Deutschland vernachlässigt das E-Government, das elektronische Verwalten und Regieren, und lässt somit wichtige Potenziale für Innovation und Wertschöpfung ungenutzt: Zu diesem Schluss kommt die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit dem Oldenburger Volkswirt Christoph Böhringer in ihrem Jahresgutachten, das sie jetzt der Bundeskanzlerin übergab.
Das Abwickeln von Regierungs- und Verwaltungsprozessen über elektronische Medien bedürfe dringend einer zentralen Koordination, sagte Prof. Dr. Christoph Böhringer anlässlich der Übergabe des Gutachtens an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka am 17. Februar. „Bislang bauen Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden ihre E-Government-Angebote weitgehend in Eigenregie auf“, so der Oldenburger Experte. Dabei zeigten beispielsweise die aktuellen Erfahrungen beim Registrieren und Verwalten Geflüchteter, „wie sich Versäumnisse beim elektronischen Verwalten – und hier insbesondere Defizite in der digitalen Vernetzung der IT-Systeme von Bund, Ländern und Gemeinden – zu einem Problem entwickeln können“.
Die Expertenkommission verweist auf internationale Studien, die den Rückstand Deutschlands in puncto E-Government gegenüber den meisten anderen Industrienationen belegten. Böhringer nannte das Angebot „nicht nur sehr begrenzt, sondern auch wenig nutzerfreundlich“, obwohl Bund, Länder und Kommunen in einer nationalen Strategie bereits 2010 den Anspruch formuliert hätten, das deutsche E-Government bis 2015 „zum internationalen Maßstab für effektive und effiziente Verwaltung zu machen“.
Selbst die wenigen vorhandenen Angebote seien oftmals kaum bekannt, da auf hunderte von Behörden-Internetseiten verteilt. Auch einfache Bedienbarkeit und Hilfestellungen seitens der Behörden stellten nach wie vor die Ausnahme dar. Damit nicht genug: Viele E-Government-Angebote seien immer noch nicht durchgängig digital verfügbar – ein Bürger könne Antrag also häufig nicht komplett am Rechner bearbeiten, sondern müsse ihn für bestimmte Arbeitsschritte erst wieder auf Papier bringen.
Diese Defizite seien weniger auf mangelnde finanzielle Ressourcen als vielmehr auf fehlende Koordination und politischen Willen zurückzuführen, betont die EFI. Estland zum Beispiel verfüge ungeachtet geringerer Finanzkraft über ein sehr gut ausgebautes, nutzerfreundliches und weitgehend digital durchgängiges E-Government-Angebot. „Hier werden bereits alle elektronischen Informationen und Dienstleistungen nach Anliegen geordnet und an einem Ort und aus einer Hand angeboten“, lobt Prof. Dr. Christoph Böhringer.
Die Bundesregierung, so die eindringliche Empfehlung der Expertenkommission unter Leitung von Prof. Dr. Dietmar Harhoff vom Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, sollte sich in dieser wichtigen digitalen Frage deutlich stärker koordinierend engagieren. Laut Böhringer seien in einem bundesweiten elektronischen Portal „E-Deutschland“ möglichst viele „Angebote von Bund, Ländern und Kommunen zu bündeln, nach Anliegen zu ordnen und im ‚One-Stop-Verfahren‘ für Bürger und Unternehmen bereitzustellen“ – für den Auf- und Ausbau eines solchen bundesweites Portals müsse sich die Bundesregierung gegenüber Ländern und Kommunen einsetzen.
Dazu bedarf es nach Ansicht der Expertenkommission verpflichtender „Meilensteine“ für Bund, Länder und Kommunen. Unverzichtbar, so der Oldenburger Ökonom Böhringer abschließend, sei eine zentrale Koordinierungsstelle für E-Government im Kanzleramt. Ohne eine motivierte Zusammenarbeit von Bund und Ländern gehe es nicht – „aber vielleicht bietet die große Koalition eine gute Chance, Deutschland hier voranzubringen“.
Vier Gründe, warum die Expertenkommission E-Government für lohnenswert erachtet: Es mache Behördengänge überflüssig und ermögliche das Bündeln administrativer Anliegen. Es erhöhe die Transparenz administrativer Prozesse, etwa indem der Bearbeitungsstand nachvollziehbar werde. Es schaffe eine hohe Nachfrage nach Lösungen der Informationstechnik und könne somit zugleich Innovationstreiber für die IT- und Internetwirtschaft sein. Es erhöhe die Attraktivität für Unternehmen und gelte als wichtiger Standortfaktor im internationalen Wettbewerb.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI)
Die EFI mit Sitz in Berlin leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.