Seit 2017 ist Karsten Witt Professor für Neurologie an der medizinischen Fakultät der Universität. Im Interview spricht Witt über sein Spezialgebiet – die tiefe Hirnstimulation bei Parkinson-Erkrankungen – und die Herausforderungen für Klinik und Forschung.
FRAGE: Herr Professor Witt, rund 12.500 Menschen erhalten in Deutschland jährlich die Diagnose Parkinson. Seit gut 30 Jahren setzen Neurologen zur Behandlung unter anderem die tiefe Hirnstimulation ein. Diese Methode haben Sie als Direktor der Universitätsklinik für Neurologie am Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg etabliert. Wie sieht diese Behandlung aus?
ANTWORT: Den Betroffenen wird, vereinfacht gesagt, über zwei Elektroden ein schwacher Strom verabreicht, den sie nicht spüren – zum Beispiel in den Nucleus subthalamaticus. Dieser Kern liegt in der Tiefe des Gehirns und ist so groß wie der Fingernagel eines Neugeborenen. Die Stimulation an dieser Stelle lindert die Parkinson-Symptome merklich.
FRAGE: Wie funktioniert dies konkret?
ANTWORT: Bewegung ist ein Zusammenspiel aus Signalen von Nervenzellen, die Bewegung befürworten und Bewegung hemmen. Die perfekte Balance zwischen diesen macht eine gesunde Bewegung aus. Bei der Parkinsonerkrankung verarmt der Botenstoff Dopamin, der Bewegungen anregt. Als Konsequenz überwiegt der Impuls, der Bewegungen verhindert. Hemmt man nun mittels einer Elektrode diese überaktive Bahn, so können wir die Balance wieder herstellen. Dieses Prinzip nutzt die tiefe Hirnstimulation: Sie hemmt den Nucleus subthalamicus, der bei der Parkinson-Erkrankung krankhaft übererregt ist und verbessert so die Balance im Bereich der Bewegung nachhaltig.
FRAGE: Welche Patienten profitieren besonders von der tiefen Hirnstimulation?
ANTWORT: In der Frühphase der Parkinsonerkrankung – die ersten fünf bis sieben Jahre – können wir Parkinsonsymptome gut mit Medikamenten behandeln. Danach stellt sich oft eine Phase ein, in der sich schlechte und gute Beweglichkeit abwechseln. Die Erkrankung beherrscht dann die Betroffenen, da sie jederzeit mit einer unerwarteten Bewegungsstarre rechnen müssen. Das bedeutet zum Beispiel, das Erkrankte nicht wissen: „Kann ich mich aus dem Auto im Parkhaus bewegen, oder muss ich warten bis Medikamente wirken?“ Wenn diese Fluktuationen der Motorik auftreten, dann könnte eine tiefe Hirnstimulation helfen.
FRAGE: Welchen Herausforderungen begegnen Sie im Klinikalltag?
ANTWORT: Die Operation zur tiefen Hirnstimulation setzt eine reibungslose Teamarbeit zwischen Neurochirurgen, Anästhesisten, Neurologen und Mitarbeitern weiterer Disziplinen voraus. Die technische Herausforderung dabei ist, die Elektroden genau zu platzieren. Nach der Operation müssen die behandelnden Ärzte ein neues Gleichgewicht zwischen den Medikamenten und der Stimulation herstellen. Oft kann die Medikamentendosis um die Hälfte und mehr gesenkt werden. Dies verbessert die Beweglichkeit in vielen Fällen so erheblich, dass die Betroffenen ihr Sozialverhalten neu anpassen müssen: Eine einschränkende chronische Erkrankung bestimmt über viele Jahre zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Regeln. Die Operation bricht diese Gewohnheiten auf. Ärzte und ihre Mitarbeiter sollten die Patienten daher sehr gezielt auswählen und sie und ihre Angehörigen vor der Operation ausführlich beraten. Auch danach brauchen die Betroffene Ratschläge, wie sie ihren Alltag an die neue Situation anpassen können.
FRAGE: Welche Rolle spielt die wissenschaftliche Begleitforschung?
ANTWORT: Hier ergeben sich viele neue Gesichtspunkte: Wir lernen immer besser, welche Patienten am ehesten von der Stimulation profitieren. Wir können zudem sehen, dass die Patienten über acht bis zehn Jahre mit einer Stimulation immer noch besser beweglich sind als vor der Operation ohne Medikation. Viele Forschungsinitiativen erkunden auch, welcher Weg am besten zum Ziel führt. Ob beispielsweise eine sogenannte gerichtete Stimulation Vorteile hat. Diese Stimulation lenkt den Strom genau in die Richtung, welche die Symptome der Erkrankung unterdrückt.
FRAGE: Welchen Forschungsfragen widmen Sie sich?
ANTWORT: Wir wollen beispielsweise besser verstehen, wie Seh- und Höreindrücke verarbeitet werden und wie daraus Bewegungen entstehen. Dies belastet die Betroffenen nicht weiter, da wir die Informationen über die bereits implantierte Elektrode erhalten. Wir wollen auch untersuchen, welche Umstände Bewegungen anregen und ob es einen Unterschied macht, ob ein akustischer oder ein visueller Reiz Auslöser ist. Durch den Oldenburger Schwerpunkt in der Hörforschung haben wir die Expertise, akustische Signale im Gehirn weiter zu verfolgen. Aus Tierexperimenten wissen wir, dass diese akustischen Signale in jener Region auftauchen, die wir bei unseren Patienten stimulieren. Wie Hören und Bewegen genau zusammenhängt, ist aber noch nicht entschlüsselt. Hier gibt es einen großen Forschungsbedarf.
Interview: Constanze Böttcher