes Chryptochrom identifiziert, das eher an dem Prozess beteiligt ist. Wir waren damals jedoch nahe dran. Das waren unsere wichtigsten frühen Meilensteine.

Licht als Hebel

FRAGE: Seit etwa zehn Jahren kooperieren Sie eng mit Ihrem britischen Kollegen Peter Hore. Woran arbeiten Sie gerade?

ANTWORT: Wir haben begonnen, den biophysikalischen Mechanismus des Magnetsinns genau zu untersuchen. Allerdings können wir das, was im Auge eines Vogels passiert, nicht mit klassischer Mechanik beschreiben. Wir müssen dies quantenmechanisch betrachten. Ich bin jedoch kein Quantenchemiker. Daher arbeite ich mit Peter Hore und seinen Kollegen von der Universität Oxford zusammen. Peter hat sich eine Analogie überlegt, um die komplizierten Prozesse im Auge eines Vogels zu erklären: Das Cryptochrom-Molekül ist wie ein Felsblock, der auf seiner flachen Seite steht. Das heißt, er ist im Gleichgewicht. Eine kleine Fliege könnte ihn niemals umwerfen. Wir haben jedoch einen Hebel – das ist das Licht. Dieser Hebel stellt den Stein auf seine Ecke. Dies ist der Zustand des Moleküls, in dem ein sogenanntes Radikal-Paar vorliegt. Dieser ist sehr weit von einem Gleichgewicht entfernt und existiert nur etwa eine Mikrosekunde lang. Aber das Molekül ist sehr empfindlich für Störungen. Jetzt spielt es nicht nur eine Rolle, ob sondern auch wo die kleine Fliege landet.

FRAGE: Und in dieser Analogie entspricht die kleine Fliege dem Magnetfeld der Erde…

ANTWORT: Ja. Abhängig davon, wie das Molekül relativ zum Magnetfeld ausgerichtet ist, sieht der Vogel mehr oder weniger Licht. Das heißt, Vögel können das Magnetfeld sehen. Das Aufregende ist, dass dieser Mechanismus sehr leicht auf die Wechselwirkungen zwischen dem schwachen Erdmagnetfeld und dem Radikal-Paar reagiert. Die Energie dieser Wechselwirkungen ist etwa eine Millionen Mal geringer als das, was man ursprünglich als Grenze für biologische Sinne angenommen hatte. Was ist, wenn andere biologische Sinnessysteme auch ähnliche Zwischenstufen aufweisen? Es könnte auch andere Sinne geben, die auf sehr schwache Reize reagieren.

Wert von Grundlagenforschung

FRAGE: Ursprünglich wollten Sie ja verstehen, wie Vögel ihren Weg finden, indem Sie das schwache Erdmagnetfeld wahrnehmen. Nun sind Sie über etwas gestolpert, das auch anderswo vorkommen könnte…

ANTWORT: Ja. Und das könnte unser Verständnis von biologischen Sinnessystemen fundamental ändern. Das hätte ich nie gedacht, als ich angefangen hatte. Und sobald wir experimentelle Hinweise aus der Biologie und der Physik für diesen Mechanismus gefunden hatten, begannen sich sehr viele Leute dafür zu interessieren. Das liegt daran, dass sich beispielsweise in Quantencomputern ähnliche Prozesse abspielen. Das Problem ist, dass man die Elektronen in einen Quantencomputer nicht sehr lange und schon gar nicht bei Raumtemperatur stabil halten kann. Es scheint aber, dass Vögel zumindest einen Teil dieses Problems in ihrem Magnetkompass gelöst haben. Daher haben sich Regierungen und Unternehmen auf einmal für Vogelzugforschung interessiert. Dies ist ein gutes Beispiel für den Wert von echter Grundlagenforschung: Wenn man Systeme verstehen will, die bisher noch völlig unerforscht sind, dann erhält man möglicherweise völlig neuartige Lösungen. Das ist das Gute am deutschen Wissenschaftssystem – es unterstützt Grundlagenforschung nach wie vor sehr gut.

Fabelhafte Werkstätten

FRAGE: 2014 hat Ihre Arbeitsgruppe ein weiteres wichtiges Ergebnis in Nature veröffentlicht. Nämlich, dass Rauschen von elektronischen Geräten den Magnetkompass von Vögeln stört. Wissen Sie inzwischen, wie dies passiert?

ANTWORT: Wir untersuchen zusammen mit unseren Partnern in Oxford diese Frage. Klar ist: Zeitabhängige Magnetfelder interferieren mit der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen und dem Erdmagnetfeld. Aber wir haben noch kein vollständiges Bild, warum der Magnetkompass der Vögel so empfindlich auf das sehr schwache anthropogene elektronische Rauschen reagiert.

FRAGE: Sie fühlen sich als Forscher in Deutschland offensichtlich sehr wohl. Warum sind Sie ursprünglich nach Oldenburg gekommen?

ANTWORT: Ich habe Oldenburg aus zwei ganz bestimmten Gründen ausgewählt: Als ich begann, wussten wir noch nicht, was im Auge und Gehirn der Vögel passiert. Klar war: Wenn ich das visuelle System verstehen möchte, muss ich mit jemandem zusammenarbeiten, der den Sehsinn besser versteht als ich. Das war Reto Weiler – und seine Arbeitsgruppe. Zudem wollte ich mit Franz Bairlein vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven zusammenarbeiten. Er weiß sehr viel über Vögel und wie man sie hält. Seitdem hat die Universität Oldenburg meine Forschung immer unterstützt. Außerdem haben wir fabelhafte elektronische und mechanische Werkstätten hier: Ich könnte meine Ausstattung zwar von der Stange kaufen. Aber dann müsste ich alle magnetischen Teile ersetzen. Denn ich kann keine magnetischen Messungen am Gehirn durchführen, wenn Teile aus Eisen in der Nähe sind. Daher müssen die Werkstätten meine Ausstattung modifizieren. Das machen sie richtig gut. Es gibt nur wenige Universitäten, die so viele und gute Werkstätten haben.

Quantenmechanik und Ökologie

FRAGE: In Ihrem Review zeigen Sie einige für die Forschung noch offene Fragen auf. Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die Zukunft?

ANTWORT: Wenn wir verstehen wollen, wie Vögel navigieren, müssen wir die Biophysik und die quantenmechanischen Aspekte des Magnetsinns verstehen. Wo genau sind die Sensoren? Wie ist ihre Struktur und mit wem interagieren sie? Wir müssen die Physiologie verstehen, die elektrischen Signale und die Signalwege. Und wir wollen verstehen, wie das Gehirn all dies mit anderen, für die Navigation relevanten, Informationen zusammenbringt. Wir wissen nicht, wo das geschieht. Das wollen wir herausbekommen. Wir wollen auch herausfinden, wie Vögel räumliche Informationen im Gehirn abspeichern. Gibt es Platz- und Kompass-Neuronen? Wir wollen diese Fragen auf molekularer, neuroanatomischer und biophysikalischer Ebene aber auch auf der Ebene des Verhaltens betrachten – sowohl im Labor als auch in der freien Wildbahn. Das ist der Grund, warum wir hier in Oldenburg bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Sonderforschungsbereich (SFB) beantragen werden, der Forscher von der Quantenmechanik bis zur Ökologie zusammenbringt.

FRAGE: Wer sind Ihre Partner in diesem Projekt?

ANTWORT: Gut zwei Drittel der leitenden Wissenschaftler kommen aus Oldenburg. Wir kooperieren mit Franz Bairlein, Onur Güntürkün von der Universität Bochum, Miriam Liedvogel vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, Elmar Behrmann von der Universität Köln, Nachum Ulanovsky vom Weizmann Institut in Israel und Peter Hore aus Oxford. Diese Experten decken Forschungsfelder ab, die in Oldenburg nicht vertreten sind. Wir hoffen, mit diesem beantragten SFB etwa die Hälfte der 20 Fragen beantworten zu können, die ich am Ende meines Nature-Reviews gestellt habe.

Interview: Constanze Böttcher

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